von Stella Hagel
Rosa, die kleine Schwester von David erzählt fröhlich: „Frau Hagel, der Jonas ist heute krank. Er hat dem Papa aufs Kopfkissen gekotzt.“ „Oh!“ mache ich erschrocken und sage: „Da ist es ihm aber sehr plötzlich schlecht geworden.“ „Ja!“ Rosa nickt und strahlt. „Ganz plötzlich.“ Rosa, sonst unkompliziert und brav, vertritt ihren Bruder, indem sie sich neben seinen Freund Ludwig stellt und diesem ob seiner Späßchen schöne Augen macht und ihn damit ziemlich anstachelt. Die Kinder fangen an zu lachen. Jetzt muss mir etwas einfallen. Ich frage: „Kinder, wisst Ihr, was ein Assistent ist?“ Ich spreche das Wort nicht intellektuell aus, sondern wie etwas ganz Besonderes, mit der Betonung auf dem S, welches ich schön sausen lasse. „Asssissstent.“ „Nein,“ die Kinder sind aber sehr interessiert, „was ist es denn?“ Ich frage Ludwig. „Na Ludwig, weißt Du was ein Assistent ist?“ Ludwig vermutet: „Ein Bestimmer?“ Gar nicht so schlecht, denke ich, denn das S hat ja etwas Magisches und Bestimmendes an sich. Man denke nur daran wie stark es wirkt, wenn man „Sssss“ sagt, um Ruhe zu schaffen. „Ludwig, fast hast Du es richtig geraten“, sage ich, „aber ein Assistent ist kein Bestimmer sondern ein Helfer und jetzt bräuchte ich so dringend einen Helfer in meiner Nähe, der so schön Eurythmie macht, dass die anderen Kinder es von ihm lernen können. Möchtest Du mein Assistent sein?“ „Ja.“ Ludwig ist bereit zu helfen. Er stellt sich in meiner Nähe auf, und dann macht er eine kräftige und schöne Eurythmie wie er sie bisher noch nicht gemacht hat. Wunderbar! Und das hat auf die anderen Kinder tatsächlich eine große Wirkung, denn Ludwig ist ein kleiner Anführer.
Nach unserer schönen Eurythmiestunde sollen die Kinder leise in ihren Gruppenraum zurückgehen. Sie machen das so mucksmäuschenleise, dass ich, die ich mit geschlossenen Augen im Eurythmiesaal zurückbleibe, denken soll, sie seien geflogen oder gar durchs Schlüsselloch geschlüpft, da ich noch nicht einmal die Türe hören konnte. Das ist ein Spiel, welches uns allen immer große Freude bereitet. Besonders lustig finden es die Kinder, wenn ich dann im ganzen Haus nach ihnen suche und sogar an ganz entlegenen Orten schaue, während sie doch ganz still im Kreis auf ihren Stühlchen hocken. Aber diesmal höre ich doch in der Ferne ein ziemliches Getöse. Ich gehe in den Gruppenraum, um mich von den Kindern zu verabschieden. Ich setze mich zu ihnen in die Runde, staune gebührend, dass sie so leise sein können, sage dann aber doch, dass ich ein ganz merkwürdiges Getöse gehört habe, das ziemlich laut war. „Das war der Martin!“, tönt es einmütig von allen Seiten. „Nein!“ Martin, sechs Jahre, schaut mir direkt in die Augen. „Das stimmt nicht!“ „Doch, Du warst das“, ertönt es wieder von allen Seiten. „Nein!“, Martin bleibt dabei, „ich war es nicht!“ Da überlege ich laut, ob es vielleicht ein wildes Tier gewesen sein kann, was so einen Krach gemacht hat. „Ja!“ Damit sind die Kinder einverstanden. „Es war sicher ein Wildschwein!“ freuen sie sich.
