von Stella Hagel
Diagnose
Ich bekomme mal wieder eine Bronchitis. Noch habe ich selbst es aber nicht wirklich bemerkt. In der Eurythmie habe ich anscheinend öfter gehustet als sonst. Nach der Eurythmie gehe ich zu den Kindern in den Garten, um ihnen beim Spielen zuzusehen. Plötzlich schaut Sören, sechs Jahre, vom Spielen auf und sagt streng: „Frau Hagel, hast Du etwa Husten? Oder warum hustest Du dauernd?“
Winzige geschickte Männlein
Ein größeres Kind und ein ganz kleines, kaum dreijähriges Kerlchen kommen morgens zur Tür des Eurythmieraumes herein und fangen drin ein wildes Gerase an. „Halt, das geht aber nicht“, schreite ich ein. „Kommt, helft mir lieber die Bänke raustragen, die müssen raus, sonst können wir hier nachher nicht Eurythmie machen.“ Gleich sind die beiden bereit, sich behilflich zu machen und tragen mehrere Bänke zusammen raus. Der Größere packt die Kinderbank so, dass er vorwärts laufen kann. Der Kleine packt das andere Ende und muss rückwärts gehen. Ich zögere einen Augenblick mit dem Eingreifen, um zu sehen, wie er das machen wird. Der Kleine merkt, dass es rückwärts schwer geht und zögert nur kurz. Dann dreht er sich geschickt um, ohne die Bank fallenzulassen. Die Händchen halten nach hinten gestreckt die Bank fest, und er trippelt los. Ich staune über diese Geschicklichkeit, der Kerl ist ja so winzig klein. Trotzdem laufe ich schnell los, um beim vierstufigen Treppchen zu helfen. Aber trapp, trapp, trapp, die haben die Beiden es schon ganz allein geschafft.
Ein kleiner Ritter
Philipp, drei Jahre, hat es mit dem Sprechen noch etwas schwer. Als ich in die Gruppe komme, um die Kinder zur Eurythmie zu holen, ist dort große Aufregung. Die Kinder hänseln den Freund von Philipp und titulieren ihn mit einem dummen Wort. Philipp ist wütend über eine solche Behandlung und Verleumdung. Er schüttelt mich heftig und stammelt: „Hagel, Hagel, der nicht, nicht (das dumme Wort), das ist Raimund!“ Er kämpft wie ein kleiner Löwe für die Ehre und den rechten Namen seines Freundes. Ich beruhige ihn und beteure, dass ich weiß, dass sein Freund in Wirklichkeit Raimund heißt.
Als ich nächste Woche wieder in die Stunde komme, beisst – oh Schreck – eben dieser Raimund mir beim Begrüßen aus einem unerklärlichen Grund in die Hand. Es blutet nicht, aber man sieht den Abdruck der Zähne. Philipp springt erschrocken auf, schaut sich besorgt meine Hand an, dann geht er aber auf seinen Freund los. Nun wird dieser heftig geschüttelt und er schimpft ihn tief empört aus. „Raimund, Raimund, nicht Hagel beißen!“
Ein kleines Licht
Ich habe einen Tag, an dem ich traurig bin. Es gibt keinen Grund oder auch viele Gründe. Mühsam komme ich durch meine Eurythmiestunden und versuche so freundlich wie immer zu sein. Am Schluss, als ich schon den Mantel anhabe und zur Haustüre gehe, kommt Philipp von der Toilette gelaufen, sieht mich, hält einen ganzen kurzen Moment inne und überlegt. „Was nun?“, denke ich. „Warte, Frau Hagel“, sagt er da, „ich muss Dir mal einen Kuss geben.“ Er kommt zu mir, streckt beide Ärmchen aus, um mich zu sich herunter zu ziehen und gibt mir liebevoll einen Kuss auf die Wange. Dann läuft er schnell in seine Gruppe zurück. Und danach sieht der Tag wieder viel heller aus.
Viel Energie
Beide Philippe, fünfeinhalb Jahre, stürmen aus dem Kindergartenraum und ziehen sich Schuhe und Jacke an. Ich komme aus dem Eurythmiesaal und wundere mich, dass sie zu unüblicher Zeit nach draußen verschwinden wollen. So frage ich: „Nanu, wo wollt Ihr denn jetzt hin?“ Einer der Philippe unter Dampf: „Wir müssen an die Luft! Wir haben zu viel Kraft, hier drinnen hält uns keiner mehr aus!“
Schnöde Vertreibung
Es ist am Ende der Eurythmiestunde. Wir hatten gerade eine Geschichte von einem Zwergenwichtchen eurythmisiert: das Zwerglein ist müde, denn es hat viel Aufregendes den ganzen Tag erlebt. Da schlüpft das Wichtchen in sein Wurzelhaus (wir knien alle und ducken uns zusammen) und ruht sich aus. Julian, fünf Jahre, schlüpft unter meinen weiten Rock und will sich’s dort gemütlich machen. Vorsichtig ziehe ich den Rock näher an mich heran und Julian sitzt wieder draußen. Verständnislos schaut er mich an und meint empört: „He, mein Wurzelhaus!“