Die scharfen und konkreten Gedanken der „Philosophie der Freiheit“ erlebt man als ganzer Mensch nicht im Gehirn, sondern in seinem Knochensystem

 

von Ingo Hagel 

 

Was Denken wirklich ist, und welche Verwandlungen es zu erfahren hat, wenn man nicht immer nur den unvollständigen Teil der Wirklichkeit, den gedankenlosen Wahrnehmungstraum des gewöhnlichen Alltagsbewusstseins leben will –

beziehungsweise wenn man den zwar mit Gedanken durchwobenen Wahrnehmungstraum des gewöhnlichen Alltagsbewusstseins lebt, diese Gedanken, Begriffe und Ideen aber nur passiv, instinktiv, automatisch, unreflektiert, nicht hinterfragt und nicht beobachtet und angeschaut im Unterbewusstsein ein unerkanntes Kellerdasein führen – beziehungsweise wenn die Gedanken und Begriffe immer nur verwoben mit der Sinneswelt auftreten, das heißt, wenn also die Gedanken gar nicht wirklich werden, weil sich immer die Objekte der Sinneswelt vor die Gedanken schieben – 

sondern die Wirklichkeit in der Welt ergreifen, erfassen, erfahren will, das hat Rudolf Steiner, angefangen von seinen ersten Büchern, besonders in der „Philosophie der Freiheit“, aber dann natürlich auch in so vielen Büchern und Vorträgen immer wieder von den verschiedensten Seiten aus versucht zu beleuchten. – 

Siehe dazu zum Beispiel auch hier im Kapitelverzeichnis dieser Rubrik Anthroposophie das Kapitel 104: Die „Philosophie der Freiheit“ ist Wirklichkeitsphilosophie –

 

Hier in diesem Vortrag vor Ärzten macht Rudolf Steiner diese 30 Jahre nach der ersten Veröffentlichung seiner „Philosophie der Freiheit“ 

darauf aufmerksam, dass die Menschen dieses Buch kaum verstanden haben, weil sie nicht darauf gekommen sind, wie es zu lesen ist (GA 316):                   

Meine «Philosophie der Freiheit» ist wenig verstanden worden, weil die Leute nicht verstanden haben, sie zu lesen. Sie haben sie so gelesen, wie man ein anderes Buch liest, aber meine «Philosophie der Freiheit» ist nicht so gemeint wie andere Bücher. Meine «Philosophie der Freiheit» lebt zunächst in Gedanken, aber in richtig erlebten Gedanken. Nicht erlebte Gedanken, abstrakte, logische Gedanken, wie man sie heute in der Wissenschaft ganz allgemein hat, die erlebt man im Gehirn. Solche Gedanken, wie ich sie in meiner «Philosophie der Freiheit» ausgesprochen habe – jetzt kommt das Paradoxe -, erlebt man als ganzer Mensch in seinem Knochensystem. Richtig als ganzer Mensch in seinem Knochensystem.

  

Diese Zusammenhänge über ein Erleben der Gedanken der „Philosophie der Freiheit“ mit dem Knochensystem 

waren Rudolf Steiner allerdings so wichtig, dass er sie an einer anderen Stelle noch einmal erwähnt (GA 233a S. 72): 

Sehen Sie, so paradox es Ihnen klingen wird, so muß ich doch sagen, daß ein solches Buch wie meine «Philosophie der Freiheit» nicht durch die bloße Logik begriffen werden kann, sondern durch den ganzen Menschen verstanden werden muß. Und in der Tat, was in meiner «Philosophie der Freiheit» über das Denken gesagt wird, wird man nicht verstehen, wenn man nicht weiß, daß der Mensch eigentlich das Denken erlebt durch die innerliche Erkenntnis, durch das innerliche Erfühlen seines Knochenbaues. Man denkt eben nicht mit dem Gehirn, man denkt in Wirklichkeit mit seinem Knochenbau, wenn man in scharfen Denklinien denkt. Wenn das Denken konkret wird, wie es in der «Philosophie der Freiheit» der Fall ist, dann geht es eben in den ganzen Menschen über.   

Durch diese oben angeführten Zitate mit dem Lesen der „Philosophie der Freiheit“ mit dem Knochensystem, 

mit dem ganzen Menschen, kann man natürlich – mal wieder – zu dem Protest oder der Frage geführt werden:  

Das nützt mir doch gar nichts, denn ich weiß nun immer noch nicht, wie man mit dem Knochensystem denkt. – Wie mache ich das denn? Wie lese ich denn nun diese „Philosophie der Freiheit“ richtig?

