von Ingo Hagel
Hier zum Beispiel in diesem Artikel habe ich erwähnt, dass auf ein intensiviertes Denken Rudolf Steiner schon in der „Philosophie der Freiheit“ hingewiesen hat:
… Mag es das Wesen des Denkens immerhin notwendig machen, daß dieses gewollt wird: es kommt darauf an, dass nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. …
Und:
… Auch dieser Einwand beruht nur auf einer ungenauen Anschauung der Sachlage. Wer ihn macht, berücksichtigt nicht, dass es das «Ich» selbst ist, das im Denken drinnen stehend seine Tätigkeit beobachtet. …
Als bloße „Info“ geben obige Sätze den meisten Menschen selbstverständlich wenig bis gar nichts. Aber wenn man über diese Sätze vertieft nachdenkt, beginnt man zu ahnen, auf was sie eigentlich bereits in dieser „Philosophie der Freiheit“, die vielen Menschen als so unverständlich und trocken erscheint, hindeuten.
Bereits mit Blick auf diese „Philosophie der Freiheit“,
das heißt mit Blick auf ein doch „relativ harmlos“, das heißt „nur philosophisch“, „nur erkenntnistheoretisch“ –
also nix mit Esoterik, Geisterwelten und so’n Kramzeug –
daherkommendes Buch kann einem bei genauerem Lesen klar werden, wie intensiv, tiefgehend, anschaubar werdend, beobachtbar werdend –
… dass es das «Ich» selbst ist, das im Denken drinnen stehend seine Tätigkeit beobachtet. …
von Rudolf Steiner die dort angesprochene Denktätigkeit gemeint war. Der Leser kann also bereits durch die „Philosophie der Freiheit“ in einer ersten, anfänglichen Art lernen, seine eigene geistige Tätigkeit zu beobachten, anzuschauen – was dann ja verschiedene Verwandlungen und Steigerungen erfahren kann.
Das traf jedoch nicht auf viel Verständnis der wenigen Leser, die sich mit diesem Buch – damals wie heute – überhaupt beschäftigen wollten.
Daher wurde Rudolf Steiner an den verschiedensten Stellen später etwas deutlicher, direkter und anschaulicher
und versuchte zum Beispiel hier in dieser GA 190 (S. 191) in einem plastischen, aber durchaus realistisch zu nehmenden Beispiel eines Denkens, das
eine Handlung wird wie irgendeine andere Handlung, wie Holzhacken,
zu schildern, wie dieses menschliche Denken gestaltet werden müsse, wenn man „zum Geiste dringen“ will (Hervorhebungen IH):
Es ist schon ein gründliches Umlernen mit Bezug auf allerwichtigste Dinge der modernen Menschheit notwendig. Weil aber diese moderne Menschheit insbesondere in der Zeit, von der ich gestern sprach, 1200 anfangend, mit dem Goetheanismus schließend, solche wie Regenwürmer durch das Gehirn ziehende Gedanken in sich aufnahm und das nicht bemerkte, geschah es, daß jene Lässigkeit, jene Passivität des Denkens eintrat, die eine charakteristische Erscheinung der neueren Zeit ist. Diese charakteristische Erscheinung der neueren Zeit ist ja das Nichtvorhandensein des Willens im Element des Denkens. Die Menschen lassen ihre Gedanken über sich kommen, sie geben sich ihnen hin, sie haben die Gedanken am liebsten als Instinkt. Auf diese Weise kann man niemals zum Geiste dringen. Man kann nur zum Geiste dringen, wenn man wahrhaft objektiv den Willen in das Denken hineinlegt, so daß das Denken eine Handlung wird wie irgendeine andere Handlung, wie Holzhacken. Haben denn die modernen Menschen wirklich das Gefühl, daß man beim Denken ermüdet? Das haben sie nicht, weil das Denken für sie keine Tätigkeit ist. Die modernen Menschen haben das Gefühl, daß man beim Holzhacken ermüdet. Daß aber für den, der nicht mit Worten, sondern mit Gedanken denkt, ebenso nach kürzerer Zeit als beim Holzhacken jene Ermüdung kommt, die ganz genau ebenso ist wie beim Holzhacken, daß man nicht weiter kann, das haben die modernen Menschen nicht, das erleben die modernen Menschen nicht.
