von Ingo Hagel
Im 19. Kapitel seines Lebensganges (GA 28 S. 266) beschreibt Rudolf Steiner die tiefen Missverständnisse, denen er mit Blick auf sein Ideenerleben ausgesetzt war. Im Folgenden zitiere ich einige längere Passagen aus diesem Buch (Hervorhebungen IH), aus denen nicht nur die Schwierigkeiten der Menschen mit dieser Weltanschauung hervorgehen, sondern die auch hilfreich sein können, um besser verstehen zu können, wie Rudolf Steiner sich einen gesunden und sicheren Weg in die reale geistige Welt dachte,
wie der rechte Weg in die geistige Welt zunächst zum Erleben der reinen Ideen führt.
Ich werde diese Darstellungen im Einzelnen nicht kommentieren. Jeder mag sich das für ihn Wertvolle heraussuchen – und für sich verwirklichen:
Wie einsam ich damals mit dem stand, was ich im stillen als meine «Weltanschauung» in mir trug, während meine Gedanken auf Goethe einerseits und Nietzsche andererseits gelenkt waren, das konnte ich auch empfinden an dem Verhältnis zu mancher Persönlichkeit, mit der ich mich freundschaftlich verbunden fühlte, und die doch mein Geistesleben energisch ablehnte.
Der Freund, den ich in jungen Jahren gewonnen hatte, nachdem unsere Ideen so aneinandergeprallt waren, daß ich ihm sagen mußte: «Wäre richtig, was du über das Wesen des Lebens denkst, so wäre ich lieber das Holzstück, auf dem meine Füße stehen, als ein Mensch», verblieb mir in Liebe und Treue zugetan. Seine warm gehaltenen Briefe aus Wien versetzten mich immer wieder an den Ort, der mir so lieb war; namentlich durch die menschlichen Beziehungen, in denen ich da leben durfte.
Aber wenn der Freund in seinen Briefen auf mein Geistesleben zu sprechen kam, da tat sich ein Abgrund auf. Er schrieb mir oft, daß ich dem ursprünglich Menschlichen mich entfremde, daß ich «meine Seelen-Impulse rationalisiere». Er hatte das Gefühl, daß bei mir das Gefühlsleben sich umwandle in ein reines Gedankenleben; und er empfand dieses als eine von mir ausgehende Kälte. Es konnte mir alles nichts helfen, was ich auch dagegen geltend machte. Ich mußte sogar bemerken, daß zeitweilig die Wärme seiner Freundschaft abnahm, weil er den Glauben nicht los werden konnte: ich müsse in dem Menschlichen erkalten, da ich mein Seelenleben in der Region des Gedankens verbrauche. Wie ich, statt im Gedankenleben zu erkalten, das ganze Menschliche in dieses Leben mitnehmen mußte, um mit ihm in der Sphäre des Gedanklichen die geistige Wirklichkeit zu ergreifen, das wollte er nicht begreifen.
Er sah nicht, daß das Rein-Menschliche verbleibt, auch wenn es in das Gebiet des Geistes sich erhebt; er sah nicht, wie man im Gedankengebiet leben könne; er vermeinte, man könne da bloß denken und müsse sich in der kalten Region des Abstrakten verlieren.
Und so machte er mich zu einem «Rationalisten». Ich empfand darin das größte Mißverständnis dessen, was auf meinen Geisteswegen lag. Alles Denken, das von der Wirklichkeit hinwegführte und in Abstraktheit auslief, war mir im Innersten zuwider. Ich war in einer Seelenverfassung, die den Gedanken aus der sinnenfälligen Welt nur bis zu der Stufe herausführen wollte, wo er droht, abstrakt zu werden; in diesem Augenblicke, sagte ich mir, müsse er den Geist ergreifen. Mein Freund sah, wie ich mit dem Gedanken aus der Welt des Physischen heraustrete; aber er gewahrte nicht, wie ich in demselben Augenblicke in das Geistige hineintrete. Und so war ihm, wenn ich von dem wirklich Geistigen sprach, dies alles ein Wesenloses; und er vernahm in meinen Worten nur ein Gewebe von abstrakten Gedanken.