Die Antwort heißt wohl: „Learning by doing“ – und liegt daher vielleicht auch in diesem Satz:

Man denkt eben nicht mit dem Gehirn, man denkt in Wirklichkeit mit seinem Knochenbau, wenn man in scharfen Denklinien denkt. Wenn das Denken konkret wird, wie es in der «Philosophie der Freiheit» der Fall ist, dann geht es eben in den ganzen Menschen über.

 

Man muss also, wenn man sich nicht „bloß abstrakt denkend“ verhalten will, wirklich versuchen, 

anhand dieser „Philosophie der Freiheit“ diesen „scharfen Denklinien“ zu denken, sein Denken zu konzentrieren und „das Denken konkret“ werden zu lassen, zu vertiefen, zu klären, es nicht so oberflächlich dahinhuschen zu lassen, wie man das so im Alltagsdenken gewöhnt ist. Bei diesem Alltagsdenken –

das aber kein Denken ist, sondern in den allermeisten Fällen nur ein – von der Sinneswelt – betreutes Vorstellen von eben diesen Dingen der Sinneswelt – 

das heute sehr stark und immer mehr durch das Computerwesen bestimmt ist, weiß man oder hofft man, dass die App einem schon im richtigen Moment den richtigen Button anzeigen wird, den man jetzt und an dieser Stelle zu drücken hat – was dann eben in diesen Zusammenhängen gerne „intuitive Bedienungsoberfläche“ genannt wird. –

Gegen die Smartphones, Computer und deren Programme soll hier auch nichts gesagt werden, weil diese für viele Angelegenheiten des Lebens ein großartiges Hilfsmittel und Werkzeug darstellen. – 

 

Bei der „Philosophie der Freiheit“ muss man allerdings lernen, die „Knöpfe“ selber finden. 

Diese liegen in Einem selber. Das ist das wirkliche intuitive Element, auf das es ankommt, und auf das man selber kommen muss, wenn man sich bemüht, anhand der „Philosophie der Freiheit“ sich diese „scharfen Denklinien“ zu erarbeiten. 

Das Denken ist heute fast völlig automatisch geworden. Aber was auf dem Gebiet des hyperautomatischen Computerwesens angemessen und hilfreich sein mag, wird auf dem Gebiet des wirklichen menschlichen Denkens zu überwinden sein.

Und die verschiedenen Hinweise Rudolf Steiners zu diesem Thema sind kein „Nonsense“ oder „redundanter, unverständlicher Schnickschnack“, sondern sie sind sehr wichtige Hilfestellungen und Wegweiser, in welcher Richtung der Leser der „Philosophie der Freiheit“ zu suchen hat. Man kann auf diesem Gebiet nur die Richtung zeigen, in der der Leser dann selber zu suchen – und zu finden! – haben wird. Das kann auch gar nicht anders sein, weil man dabei ist, den Bereich der Sinneswelt – 

auf den man ja in dieser schön zeigen kann, und bei dem man das, worauf gezeigt wird, dann schon immer hat – 

zu verlassen, und dabei ist, in den Bereich der geistigen Welt zu betreten – und sei es auch erst mal „nur“ in rein gedanklicher, und rein philosophischer Form.

 

Die ganze Welt ist heute ja darauf getrimmt, 

alles was sie mit ihrer Wissenschaft und ihren daraus folgenden nicht erlebten, sondern abstrakten, nur logischen Gedanken denkt, mit dem Gehirn aufzufassen. Da ist aber nichts zu erleben. Die Dinge werden eben nur abstrakt und logisch kategorisiert und eingeordnet. – 

Aber wer das gut kann, kann damit in dieser Welt des Gehirndenkens ganz schön erfolgreich werden, was per se nichts Schlechtes ist, und gute Fachleute werden zudem immer gebraucht. Aber man sollte geistig auch nicht zu einseitig werden. –

Dagegen muss man bei einem wirklich scharfem, konkretem und erlebtem Denken der „Philosophie der Freiheit“ richtig in die Knochen hinein, nicht ins Gehirn – und damit schon mal ein ganzes Stückchen weiter weg von Letzterem. Damit ist ein wichtiger Anfang gemacht, der weiter ausgebaut werden kann.     

