Chefredakteur der WirtschaftsWoche: Sozialpolitik nur eine moderne Form der Stallhasenhaltung, in der die Insassen Selbstverantwortung und Freiheitsrechte gegen den Anspruch auf Fütterung eintauschen

 

von Ingo Hagel 

 

Deutschland ist ein sozialpolitisches Musterland. Warum reden, rechnen und politisieren wir uns so zwanghaft arm?

Roland Tichy, Chefredakteur der WirtschaftsWoche

 

In einem Artikel in der WirtschaftsWoche meinte Roland Tichy, dessen Chefredakteur:

„Die letzten liberalen Ultras meinen, dass Sozialpolitik nur eine moderne Form der Stallhasenhaltung ist, in der die Insassen Selbstverantwortung und Freiheitsrechte gegen den Anspruch auf Fütterung eintauschen und die Sozialbürokratie zum gesellschaftlichen Hegemon wird.“ 

So weit müsse man zwar nicht gehen, meinte Herr Tichy, der so etwas selber ja niemals sagen oder schreiben würde, jedenfalls nicht „so“ dermaßen „weit“, Gottbewahre, aber „die letzten liberalen Ultras“ eben, und der Journalist Herr Tichy hat doch eine Informationspflicht gegenüber den geneigten Lesern seines Blattes. So ist diese zynische Bemerkung doch aufs Papier oder in die PC-Tasten des Herrn Tichy geflutscht.

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Aber jedenfalls ist er gegen diese „kontinuierliche Ausdehnung des Sozialstaats unter allen Parteien“. Er ist dagegen, dass „weiter Geld für fragwürdige Hilfen verschleudert“ wird, anstatt dass man den Zugang in den Arbeitsmarkt verbessert. Und „Mindestlöhne und starre Arbeitsmärkte“ – und nicht etwa die desaströse Sparpolitik der Troika – sieht Tichy als Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich, Italien und Spanien an.

Für Tichy ist die menschliche Arbeit eine Ware, die auf dem „Arbeitsmarkt“ – wie andere Waren auch – und also auch nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehandelt wird. Dann schwadroniert er sich so richtig in Rage: „Denn nur Arbeit schafft neben Lohn auch jene Wertschätzung, die die Menschen so dringend brauchen.“ Warum die Arbeit für die Hunger- und Niedriglöhne, die rund 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland beziehen,  „Wertschätzung“ schaffen sollen, das weiß er sicher selber nicht. Es wäre mal interessant zu erfahren, wie viele Journalisten in niedrigbezahlten Jobs bei der WirtschaftsWoche schuften, und damit die höherdotierten Stellen ihrer Kollegen mitfinanzieren – einschließlich des von „Wertschätzung“ salbadernden Herrn Tichy. Der österreichische Journalist Robert Misik hat mal sehr anschaulich und exemplarisch geschildert, wie das geht.

Der Chefredakteur der WirtschaftsWoche Roland Tichy gehört zu den vielen reaktionären Kräften in Europa, die mit ihren rückwärtsgewandten Vorstellungen von „Arbeitsmarkt“, „Wertschätzung“ usw. den sozialen Fortschritt blockieren. Dieser Fortschritt wird jedoch darin bestehen, in der menschlichen Arbeit eben keine Ware auf dem Arbeitsmarkt mehr zu sehen.

Tichy ist nur der schreibende Handlanger der Schicht von Regierenden eines Schlages des italienischen Premierministers Monti, der gerade das Ende der solidarischen Gesellschaft verkündete:

Es ist soweit. Die Krise hat ein Stadium erreicht, in dem Banker und Politiker den Menschen jetzt auch eines ihrer vornehmsten Rechte verweigern wollen: das Recht auf Solidarität, auf medizinische Versorgung und Sicherheit im Alter.

Aber das ist alles natürlich völlig wurscht, denn der Spiegel schreibt sehr zustimmend zu Italiens Goldman Sachs „Expertenregierung“ und den nicht gewählten Premierminister Monti: Mach’s noch einmal, Super-Mario:

Wirtschaft und Vatikan, Politiker verschiedener Parteien und die EU-Nachbarn sowieso: Sie alle befürworten eine zweite Amtszeit für Italiens Regierungschef Monti. Der steht zwar gar nicht zur Wahl – trotzdem hat er gute Chancen, am Ende als Gewinner dazustehen.

Webster Tarpley hatte ja bereits im Sommer 2012 vor den brutalen Kürzungen der Sozialprogramme in Amerika und der Welt für die Zeit nach der Präsidentenwahl gewarnt.