Weil das heutige sogenannte moderne Denken so fürchterlich automatisch und von selbst abläuft,
ist es für die heutigen Menschen so ungeheuer schwer zu entdecken, dass das wirkliche Denken eine Willensangelegenheit ist – ebenso wie zum Beispiel auch das Holzhacken. Daher kommen sie auch nicht zu dem Gefühl des Ermüdens, das beim wirklichen Denken auftritt. Daher kommen sie auch nicht zu jener Konsolidierung des Seelengefüges, die nur eintritt, wenn man ein aktives und von einem selbst geführtes Denken entwickelt, bei dem letztlich nur das im Bewusstsein anwesend ist, was man selber im Denken erzeugt und zulässt – das heißt alles Andere an Vorstellungsinhalten abweist.
Durch bestimmte sich von selbst vollziehende Veränderungen im leiblich-seelischen Gefüge der Menschen
sind diese in der heutigen Zeit auf dem Wege, ganz von selbst wieder bestimmte Wahrnehmungen der übersinnlichen Welt zu erhalten. Das sogenannte dunkle Zeitalter ist eben vorbei und das lichte Zeitalter hat begonnen – wenn man es so verkürzt ausdrücken möchte. Gesund und seelisch harmonisch wird diese Entwicklung aber nur ablaufen, wenn die Menschen sich im Denken aktiv anstrengen. Dann wird es Ihnen möglich sein, das, was eine Geisteswissenschaft an übersinnlichen Forschungsergebnissen erarbeitet, gedanklich nachvollziehen zu können. Oft weist Rudolf Steiner darauf hin, dass man selber kein Okkultist werden muss, um Geisteswissenschaft zu verstehen. Dazu bedarf es nur eines „gesunden Menschenverstandes„. Aber dieser automatisch abratternde heutige Intellekt ist eben nicht gesund – sondern krank. Durch ihn kann nicht „Harmonie in die moderne Seele hineinkommen„:
Haben denn die modernen Menschen wirklich das Gefühl, daß man beim Denken ermüdet? Das haben sie nicht, weil das Denken für sie keine Tätigkeit ist. Die modernen Menschen haben das Gefühl, daß man beim Holzhacken ermüdet. Daß aber für den, der nicht mit Worten, sondern mit Gedanken denkt, ebenso nach kürzerer Zeit als beim Holzhacken jene Ermüdung kommt, die ganz genau ebenso ist wie beim Holzhacken, daß man nicht weiter kann, das haben die modernen Menschen nicht, das erleben die modernen Menschen nicht. Das muß erlebt werden, sonst wird nicht von der modernen Menschheit in ihrem Zusammenleben jener Durchgang vollbracht werden können, von dem ich nun gestern und vorgestern sprach, jener Durchgang von der sinnlichen in die übersinnliche Welt. Sie wissen, man braucht nicht hellsehend zu werden, um in die übersinnliche Welt überzugehen, sondern man braucht nur durch den gesunden Menschenverstand zu begreifen, was aus der übersinnlichen Welt heraus erforscht werden kann durch einen Hellseherweg. Nicht ist notwendig, daß die ganze Menschheit hellsehend wird, aber notwendig ist, was für jeden Menschen möglich ist: mit dem gesunden Menschenverstand die Einsichten in die geistige Welt zu bekommen. Nur auf diesem Wege kann Harmonie in die moderne Seele hineinkommen, denn diese Harmonie in den modernen Seelen geht gerade aus den Bedingungen der Zeitentwickelung heraus verloren.
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