Ich litt schwer unter der Tatsache, daß ich eigentlich, indem ich das mir Bedeutungsvollste aussprach, für meinen Freund von einem «Nichts» sprach. – Und so stand ich vielen Menschen gegenüber.
Ich mußte, was mir so im Leben gegenübertrat, auch an meiner Auffassung des Naturerkennens sehen. Ich konnte die rechte Methode des Forschens in der Natur nur darin anerkennen, daß man die Gedanken dazu verwendet, um die Erscheinungen der Sinne in ihren gegenseitigen Verhältnissen zu durchschauen; nicht aber konnte ich zugeben, daß man durch die Gedanken, über das Gebiet der Sinnesanschauung hinaus, Hypothesen bilde, die dann auf eine außersinnliche Wirklichkeit deuten wollen, die in Wahrheit aber nur ein Gespinnst von abstrakten Gedanken bilden. Ich wollte in dem Augenblicke, wo der Gedanke an der Feststellung dessen, was die Sinneserscheinungen, recht angeschaut, durch sich selbst aufklären, genug getan hat, nicht mit einer Hypothesenbildung, sondern mit der Anschauung, mit der Erfahrung des Geistigen beginnen, das in der Sinneswelt und im wahren Sinne nicht hinter der Sinnesanschauung wesenhaft lebt.
Auch im 20. Kapitel seines Lebensgangs greift Rudolf Steiner diese Darstellung wieder auf (GA 28 S. 299):
Eines Freundes muß ich gedenken, der ziemlich früh während meines Weimarer Aufenthaltes in meine Kreise trat, und der intim freundschaftlich mit mir verkehrte, bis ich wegging, ja auch noch dann, als ich später hie und da zu Besuch nach Weimar kam. Es war der Maler Joseph Rolletschek. Er war Deutschböhme, und nach Weimar, angezogen von der Kunstschule, gekommen. Eine Persönlichkeit, die durch und durch liebenswürdig wirkte, und mit der man im Gespräche gerne das Herz aufschloß. Rolletschek war sentimental und leicht zynisch zu gleicher Zeit; er war pessimistisch auf der einen Seite und geneigt, das Leben so gering zu schätzen auf der andern Seite, daß es ihm gar nicht der Mühe wert erschien, die Dinge so zu werten, daß zum Pessimismus Anlass sei. Viel mußte, wenn er dabei war, über die Ungerechtigkeiten des Lebens gesprochen werden; und endlos konnte er sich ereifern über das Unrecht, das die Welt an dem armen Schiller gegenüber dem schon vom Schicksal bevorzugten Goethe begangen habe.
Trotzdem täglicher Verkehr mit solchen Persönlichkeiten den Austausch des Denkens und Empfindens fortdauernd rege erhielt, war es mir in dieser weimarischen Zeit doch nicht eigen, auch zu denen ich sonst intim mich verhielt, in der unmittelbaren Art von meinem Erleben der geistigen Welt zu sprechen. Ich hielt dafür, daß eingesehen werden müsse, wie der rechte Weg in die geistige Welt zunächst zum Erleben der reinen Ideen führt. Das war es, was ich in allen Formen geltend machte, daß der Mensch, wie er Farben, Töne, Wärmequalitäten usw. in seinem bewussten Erleben haben könne, er ebenso reine, von aller äußeren Wahrnehmung unbeeinflusste, mit einem völligen Eigenleben auftretende Ideen erleben kann. Und in diesen Ideen ist der wirkliche, lebendige Geist. Alles übrige geistige Erleben im Menschen, so sagte ich damals, müsse sich aufsprießend im Bewusstsein aus diesem Ideenerleben ergeben.