 

Obige Ausführungen Rudolf Steiners sind für das richtige Verstehen der „Philosophie der Freiheit“ – 

sowie für ein richtiges Verständnis der Entwicklung höherer Erkenntnisfähigkeiten (Imaginieren und so weiter) –

von einem großen Wert, weil sie einem helfen können, zum Beispiel darauf aufmerksam zu machen, dass bestimmte Denkvorgänge bei Einem viel zu sehr oben im Kopf ablaufen, also in besagtem Gehirn.      

Nicht erlebte Gedanken, abstrakte, logische Gedanken, wie man sie heute in der Wissenschaft ganz allgemein hat, die erlebt man im Gehirn.

Über diese Art des Erlebens von Gedanken im Gehirn muss man natürlich verfügen und man darf sie nicht verlieren, wenn man in dieser Welt und in dieser Art von Wissenschaft bestehen will. Es kommt aber darauf an –

zum Beispiel wenn man neben dieser Art von materialistischer Naturwissenschaft noch dazu die „Philosophie der Freiheit“ verstehen will –beziehungsweise wenn man in einem weiteren Schritt real übersinnliche Erkenntnisse erlangen will – und nicht nur als Bild, denn auch die „Philosophie der Freiheit“ liefert übersinnliche Erkenntnisse, aber rein philosophisch und in Gedankenform, also als Bild, nicht real –

zusätzlich zu diesem Kopfdenken noch etwas anderes zu entwickeln. Es ist also mit obigen Ausführungen Rudolf Steiners auch eine Art Hinweis gegeben, doch einmal zu prüfen, wo man denn – 

zum Beispiel beim Studium der „Philosophie der Freiheit“ –

erlebnismäßig steckt, wo man innerlich lokalisiert ist, wenn man versucht diese Dinge zu denken. 

 

Diese Dinge sind hilfreich zu wissen, weil sie dem heutigen intellektuellen Menschen einen Hinweis geben, 

doch diese „Philosophie der Freiheit“ nicht immer nur so mit dem Kopf zu denken – 

aber nun gut, so muss man eben anfangen. Es geht nicht anders. Man hat erstmal nur diesen Kopf mit seinem Gehirn. Rudolf Steiner:    

Das Wissen, das man sich heute gewöhnlich vorstellt, das geht nämlich nicht sehr tief in den Menschen hinein, das ist eigentlich wirklich nur im Kopfe vorhanden, …

Beim sogenannten modernen Denken, mit dem man heute Dinge lernt, studiert und seinen Beruf ausübt, denkt man nicht als ganzer Mensch und existiert auch nicht als ganzer Mensch – 

was aber zu bestimmten menschlichen Problemen führt – oder zu Problemen der Menschen – wie man will. –

Und die Dinge die man so erarbeitet und die die gesamte Gesellschaft und die Kultur durchsetzen, sind auch keine Ganzheiten – und daher unfruchtbar, nicht heilsam, sondern letztlich schädlich, unproduktiv und krankmachend. Es muss eine Verlagerung des geistigen Erlebens stattfinden. 

Die „Philosophie der Freiheit“ beziehungsweise der Hinweis darauf, dass diese mit dem Knochensystem erlebt wird, ist also eine erste Hilfestellung, von diesem Denken der Welt und ihrer Zusammenhänge einzig und allein nur mit dem Gehirn schon einmal in einem ersten Schritt wegzukommen. 

 

Aber noch einen weiteren Hinweis auf eine Verlagerung des geistigen Lebens – 

neben diesem Hinweis auf das richtige Lesen der „Philosophie der Freiheit“ mit dem Knochensystem, nicht mit dem Gehirn – 

gab Rudolf Steiner in diesem Vortrag den Ärzten, nämlich den Hinweis darauf, dass die Imagination beziehungsweise die Tätigkeit des Imaginierens sich weder auf das Gehirn noch auf das Knochensystem, sondern auf das Muskelsystem stützt (GA 316):               

