von Ingo Hagel
Bundestagspräsident Lammert (CDU) sprach kürzlich bei der Eröffnung des neuen Hauptstadtquartiers der Stiftung Familienunternehmen in Berlin über die immer krasser werdenden Einkommensunterschiede in Deutschland.Er sprach von einer
“erstaunlichen Gabelung bei den Gehältern”. …. “Ungleichheit wird zu einem Problem, wenn es keinen Zusammenhang mehr gibt zwischen individuellem Einkommen und individueller Leistung.” …. “Es muss Sie mindestens so sehr besorgen wie mich, dass drei Viertel der in Deutschland lebenden Bevölkerung die bestehende Einkommens- und Vermögensverteilung für ungerecht empfinden.”
Zudem forderte er höhere Steuern für Spitzenverdiener. In der Tat findet sich ein sehr anschauliches Bild für diese immer weiter sich vollziehende Einkommensspreizung in Peter Bofingers Buch „Ist der Markt noch zu retten?“
Abbildung: Durchschnittliche Vorstandsbezüge der DAX-Vorstände im Verhältnis zu einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen
Demnach betrugen in den Jahren 1987 – 1995 die durchschnittlichen Bezüge der Vorstände von im DAX notierten Unternehmen „nur“ das 23 – 27fache eines durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens. In den Jahren danach steigerte sich dieses Verhältnis immer mehr, bis im Jahr 2007 ein solcher Vorstand das 110fache des Gehaltes eines durchschnittlichen Arbeitnehmers erhielt. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Spreizung der Gehälter sich in einer Zeit vollzog, in der den übrigen Arbeitnehmern mit Blick auf eine Sicherung ihrer Arbeitsplätze äußerste Lohnzurückhaltung und Lohnverzicht aufgezwungen wurde:
Laut einer Studie ist das durchschnittliche Monatseinkommen im vergangenen Jahrzehnt real um 93 Euro geschrumpft. Der Trend hält an – und das liegt nicht nur am Billiglohn-Boom. ….
Sehenswert sind auch die dort aufgeführten Grafiken zu den stagnierenden Brutto- und Nettolöhnen ab 2000.
Und nicht nur das: Seit 10 Jahren haben wir in Deutschland sinkende Reallöhne. Es gäbe also eigentlich allen Grund, sich für eine andere und gerechtere Verteilung des in einer Firma erwirtschafteten Erlöses einzusetzen. Aber merkwürdigerweise verweigert sich die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer einer Gehaltserhöhung. So brachte N24 das Ergebnis einer Studie des Meinungsforschungsinstitutes Emnid:
Nach Emnid steht die Mehrheit der Deutschen mehr auf der Seite der Arbeitgeber, nicht der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften hätten offensichtlich ein etwas falsches Bild von den Deutschen, diese tickten anders: Es wurde die Frage gestellt: Wollen wir jetzt, weil es uns gut geht, eine relativ hohe Lohnforderung durchsetzen, oder wollen wir wegen einer möglichen Krise eine gemäßigte Lohnforderung durchsetzen. Und siehe da: Im Verhältnis 2:1 (das heißt 66,6 %) waren die Befragten für eine gemäßigte Lohnforderung. Die Arbeitsplätze sind das höchste Gut der Deutschen, und die sollen unter allen Umständen gewahrt bleiben.
Offenbar haben die Deutschen Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Das ist verständlich. Aber warum verharrt man in dieser vorauseilend unterwürfigen und ideell anspruchslosen Verzichtshaltung? Man könnte ja in Zeiten wirtschaftlicher Enge und Klammheit gedanklich umso offener für Ideen werden, die das Zeug haben, diesen ungerechten Verhältnissen ein Ende zu bereiten. Denn es geht ja gar nicht um nur um die Höhe des Lohnes. Der eigentlich wichtige Aspekt ist der, dass menschliche Arbeitskraft nicht mehr wie eine Ware verkauft werden darf.Zudem sind Arbeit und Einkommen des Menschen zu trennen – sie haben nichts miteinander zu tun. Denn eine Ware, die man nicht absetzen kann, muss bedauerlicherweise verderben. Dasselbe darf mit einem Menschen, der keine Arbeit findet, nicht geschehen. Darüber herrscht im Grunde in weiten Kreisen ein mehr oder weniger bewusster Konsens. Und schließlich geht es nicht um Lohn, sondern um eine gerechte Verteilung des von allen am Arbeitsprozess Beteiligten gemeinsam erwirtschafteten Erlöses. Alle Tätigen einer Firma – ob nun Arbeiter, Management, der Unternehmer oder Chef – haben gemeinsam ein Produkt hergestellt. Alle gemeinsam haben also das Recht, den Erlös unter sich zu verteilen. Über den Verteilungsschlüssel müssen alle gemeinsam verhandeln. Es ist unrecht, wenn der Unternehmer die übrigen am Arbeitsprozess Beteiligten nur ungenügend abspeist und für sich den Löwenanteil behält. Bofingers Grafik beweist es überdeutlich: bei dieser Art von Teilung über Löhne wird der wirtschaftlich Schwache nur übers Ohr gehauen. Und schließlich gehört auch dieses noch zu dem beschriebenen neuen Teilungsverhältnis: Dass die Arbeiter sagen können: Ja, es herrschen schwere Zeiten, und wir verzichten auf Lohnerhöhungen, wir nehmen sogar geringere Verdienste in Kauf. Aber bitte sehr, dann gilt das für das Management und den Chef der Firma auch. Das ist etwas von dem, was kommen muss, sollen die kranken sozialen Zustände gesunden Verhältnissen weichen.
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