von Stella Hagel
Taufen sind für meine drei schweizer Nichten etwas, das sie sehr lieben. Wann immer in befreundeten Familien ein neuer kleiner Erdenbürger getauft wird, sind sie gerne dabei und nehmen das Geschehen mit großer Anteilnahme auf. Inzwischen kennen sie den Ablauf der Taufe gut und spielen ihn immer wieder in unterschiedlich verteilten Rollen zuhause nach. Einmal habe ich das Glück, bei einer solchen Puppentaufe dabei zu sein. Als ich zu Besuch komme, ist Sophia, die Älteste (fünfeinhalb Jahre) dabei, eine ihrer Puppen für die Taufe zu schmücken. Da es ihr Puppenkind ist, das getauft wird, übernimmt sie diesmal die Rolle der Mutter. Ich werde auf das kommende Ereignis vorbereitet. Sophia: „Hüt isch bi üs a Taufi. Ich bi d’ Muttr, Clarissa (zweieinhalb Jahre) isch dr Vatr, Alexandrsa (vier Jahre) isch d’ Priaschterin, dr Papi spielt d Musik und Du und’s Mami sind d’ Zuaschauer.“ Liebevoll und innig schmückt sie ihr Kind. In jedes winzige Löchlein der Spitze am Taufkleidchen steckt sie mühselig ein Blümchen und ist über das gesamte Mittagessen damit beschäftigt.
Endlich ist alles bereit. Wir werden zur Taufe im Kinderzimmer gebeten. In der richtigen Reihenfolge: Zuerst der Papi mit der Kantele, dann die Zuschauer. Im Zimmer ist alles vorbereitet. Das kleine Tischchen, darauf drei kleine Gefäße mit Wasser, Salz und Asche, zwei Reihen Stühle und dahinter noch den Platz für den Musiker. Feierlich schreiten wir hinein, der Musikerpapi setzt sich ganz hinten hin, in der zweiten Reihe die große Mami und ich. Dann ist wie bei der richtigen Taufe eine ziemliche Weile Schweigen und Warten. Endlich geht die Türe auf und herein kommt die Puppenmami, liebreich über ihr geschmücktes Kindchen geneigt. Leuchtenden Gesichts, ganz seiner wichtigen Aufgabe bewusst, stratzt die kleine Clarissa als der Puppenpapa hinterher. Sie setzen sich in die erste Reihe, und bevor uns wieder längeres Warten auferlegt wird, wird der große Papi (mein Bruder Volker) etwas ungeduldig daran erinnert, dass er doch auch für’s Liachtli anzünden verantwortlich ist. Schmunzelnd zwängt er sich durch die Reihen und erfüllt würdevoll sein Amt. Nun hat er die Kantele zu spielen. Wir lauschen andächtig seiner Musik und erwarten geduldig das Eintreten der Priesterin. Alexandra kann sich aber nur schwer entscheiden, wann der richtige Moment für ihr Eintreten gekommen ist, und so muss die Puppenmami nachhelfen: „Lexli,“ zischt sie, „Chum jetzet!“ Da geht die Tür auf und herein spaziert die zarte Priesterin. Unter dem Arm hat sie ein riesiges, dickes, schweres, schwarzes Buch. Ihr feines Gesichtchen wirkt unnahbar und versunken, und mit ihrem weißen Kleidchen mit dem abstehendem Röckchen sieht sie aus wie ein kleines Elfchen. Kurz blitzt es in ihren hellblauen Äuglein kokett und verschmitzt auf, als sie uns so brav sitzen sieht, dann ist sie wieder ernst und versunken. Das Buch wird abgelegt und die Taufe beginnt. Sie taucht sofort ihr Fingerchen in das Wasser und streicht dem Kindchen damit die Stirne ein. „Chindli“, sagt sie, „iach taufe diach“, sie stockt, – dann zur Puppenmami gewendet leise: “Jetzt han i de Name vergässe, wia heißt’s Chindli nomme?“ Der Puppenpapi souffliert der Priesterin den Namen. Nun taucht die Priesterin das Fingerchen ins Salznäpfchen, stockt aber wieder, bevor sie dem Püppchen das Kinn einreibt. Wieder flüstert sie der Puppenmami zu: „Jetzt han i scho wiada de Name vergässe, wia heißts Chindli nomme?“ „Au Mann jätzt, Lexli! Jätzt tues halt nit immer vergässe!“, stöhnt gequält die Puppenmami. Hilfreich springt der kleine Papi wieder ein. Beim dritten Mal gelingt alles gut.
Nun will die Priesterin aus der Bibel lesen. Dazu hebt sie das schwere, schwarze Buch hoch und fängt an, darin hin und her zu blättern, als suche sie etwas ganz bestimmte Stelle. Wir schmunzeln, denn wir merken, dass die etwas zerstreute Priesterin ihr Konzept verloren hat. Hin und her blättert sie und wieder zurück und wieder hin. Die Puppenmami flüstert ungeduldig: „Lexli, jetzt mach scho!“ Da hat endlich die Priesterin gefunden was sie sucht. Sie liest mit verschwebendem Stimmchen aus ihrer „Bibel“: „Liabs Chindli, i dangch Dir, dass Du net gschraue hesch. (Liebes Kindlein, ich danke Dir, dass Du nicht geschrieen hast.)“ Dann klappt sie erlöst das Buch zu. Jetzt noch das Gebet, fordert die Puppenmami. Wir beten alle „Vom Kopf bis zum Fuß“, dann kommt die Schlussmusik und das Ausblasen der Kerzen, und nach einer angemessenen Zeit der Stille verlassen wir in Reih’ und Glied würdevoll den Taufraum.