Ich führe das an, damit Sie sehen, dass schon bei dem gewöhnlichen Gedanken etwas auftritt, bei dem der ganze Mensch ergriffen wird. Geht man von dem Gedanken zur Imagination über, so erlebt man seine Imagination im Muskelsystem.  Also dasjenige, was höhere Erkenntnis ist, das nimmt wirklich den ganzen Menschen in Anspruch; und derjenige bekommt keinen Eindruck von Imaginationen und Inspirationen, der nicht weiß, dass Imaginieren eine Arbeit ist, die dem physischen Arbeiten ganz gleich kommt, weil sie die Muskeln anstrengt, so dass ein wirkliches Imaginieren ist wie ein wirkliches physisches Arbeiten. Daher gibt es auch eine Korrelation zwischen einer physischen Arbeit und dem Imaginieren, zum Beispiel, wenn ich da etwas Persönliches erwähnen darf, ich habe immer gefunden, zum Imaginieren hat es ungeheuer viel beigetragen, dass ich als Knabe Holz gehackt habe, Kartoffeln ausgenommen habe, mit dem Erdspaten gearbeitet habe, gesät habe und Ähnliches.      

     

Die Nähe dieser Ausführungen zum Imaginieren mit dem Muskelsystem 

zu den Ausführungen zum Lesen der „Philosophie der Freiheit“ die mit dem Knochensystem – nicht mit dem Gehirn – legt nahe, dass die Imagination und die „Philosophie der Freiheit“ in einem ebensolchen nahen inhaltlichen Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht auf der einen Seite – wie geschildert – darin, dass jede höhere Erkenntnis mit dem „ganzen Menschen“ ergriffen werden muss, und nicht nur mit dem Gehirn, das heißt nur einem kleinen Teil von diesem ganzen Menschen. Rudolf Steiner:    

Ich führe das an, damit Sie sehen, dass schon bei dem gewöhnlichen Gedanken (der „Philosophie der Freiheit“; Anmerkung IH) etwas auftritt, bei dem der ganze Mensch ergriffen wird.

 

Auf der anderen Seite könnte man sich fragen,

ob die Nähe dieser Ausführungen zum Imaginieren mit dem Muskelsystem zu den Ausführungen zum Lesen der „Philosophie der Freiheit“ bedeutet, dass man durch die „Philosophie der Freiheit“ in die Nähe der realen geistigen Welt von zumindest der Imagination kommt. – 

Was hier vorläufig schon einmal sehr schnell so beantwortet werden soll: Ja, aber Alles erstmal nur rein philosophisch und in Ideenform, man wird nicht hellsichtig. –

Aber das kann man sich nicht nur hier mit Blick auf die Ausführungen in dieser GA 316 fragen, sondern auch bei vielen anderen Ausführungen Rudolf Steiners – sogar innerhalb seiner „Philosophie der Freiheit“ selber. Und weil das so ist und auch noch an ein paar anderen Stellen exemplarisch behandelt werden soll, mache ich im Kapitelverzeichnis dieser neuen Rubrik Anthroposophie ein neues Kapitel auf: 

350 Warum erst Hinweis auf „Philosophie der Freiheit“, dann Hinweis auf „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ – oder umgekehrt? –

 

Wer sich noch ein wenig tiefer mit der Beziehung zwischen Knochensystem, Muskelsystem, 

gewöhnlichen Gedanken und den Bildern der Imagination beschäftigen will, sei auf den Vortrag vor dem obigen verwiesen. Dort gibt es auch diese kurze Passage, die einen bruchstückweise, mosaikstückchenweise, sozusagen wie hingeworfen und wie nebenbei – 

wie das so oft in den Vorträgen Rudolf Steiners geschieht – 

auf bestimmte wichtige Dinge innerhalb oder zum Verständnis der „Philosophie der Freiheit“ hinweist, die Einen sehr ans Nachdenken bringen können:     

Der Gedanke, der natürlich unterstützt ist von der sinnlichen Anschauung, gelangt eigentlich nur an das Knochensystem heran, …

Das könnte natürlich heißen, dass auch die Gedanken der „Philosophie der Freiheit“, die ja mit dem Knochensystem ergriffen werden, noch unterstützt sind von der sinnlichen Anschauung. Zwar ist die „Philosophie der Freiheit“ größtenteils im reinen Denken geschrieben, aber es gibt eben doch immer wieder Anknüpfungen an die und Beispiele aus der sinnlichen Welt. 