Da fällt mir ein, dass ich vor ein paar Tagen im Park Wildschweinspuren gesehen habe. Der Park war sogar ziemlich verwüstet, und ich erzähle den Kindern davon. Darüber wissen die Kinder außerordentlich gut Bescheid. „Ja! Die Wildschweine, die suchen in der Erde nach Wurzeln, die fressen nämlich Wurzeln.“ Ich staune. Das hatte ich nicht gewusst. „Von Euch kann man ja wirklich was lernen“, sage ich. Und dann kommt ein intensives Gespräch in Gang. Von allen Seiten kommen nun Geschichten über die Tiere des Waldes und ihre Gepflogenheiten. Ich staune immer mehr. „Was Ihr alles wisst!“ Allen voran weiß Simon, sechs Jahre, gut Bescheid. Das stille, zarte, blonde Bübchen gibt sonst fast nie etwas von sich. Zumindest nicht in der Eurythmie, denn da macht es so inbrünstig begeistert und eifrig Eurythmie, wie es nicht oft vorkommt. Nun läuft er zu voller Form auf. Er korrigiert sogar Ludwig, dem das nicht besonders angenehm ist und sich darum wehrt. Aber nein, Simon lässt sich nicht beirren. Er erzählt begeistert, was er weiß, und dass das in seinem Waldbuch steht.
Es war diese besonders schöne Eurythmiestunde, welche die Stimmung für unser lebhaftes und trauliches Gespräch gab, das ist mir wohl bewusst. Trotzdem überlege ich nun, wie ich das Ganze zu einem Ende führen könnte und zu meinem Abschied, denn im Kindergarten muss ja der Tagesablauf weiter gehen.
Prompt kommt nicht unfreundlich von Ludwig, der vielleicht ein klein bisschen frustriert ist, weil er korrigiert wurde. „Frau Hagel, jetzt geh Du mal wieder nach Hause!“ Ich lache: „Ja Ludwig, Du hast recht, Ihr müsst ja jetzt endlich mal frühstücken.“ Und ich verabschiede mich von ihnen. „Auf Wiedersehen liebe Kinder“, sage ich. „Auf Wiedersehen Frau Pups!“ sagt da Ludwig und schaut mich herausfordernd, aber nicht unfreundlich an.
Ich bin aber doch etwas schockiert: „Ludwig, warum sagst Du denn Frau Pups?“ Dazu muss ich erzählen, dass die Kinder in allen meinen Kindergruppen, und es sind dies immerhin zehn an der Zahl, das Gefühl haben, dass sich auf den Namen Hagel Spargel reimt. Und reimen, das tun sie gar zu gern. Ich habe ihnen auch erlaubt, Frau Spargel zu mir zu sagen, aber nur in der Spargelzeit. Und sie müssen auch selber aufpassen, wann es Spargel auf dem Markt gibt oder wann er auf den Feldern gestochen wird. Das ist hier in dieser Gegend leicht, weil es eine richtige Spargelgegend ist. In den übrigen Monaten ist Frau Spargel nicht erlaubt, und ich lasse mir auch keinen tiefgefrorenen Spargel andrehen.
Ich habe ihnen aber erlaubt, in der übrigen Zeit Frau Hagelkorn zu sagen. Und das lieben sie auch sehr. Sie scheren nur ab und zu aus, weil das Verbotene eben am allerschönsten ist. Und heute „Frau Pups!“ Das war bisher noch nicht da.
Ludwig hat dazu ein Argument. „Vorhin habe ich Dir einen Gefallen getan, und jetzt kannst Du mir auch einen Gefallen tun.“ Nun bin ich perplex. Ach was! So ist das also! So ein gewitzter kleiner Schlawiner! Der hat genau mitgekriegt, dass er mir einen Gefallen getan hat, und jetzt soll ich das bezahlen. „Wie soll ich Dir denn einen Gefallen tun, Ludwig?“, frage ich. Nun stammelt er etwas, denn das zu erklären, damit ist er überfordert. Ich meine ihn aber zu verstehen. Ich soll ihm den Gefallen tun und die Frau Pups mit Humor wegstecken, ohne Reklamation. Und da lasse ich die Sache natürlich auf sich beruhen und verlasse die Rasselbande.