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Nun sind wir mitten drin. Und es ist der Chef der US-Bank Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, die ja zu dem Wolfsrudel an kapitalistischen Institutionen gehört, die mit ihren Machenschaften der sogenannten Finanzkrise,

s. dazu:

Zur Finanzkrise – wie dieser Anschlag des anglo-amerikanischen Finanzsystems durchgeführt wurde

Zur Finanzkrise

 die entgegen landläufiger Meinung einen Wirtschaftskrieg der USA gegen die Welt und Europa mit Hilfe eines entfesselten Kapitalmarktes darstellt

s. dazu

Max Otte bestätigt: „Wir befinden uns im Wirtschaftskrieg USA gegen Europa“

nun der Politik den Ton angibt (Hervorhebungen IH):

„Sie müssen zweifellos etwas tun, um die Erwartungen und Ansprüche der Menschen zu reduzieren. Also das, was sie zu bekommen glauben. Denn sie werden es nicht bekommen“, sagt Lloyd Blankfein. Auf die Frage, ob er damit soziale Sicherheit und medizinische Versorgung meine, antwortete Blankfein, der von sich selbst behauptet, das „Werk Gottes“ zu verrichten: „Das Sozialsystem war nicht dazu gedacht, Menschen nach 25 Jahren Karriere 30 Jahre lang zu unterstützen. Also werden sich einige Dinge grundlegend ändern müssen. Etwa das Rentenalter, möglichweise müssen wir die Zahlungen anpassen oder die Inflationsanpassung neu justieren. Aber generell müssen die Ansprüche sinken.

Und es wird sich zeigen, ob die Menschen sich mit fruchtbareren sozialen Ideen befassen wollen als mit Auswanderungsplänen nach Uruguay, Australien und Norwegen.

Die Gesichtspunkte des Wirtschaftslebens können niemals für die Gestaltung des sozialen Versorgungs-Systems einer Gesellschaft maßgebend sein, denn bei letzteren handelt es sich um ein Recht – und zwar der einzelnen Menschen gegenüber der ganzen menschlichen Gemeinschaft (Gesellschaft). Wie weit dieses Recht zu gehen hat, hängt von dem Rechtsempfinden in der Gesellschaft (und nicht der Banken und des Wirtschaftslebens), den Abmachungen innerhalb der Gesellschaft und deren finanzieller Leistungsfähigkeit ab.

Und so schrieb ich schon im März 2012 mit Blick auf den

Post-Chef Frank Appel, der niedrigere Sozialleistungen für Schlechtverdiener durchsetzen will:

Diese Gesichtspunkte sind typisch für die Arbeitsweise im Wirtschaftsleben; sie sind auch im dazugehörigen Konsumbereich angebracht, aber nicht im Sozialbereich. Natürlich muss eine Firma Mitarbeiter entlassen, wenn diese im Betrieb keine Aufgabe mehr zu erfüllen haben. Aber eine Gesellschaft kann nicht ihre Alten, Kranken und Arbeitslosen in die Wüste schicken oder sich selbst überlassen, weil sie zu hohe Kosten verursachen.

Anmerkung: Es ist nicht die Aufgabe eines Unternehmens, die Menschen einer Gesellschaft unter allen Umständen in Lohn und Brot zu halten. Wenn Mitarbeiter – zum Beispiel wegen Rationalisierungen – entlassen werden müssen, werden diese eigentlich an anderer Stelle der Gesellschaft gebraucht. Denn es gibt eigentlich keine Arbeitslosigkeit – es gibt aufgrund kranker Geldflüsse nur immer weniger Geld, um die in einer Gesellschaft nötige Arbeit zu bezahlen.

Selbstverständlich darf das Rechts- und sein Sozialsystem nicht mit überzogenen Forderungen ruiniert werden. Aber die Diskussion darüber muss vom Rechtsleben und nicht von Vertretern des Wirtschaftslebens aus deren Gesichtspunkten heraus geführt werden.

Appel meint, dass „Steuer- und Sozialversicherungssysteme vollständig voneinander entkoppelt werden“ müssen. Was für ein Unsinn. Denn selbstverständlich hat das Rechtsleben das Recht, sein Funktionieren – und zu diesen Funktionen gehören nun mal neben verschiedenen anderen Bereichen auch die Absicherung der Kranken, Arbeitslosen und Rentner – durch Steuern oder Abgaben zu sichern. Über die Höhe dieser Steuer darf allein das Rechtsleben entscheiden. Es kann gar nicht anders gehen als über Steuern oder Abgaben. Das Rechtsleben hat ja – wie das Wirtschaftsleben – kein Produkt zu vermarkten. In diesem gelten nicht die Wirtschaftsprinzipien sondern die Prinzipien der Menschlichkeit, das heißt eines bestimmten Verhältnisses von Mensch zu Mensch. Man kann fragen: Welche Auffassungen herrschen davon in einer Gesellschaft? Was soll finanziert werden? Und danach müssen eben die von den Menschen zu entrichtenden Steuern ausfallen? Darüber hat aber nicht das Wirtschaftsleben zu bestimmen, sondern die Menschen, die Vertreter des Rechtsleben sind. Dass dieses Rechtsleben – wie auch das freie Geistesleben – heute immer mehr vom Wirtschaftsleben okkupiert wird, das sich wie ein großes gesellschaftliches Krebsgeschwür ausbreitet, steht auf einem anderen Blatt. Hier muss eben die Gesundung ansetzen, indem diese drei Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – Wirtschaftsleben, Rechtsleben und freies Geistesleben – voneinander getrennt und als selbständige Organisationen nebeneinander hingestellt werden.

 

 

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