Aus Nr. 332a der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 84:
Wer lernt, sachgemäß zu sein in der Naturbetrachtung, kann diese sachgemäße Betrachtungsweise auch übertragen auf die Geschichtsbetrachtung. Und da findet man, dass aus den Tiefen der Menschennatur hervorgehend seit der Mitte des 15. Jahrhunderts eben gerade diese Forderung nach Demokratie sich entwickelt hat und in den verschiedenen Gegenden der Erde mehr oder weniger befriedigt worden ist, diese Forderung: dass der Mensch in seinem Verhalten zu anderen Menschen nur dasjenige gelten lassen kann, was er selbst als das Richtige, als das ihm Angemessene empfindet. Das demokratische Prinzip ist aus den Tiefen der Menschennatur heraus die Signatur des menschlichen Strebens in sozialer Beziehung in der neueren Zeit geworden. Es ist eine elementare Forderung der neueren Menschheit, dieses demokratische Prinzip.
Wer diese Dinge durchschaut, der muss sie aber auch völlig ernst nehmen, der muss sich dann die Frage auf werfen: Welches ist die Bedeutung und welches sind die Grenzen des demokratischen Prinzipes? – Das demokratische Prinzip – ich habe es eben charakterisiert – besteht darinnen, dass die in einem geschlossenen sozialen Organismus zusammenlebenden Menschen Beschlüsse fassen sollen, welche aus jedem einzelnen hervorgehen. Dann können sie natürlich nur für die Gesellschaft bindende Beschlüsse dadurch werden, dass sich Majoritäten ergeben. Demokratisch wird, was in solche Majoritätsbeschlüsse einläuft, nur dann sein, wenn jeder einzelne Mensch als einzelner Mensch dem anderen einzelnen Menschen als ein gleicher gegenübersteht. Dann aber können auch nur über diejenigen Dinge Beschlüsse gefasst werden, in denen der einzelne Mensch als gleicher jedem anderen Menschen in Wirklichkeit gleich ist. Das heißt: Es können nur Beschlüsse gefasst werden auf demokratischem Boden, über die jeder mündig gewordene Mensch dadurch, dass er mündig geworden ist, urteilsfähig ist. Damit aber haben sie – ich meine so klar als nur möglich – der Demokratie ihre Grenzen gezogen. Es kann ja nur dasjenige auf dem Boden der Demokratie beschlossen werden, was man einfach dadurch beurteilen kann, dass man ein mündig gewordener Mensch ist.
Dadurch schließt sich aus von demokratischen Maßregeln alles, was sich auf die Entwickelung der menschlichen Fähigkeiten im öffentlichen Leben bezieht. Alles, was Erziehung und Unterrichtswesen, was geistiges Leben überhaupt ist, erfordert die Einsetzung des individuellen Menschen – wir werden übermorgen im genaueren davon sprechen -, erfordert vor allen Dingen wirkliche individuelle Menschenkenntnis, erfordert in dem Unterrichtenden, in dem Erziehenden besondere individuelle Fähigkeiten, die durchaus nicht dem Menschen dadurch eignen können, dass er einfach ein mündig gewordener Mensch ist. Entweder nimmt man es mit der Demokratie nicht ernst: dann lässt man sie beschließen auch über alles, was an individuellen Fähigkeiten hängt; oder man nimmt es mit der Demokratie ernst: dann muss man ausschließen von der Demokratie die Verwaltung des Geisteslebens auf der einen Seite. Man muss aber auch ausschließen von dieser Demokratie, was Wirtschaftsleben ist. Alles was ich gestern entwickelt habe, beruht auf Sachkenntnis und Fachtüchtigkeit, die sich der einzelne erwirbt in dem Lebenskreis wirtschaftlicher Art, in dem er drinnensteht. Niemals kann einfach die Mündigkeit, die Urteilsfähigkeit jedes mündig gewordenen Menschen darüber entscheiden, ob man ein guter Landwirt, ob man ein guter Industrieller und dergleichen ist. Daher können auch nicht Majoritätsbeschlüsse gefasst werden von jedem mündig gewordenen Menschen über dasjenige, was auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens zu geschehen hat.
Das heißt, das Demokratische muss ausgesondert werden von dem Boden des Geisteslebens, von dem Boden des Wirtschaftslebens. Dann ergibt sich zwischen beiden das eigentliche demokratische Staatsleben, in dem ein jeder Mensch dem anderen als urteilsfähiger, mündiger, gleicher Mensch gegenübersteht, in dem aber auch nur Majoritätsbeschlüsse gefasst werden können über das, was abhängt von der gleichen Urteilsfähigkeit aller mündig gewordenen Menschen.
Wer diese Dinge, die ich eben ausgesprochen habe, nicht einfach abstrakt denkend sagt, sondern sie am Leben abmisst, der sieht, dass die Menschen gerade deshalb sich über diese Dinge täuschen, weil sie eigentlich unbequem vorzustellen sind, weil man nicht den Mut entwickeln möchte, in die letzten Konsequenzen dieses menschlichen Vorstellens einzudringen.
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