 

Obiger Satz könnte aber auch heißen, dass man mit Gedanken, 

die noch unterstützt sind von der sinnlichen Anschauung eigentlich nur an das Knochensystem herangelangt, aber dieses nicht greifen kann. Die reinen, sinnlichkeitsfreien Gedanken der „Philosophie der Freiheit“ bieten allerdings die Möglichkeit –

dadurch, dass sie als solche reine Gedanken gedacht werden –

Alles, was aus dem Organismus aufsteigt an Trieben, Leidenschaften und so weiter zu überwinden, und dadurch nicht nur an das Knochensystem heranzukommen, sondern dieses Knochensystem auch durch diese Gedanken von innen zu ergreifen und in dem Handeln, in der Tat des Menschen zu bewegen. Wieso?             

Das hängt zusammen moralisch mit der ganzen Stellung der «Philosophie der Freiheit» gegenüber der Freiheit der Welt. Freiheit besteht schon darin, dass man von den Knochen aus die Muskeln des Menschen in der äußeren Weit fortbewegt. Der Unfreie folgt seinen Trieben und Instinkten. Der Freie richtet sich nach den Forderungen und Erfordernissen der Welt, die er zuerst lieben muss. Er muss ein Verhältnis gewinnen zu dieser Welt.

Das muss natürlich geistig verstanden werden, nicht anatomisch.

  

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GA 316 S. 113           

Dann bedenken Sie das Folgende. Das Muskelsystem des Menschen, es wird ergriffen durch die Imagination, erkenntnismäßig ergriffen, wie ich gestern gezeigt habe, durch Imagination. Man lernt erkennen, was im Muskel wirkt, indem man zur bildhaften imaginativen Erkenntnis übergeht. Will man aber wissen, was in einem muskelartigen Organe heilend wirken kann, muss auch da die therapeutische Erkenntnis imaginativ sein. Die wahren Erkenntnisse eines Innenorganes sind inspirativ, diese sind erst wirkliche Erkenntnisse, nicht die chemischen Erkenntnisse. Aber nehmen Sie nun an, Sie wissen, irgendein Heilmittel wirke auf das menschliche Muskelsystem in irgendeiner Weise, so haben Sie dieses Wissen auf imaginative Art. Ja, aber imaginatives Wissen, das ist nicht so wie dasjenige Wissen, das man sich heute gewöhnlich vorstellt. Das Wissen, das man sich heute gewöhnlich vorstellt, das geht nämlich nicht sehr tief in den Menschen hinein, das ist eigentlich wirklich nur im Kopfe vorhanden, während jedes imaginative Wissen zu gleicher Zeit das Muskelsystem des Menschen angreift. Auch das therapeutische imaginative Wissen, meine lieben Freunde, ist so, dass Sie dieses Wissen in Ihren Muskeln spüren. Sie müssen solche Dinge nur wirklich ernst nehmen. 

Ich möchte, um Ihnen ganz verständlich zu sein, über diese Sache sogar etwas Paradoxes sprechen. Aber das Paradoxe ist hierbei die Wahrheit. Meine «Philosophie der Freiheit» ist wenig verstanden worden, weil die Leute nicht verstanden haben, sie zu lesen. Sie haben sie so gelesen, wie man ein anderes Buch liest, aber meine «Philosophie der Freiheit» ist nicht so gemeint wie andere Bücher. Meine «Philosophie der Freiheit» lebt zunächst in Gedanken, aber in richtig erlebten Gedanken. Nichterlebte Gedanken, abstrakte, logische Gedanken, wie man sie heute in der Wissenschaft ganz allgemein hat, die erlebt man im Gehirn. Solche Gedanken, wie ich sie in meiner «Philosophie der Freiheit» ausgesprochen habe – jetzt kommt das Paradoxe -, erlebt man als ganzer Mensch in seinem Knochensystem. Richtig als ganzer Mensch in seinem Knochensystem. Und das noch Paradoxere möchte ich aussprechen – das ist natürlich selbstverständlich geschehen, nur haben sie es nicht beachtet, weil sie es nicht in Zusammenhang damit gebracht haben -: wenn die Menschen meine «Philosophie der Freiheit» verstanden haben, haben sie mehrmals im Laufe des Lesens, und besonders wenn sie fertig waren, von Skeletten geträumt. Das hängt zusammen moralisch mit der ganzen Stellung der «Philosophie der Freiheit» gegenüber der Freiheit der Welt. Freiheit besteht schon darin, dass man von den Knochen aus die Muskeln des Menschen in der äußeren Weit fortbewegt. Der Unfreie folgt seinen Trieben und Instinkten. Der Freie richtet sich nach den Forderungen und Erfordernissen der Welt, die er zuerst lieben muss. Er muss ein Verhältnis gewinnen zu dieser Welt. 

