Die Scham

 

von Stella Hagel

 

Die Schwierigkeiten sind mal wieder in vollem Gang. Die beiden Mädchen Sophia (sechs Jahre) und Alexandra (viereinhalb Jahre) sollen sich waschen. Sie haben die Badezimmertüre verriegelt, weil sie sich genieren und ich gebe von draußen die Anweisungen an sie weiter, welche mir von ihren Eltern aufgetragen wurden. Gesicht waschen, Hände, Füttli (Po) und Zähneputzen. Pippi machen auch nicht vergessen. „Habt Ihr gehört, Ihr Beiden?“ Keine Antwort. „Hallo! Habt Ihr gehört, was ich gesagt habe?“ Undifferenziertes Gemurmel drinnen im Bad und ich habe das ungute Gefühl, dass dort gar nichts läuft. 

Nach geraumer Zeit klopfe ich erneut an die Tür. „Schluss jetzt, Ihr Beiden. Ihr kommt jetzt raus und geht ins Bett!“ Die Türe wird gnädigst aufgeschlossen. Die beiden hocken da, angezogen, ungewaschen und schauen mich verstockt und feindselig an. Großes Dilemma. Sie können alleine nicht klar kommen, können von mir aber auch keine Hilfe annehmen wegen des Genierens. 

Alexandra, die sich mehr aus Solidarität für Sophia geniert, ist aber bereit das Theater, zu beenden. Sie fragt: „Stella, häsch Du mi gwindlet, als i a chlysis Chindli gsi bi?“ (Hast Du mich gewickelt, als ich ein Baby war?) „Ja Alexandra, ich habe dich auch mal gewickelt als Du ein Baby warst“, bejahe ich. „Also denn“, meint sie, „denn hesch Du ja scho mi’s Füttli gsäh, wenn Du mi gwindlet hesch, gäll?“ (Dann hast Du ja meinen Popo gesehen) „Ja Alexandra, beim Wickeln habe ich Dein Füttli gesehen.“ „Na also“, meint sie pragmatisch, „wenn Du’s eh scho gseh hesch, denn isch es jo gliech, wenn Du’s jetzt gsesch.“ (Wenn Du es sowieso schon gesehen hast, ist es ja egal, wenn Du es jetzt siehst.) Spricht’s, zieht sich aus, um sich mit meiner Hilfe zu waschen. 

Sophia hockt weiterhin verstockt auf dem Wannenrand. Alexandra zu Sophia: „Du Sophia, d’Stella het bstimmt di’s Füttli au scho geseh, wia Du a chlysis Chindli gsi bisch, sicher het si di au gwindlet.“ „Ja“, ich bestätige, „das habe ich.“ Da trumpft Sophia aber gewaltig auf: „Jo nai, des isch ober nit des Gliechi. Wi i a chlysis Chindli gsi bi, do bin i no ganz chly und süaß gsi, des isch denn ganz öbis anderscht. Nai, des isch würkli nit des Glichi.“ (Das ist nicht ganz das Gleiche, weil ich damals noch ganz klein und süß gewesen bin.)