Daß ich so das geistige Erleben zunächst im Ideen-Erleben suchte, führte ja zu dem Missverständnis, von dem ich schon gesprochen habe, daß selbst intime Freunde die lebendige Wirklichkeit in den Ideen nicht sahen und mich für einen Rationalisten, oder Intellektualisten nahmen.
Nun könnte man ja fragen, warum Rudolf Steiner seine Freunde
denn nicht über diese
lebendige Wirklichkeit in den Ideen
besser aufklärte. Hätte er Ihnen nicht stärker, intensiver, direkter helfen können, über deren eigenen Rationalismus und Intellektualismus hinaus zu einem Verständnis dieser
lebendigen Wirklichkeit in den Ideen
zu kommen? Das ist doch eben – damals wie heute – das große Grundproblem, dass die Menschen nicht über diesen Rationalismus und Intellektualismus hinaus zu einem Verständnis dieser
lebendigen Wirklichkeit in den Ideen
kommen können. Oder kann man Menschen, die so grundsätzlich ablehnend gegenüber einem Leben in reinen Gedanken sind, gar nicht helfen?
Auf der anderen Seite wäre Rudolf Steiner, hätte er seinen Freunden in der damaligen Zeit
diese Hilfe zukommen lassen, bereits eingetreten in eine direkte okkulte Schulung. Das wollte er nicht, diese reale geistige Welt wollte er nicht direkt ansprechen. Dazu hatte er vielleicht keinen Auftrag, dazu war es vielleicht auch in der beschriebenen damaligen Zeit seines Lebens für ihn zu früh. Er musste warten, ob ihm aus seiner Schilderung dieser reinen Ideenwelt von den Menschen ein entsprechendes Verständnis entgegenkam, dass aus deren richtigem Erleben der gesunde Weg in die reale geistige Welt ganz natürlich gegeben ist.
Um Unheil für die menschliche Seele zu vermeiden, kommt es auch überhaupt nicht darauf an, nun möglichst schnell möglichst vielen Menschen den Zugang in die reale geistige Welt zu ermöglichen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Menschen in der richtigen Weise vorbereitet sich der realen geistigen Welt nähern können. Und diesbezüglich gibt es eben keine bessere und sichere Vorbereitung als einsehen zu können,
wie der rechte Weg in die geistige Welt zunächst zum Erleben der reinen Ideen führt.
Man muss sich an diesem „rechten Weg“ abarbeiten.
Das ist gesund. Bis zum Erleben der eigenen Ohnmacht muss das Erlebnis gehen, an reinen Ideen eben so rein gar nichts erleben zu können. Das ist noch gesünder, weil es den eigenen Rationalismus und Intellektualismus heilt, der nichts anderes darstellt als den hochmütigen Glauben, die geistige Welt –
so man denn eine solche überhaupt annehmen und zugestehen kann –
so mit dem Kopf erleben zu können, wie der Mensch eben auch die übrige Sinneswelt mit dem Kopf erlebt. Zudem ist es sehr gefährlich, weil man in einem Bereich hineinkommt, in dem die Gedanken reale Mächte werden, die den unvorbereiteten Menschen ruinieren.
Dieser Kopf, den der moderne Mensch doch für das Wertvollste an sich hält,
muss für ein Erleben der realen geistigen Welt überwunden werden. Die Erarbeitung reiner Gedanken –
also zum Beispiel die der „Philosophie der Freiheit“ –
sind dazu die richtige Vorbereitung. Kann man an diesen reinen Ideen –
wozu auch die in der späteren Zeit hinzugekommenen Darstellungen der Anthroposophie Rudolf Steiners gehören –
so rein gar nichts erleben, dann wird es ganz gesund sein, dieses Projekt des Betretens einer realen geistigen Welt –
worauf viele Leute in der heutigen Zeit sehr neugierig sind –
ersteinmal eine Weile beiseitezulegen.
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