Anmerkung IH: Und nicht zum Mond! Womit ich nichts anderes sagen will, als dass der angesprochene Mensch noch nicht dazu vorgedrungen ist, eine bestimmte Angelegenheit emotionsfrei, sachlich, also erdenfest zu betrachten. Der sogenannte „moderne“ Mensch lebt eben mit seinem vielgepriesenen „modernen“ Bewusstsein gar nicht auf der Erde.

Das drückt sich in der Imagination des Knochensystems aus. Innerlich ist das Knochensystem dasjenige, was die erlebten Gedanken eben erlebt. Also erlebte Gedanken erlebt man mit dem Knochensystem, mit seinem ganzen Menschen, namentlich mit seinem ganzen eigentlich erdenfesten Menschen. Es hat Leute gegeben, die wollten Bilder malen aus meinen Büchern; sie haben mir allerlei Sachen gezeigt. Sie haben die Gedanken der «Philosophie der Freiheit» in Bildform vorführen wollen. Wenn man ihren Inhalt so malen will, muss man dramatische Szenen aufführen, welche von menschlichen Skeletten ausgeführt werden. Geradeso wie die Freiheit selbst etwas ist, wobei man sich alles bloß Instinktiven entledigen muss, so ist dasjenige, was der Mensch erlebt, indem er die Gedanken der Freiheit hat, etwas, wobei er sich seines Fleisches und Blutes entledigen muss. Er muss Skelett werden, muss erdhaft werden, die Gedanken müssen wirklich erdhaft werden. Das bedeutet schon, dass man sich selbst herausarbeiten muss. 

Ich führe das an, damit Sie sehen, dass schon bei dem gewöhnlichen Gedanken etwas auftritt, bei dem der ganze Mensch ergriffen wird. Geht man von dem Gedanken zur Imagination über, so erlebt man seine Imagination im Muskelsystem. Die Inspiration erlebt man, indem man innerlich mit seinen eigenen Organen miterlebt. Man muss nur ja nicht da, wo es sich um Inspirationen handelt, den Satz vergessen: «naturalia non sunt turpia.» Denn unter Umständen werden die wunderbarsten Inspirationen mit den Nieren erlebt oder mit andern niederen Organen. Also dasjenige, was höhere Erkenntnis ist, das nimmt wirklich den ganzen Menschen in Anspruch; und derjenige bekommt keinen Eindruck von Imaginationen und Inspirationen, der nicht weiß, dass Imaginieren eine Arbeit ist, die dem physischen Arbeiten ganz gleich kommt, weil sie die Muskeln anstrengt, so dass ein wirkliches Imaginieren ist wie ein wirkliches physisches Arbeiten. Daher gibt es auch eine Korrelation zwischen einer physischen Arbeit und dem Imaginieren, zum Beispiel, wenn ich da etwas Persönliches erwähnen darf, ich habe immer gefunden, zum Imaginieren hat es ungeheuer viel beigetragen, dass ich als Knabe Holz gehackt habe, Kartoffeln ausgenommen habe, mit dem Erdspaten gearbeitet habe, gesät habe und Ähnliches. Nun ja, ich will nicht mit diesen Dingen renommieren, aber diese Dinge einmal gemacht zu haben, erleichtert das Wiederheraufbringen in die Muskeln, eine Anstrengung, um das Imaginieren leichter zu haben, gerade so, wie wenn Sie sonst etwas gewöhnt sind. So ist es, wenn Sie die Muskeln gerade in der Jugend angestrengt haben, wenn Sie später imaginieren wollen. Aber sehen Sie, da nützen einem nicht Bewegungen, die nicht Arbeit sind. Das Spielen eigentlich nützt einem für das Imaginieren nichts. Ich will nichts gegen das Spielen an sich sagen, Sie brauchen nur an meine pädagogischen Dinge heranzugehen, so werden Sie sehen, dass ich nichts gegen das Spiel habe, aber das Imaginieren bringt den ruhenden Muskel – denn es muss natürlich in der Ruhe vor sich gehen – zu einem ähnlichen Erlebnis wie eine wirkliche physische Arbeit. 

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GA 316 S. 90       

Deshalb, sehen Sie, ist es gekommen, daß als letztes Glied der menschlichen Organisation die Medizin den Flüssigkeitsmenschen verloren hat. Man kann geradezu sagen, bis in die Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts herein hatte man in der Medizin wenigstens noch eine Ahnung von dem Flüssigkeitsmenschen. Man redete von den Humores, von der Säftezirkulation, von der Säftemischung und -entmischung. Nicht nur hatte man eine Zellularphysiologie und -pathologie, sondern man hatte wirklich eine Anschauung über Säftemischung und -entmischung. Nur war im 19. Jahrhundert das alles natürlich Tradition. Aber diese Tradition führte noch zurück in Zeiten, die vor dem 16., dem 15. Jahrhundert liegen, in denen man nicht nur Tradition, sondern auch noch Erkenntnis hatte, Erkenntnis von der Art, wie wir sie heute in der Anthroposophie erringen, wiedererringen sollen in der Imagination. Die damalige Zeit hatte einen imaginativen Charakter, aber es waren instinktive Imaginationen. Und man wußte, man kann einfach den menschlichen Organismus nicht nur durch bloßes sinnliches Anschauen und Nachdenken erkennen. – Gedanken und sinnliches Anschauen ergeben nur die fest konturierten Partien des Organismus, alles was in Säftezirkulation, im flüssigen Menschen ist, das muß durch die Imagination erkannt werden. Es ist daher gar nicht zu verwundern, daß die Anschauung dieses flüssigen Menschen verlorengegangen ist, denn die alte instinktive Imagination ist verlorengegangen. Diese Anschauung wird erst wieder da sein, wenn wieder in vollbewußter Weise Imaginationen errungen sein werden. Umfassen wir das einmal, wovon wir gesprochen haben, und was da für die Erkenntnis in Aussicht stehen muß. 

Sehen Sie, indem sich das Knochenskelett aufbaut aus der Gesamtheit des menschlichen Organismus heraus, ich möchte sagen, indem
der Mensch in das Skelett hinein – es ist kein guter Ausdruck, den ich gebrauchen werde, aber Sie werden ihn verstehen -, indem der Mensch in das Skelett hineinkristallisierte, woben Weltgedanken an ihm. Und die streng begrenzten Organe sind auch nur streng begrenzt, indem sie – wir werden ihre eigentlichen Kräfte gleich kennenlernen – denselben Kräften unterworfen werden, denen der Knochenaufbau unterworfen wird, so daß man sagen kann:
Nur der Knochenaufbau ist gedankenhaft im physischen Sinne, und die andern Organe, die feste Grenzen haben, sind gedankenhaft aufgebaut aus dem Ätherischen heraus. Aber sie sind, indem sie feste Konturen haben, gedankenhaft aufgebaut, und das, was Sie heute von der Physiologie und Pathologie haben in bezug auf das Gestaltmäßige des menschlichen Organismus, das ist dem Gedankenhaften unterworfen. Aber das ist ja nur ein Glied der menschlichen Organisation, und es muß herausfallen aus der menschlichen Organisation, wenn man nicht hinaufsteigt zur Imagination. Die Imagination leitet dann hinauf zum Flüssigkeitsmenschen und zu der Art, wie aus der Flüssigkeit der Muskel gebildet wird und der Mensch in den Muskel schießt. Diese eigentümliche Zusammenfügung des fest scheinenden Muskels, der nur fest scheint, und des Blutes, da schon kommt man von dem Knochenmäßigen in das Blutartige, da muß man, um den (wirklichen; Anmerkung IH)  Menschen zu erkennen, die Imagination anwenden, so daß man also sagen kann: Der Gedanke, der natürlich unterstützt ist von der sinnlichen Anschauung, gelangt eigentlich nur an das Knochensystem heran, und alles übrige, was gesagt werden kann über den Menschen durch den Gedanken außer dem Knochensystem, ist Phantasie. Man muß aufsteigen vom Denken zur Imagination. Und wenn man zu der Imagination aufsteigt, kommt man zum Flüssigkeitsmenschen und dazu, wie der Flüssigkeitsmensch eigentlich schießt in das Muskelsystem. Und Muskeln zu begreifen in ihrer Wesenhaftigkeit ist nur möglich der Imagination. Warum? 

Ja, sehen Sie, wenn Sie Gedanken anwenden, so müssen Sie auch die Gesetzmäßigkeiten anwenden, auf die der Gedanke kommt, das ist die mechanische Gesetzmäßigkeit. Sie müssen Statik und Dynamik anwenden. Das können Sie nur beim Knochensystem. Aber wenden Sie einmal an Statik und Dynamik beim Muskelsystem, versuchen Sie aus irgendeiner Statik heraus zu rechnen, warum Sie einen Kirschkern zu zerbeißen vermögen oder gar einen Pfirsichkern. Versuchen Sie das zu errechnen. Versuchen Sie einmal das Experiment anzustellen, wieviel Gewichtsdruck dazu notwendig ist – einfach, indem man ein Gewicht auf einen Kirschenstein aufstellt -, diesen Kirschenstein zu zerdrücken. Sie zerbeißen ihn, vielleicht nicht alle von uns, aber es gibt manche, die auch Pfirsichkerne zerbeißen können. Rechnen Sie aus, ob nach mechanischen Gesetzen herauskommt, daß ein Muskel das leisten kann, Kirschkerne zu zerdrücken. Sie kommen mit dem, was der Gedanke gibt, niemals an das Muskelsystem heran. Sie können nicht. Mechanik wird in dem Augenblick, wo man an den Muskel herankommt, zum Unsinn, und man muß zu einer Erkenntnis jetzt übergehen können, welche auch hinter sich läßt die mechanischen Gesetze, welche also auffaßt das ganze Muskelbild durch Imagination, worin die gewöhnliche Schwere gar nicht ist. Denn in dem Augenblicke, wo Sie ins Flüssige hineinkommen, haben Sie es ja mit lauter Auftrieben zu tun, und Sie verrichten die Dinge, die Sie verrichten mit Ihrem Ätherleib, gar nicht mit den Gewichtsverhältnissen, sondern mit dem, was die Gewichtsverhältnisse zum großen Teil überwindet, so daß Sie schon aus diesem begreifen werden: In dem Augenblicke, wo man an das Muskelsystem herankommt, muß man eine ganz andere Erkenntnis art anwenden, das ist die Imagination, so daß man also sagen kann – nur repräsentativ, es sind überall Übergänge -, daß durch die Imagination begriffen wird das Muskelsystem. Und niemand begreift überhaupt das Muskelsystem, der es nicht gewissermaßen auffaßt als das nun nicht auf demselben Wege wie das Knochensystem entstandene Bild, das gewissermaßen durch Gerinnung des Blutes sich gebildet hat. Es ist natürlich ein ebensowenig geschickter Ausdruck, als wenn ich sage ins Knochensystem kristallisiert, aber vergleichsweise ist es doch richtig. Nun bedenken Sie, wenn Sie irgendeinen Knochen haben, etwa die Elle oder Speiche oder den Oberarm, und Sie wenden darauf die Hebelgesetze an: ja, die Knochen lassen sich das in aller Geduld gefallen. Aber betrachten Sie, währenddem Sie ganz gut mit den Hebel- und andern mechanischen Gesetzen dasjenige verstehen können, was mit der Speiche oder dem Oberarm vor sich geht, bedenken Sie, ob Sie auch werden verstehen können, was mit irgendeinem Muskel vor sich geht. Da müssen die Bilder eine weiche Struktur annehmen, müssen sich verwandeln. Das ist gerade das Wesen der Imagination, daß sie überall nachgeben kann und daß sie das umfaßt, was durch seine Metamorphose seine Substanz bedeutet. Das hat der Muskel, der Muskel lebt in seiner Metamorphose. Der Knochen läßt sich geduldig die mechanischen Gesetze gefallen, der Muskel nicht. Er ist ebenso beweglich wie die metamorphosischen Bilder – Bilder, nicht Gedanken -, die wir in der Imagination haben, um ihnen zu folgen im innerlich Beweglichen. Und sehen Sie, damit stehen wir beim festen Menschen im Knochensystem, beim festen, erdigen Menschen. Wir stehen beim Muskelsystem beim flüssigen Menschen, wäßrigen Menschen. 

Wenn wir nun aufsteigen von der Imagination zur Inspiration, dann kommen wir nun schon an den luftförmigen Menschen, an dasjenige, was im Menschen luftförmig ist. …