von Ingo Hagel
Die Menschen haben kaum eine Ahnung, was für gewaltige Brüche und Verwerfungen im Gefüge der westlichen Gesellschaften sich vollziehen. Zwar werden zuweilen an den Bruchstellen des brodelnden Magmas große Vulkankegel aufgeworfen, die den schlafenden Menschen, die auf diesen Aschehaufen der westlichen Kultur ihre Sonntagnachmittagsverdauungsspaziergänge machen, spitze Schreie der Bewunderung entlocken (Oh, so schöne, freie Aussicht hier!). Oder die blubbernden Blasen werfen das neue internationale Wort des Jahres nach oben: Postfaktisch!
Oxford Dictionaries definieren den Begriff als Beschreibung von „Umständen, in denen objektive Fakten weniger Einfluss auf die Bildung der öffentlichen Meinung haben als Bezüge zu Gefühlen und persönlichem Glauben“.
schrieb der Spiegel und ließ es sich nicht nehmen, zur Verdeutlichung ein Bild von Donald Trump zu bringen mit dem Untertitel:
Postfaktisch: Menschen lassen sich von ihren Gefühlen leiten, etwa bei der US-Wahl.
Na klar doch! Wäre Hillary Clinton gewählt worden, dann wäre das alles natürlich gaaaaanz anders gewesen, ganz rational und faktisch. So natürlich nur: Postfaktisch.
Auch die Tagesschau brabbelte dem gutgläubigen Bad Deutschburger Fernsehlemuren irgendetwas Passendes in Ohr und Auge:
Seit dem Brexit und der US-Wahl ist ein neuer Begriff in aller Munde: „Postfaktisch“ bezeichnet ein politisches Handeln und Denken, bei dem Fakten nicht mehr im Mittelpunkt stehen. …..
Und natürlich sind die „Sozialen Medien als Nachrichtenquelle“ schuld:
„Angetrieben von dem Aufstieg der Sozialen Medien als Nachrichtenquelle und einem wachsenden Misstrauen gegenüber Fakten, die vom Establishment angeboten werden“, habe das Konzept des Postfaktischen seit einiger Zeit an Boden gewonnen, sagte Oxford-Dictionaries-Chef Casper Grathwohl zur Begründung.
Wie schrieb vor einer Weile der verdienstvolle Wolfgang Koschnick in diesem Beitrag:
Von der Meinung der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann, die öffentliche Geringschätzung der Politik untergrabe die Fundamente der Demokratie, sei gerade das Gegenteil wahr:
„Die Politik hat das Vertrauen der Bevölkerung untergraben und missachtet. Verdrossenheit ist keine Stimmungsschwankung der Bevölkerung. Es ist die Reaktion auf die Missachtung des allgemeinen Wohls durch die gewählten Repräsentanten und ihre Politik.“
Die unabhängigen Medien des Internets, die Aufklärer, beschäftigen sich immer wieder damit, die Sauereien, die die Mainstreammedien, die Presstituierten, die Parteien, Politiker, die Eliten, Wirtschaftsführer und so weiter hier anrichten, zurechtzurücken. Sie weisen hin auf fehlende Fakten, also verschwiegene Fakten, auf falsche „Fakten“, also Lügen, das heißt „Fakten“, die keine sind sondern nur Propaganda der herrschenden Klasse. Ihre verdienstvolle Arbeit besteht darin, ein „Faktum“ oder ein nicht vorhandenes oder nicht zutreffendes Faktum durch ein anderes Faktum, im besten Falle also eines, das der Wirklichkeit etwas näher kommt, zu ersetzen.
Aber selbst das interessiert die Menschen heute so wenig, dass man sich genötigt sah, auf
ein politisches Handeln und Denken,
hinzuweisen
bei dem Fakten nicht mehr im Mittelpunkt stehen.
„Postfaktisch“ wurde also zum Internationalen Wort des Jahres gekürt. Zu dieser Problematik hat auch Jens Berger von den Nachdenkseiten etwas geschrieben:
„Postfaktisch?“ Was soll denn nun dieser Unsinn schon wieder?
Am 19. September erklärte die Kanzlerin nach der verlorenen Berlin-Wahl, „wir lebten in postfaktischen Zeiten, [da] die Menschen sich nicht mehr für Fakten [interessierten], sondern alleine den Gefühlen [folgen]“. …… Und von wem wird dieser „postfaktische“ Unsinn von einer „postfaktischen“ Politik pausenlos nachgeplappert? Na klar. Von unseren lieben Alpha-Journalisten, die tief im Inneren ja immer noch glauben, sie hätten die Deutungshoheit über die Frage, was Fakt ist und was nicht. Wie kleine Kinder brabbeln sie nun sinnlos nach, was ihre liebe Kanzlerin gesagt hat. …..
Die Problematik – die postfaktische Problematik – ist also die:
Angetrieben auch –
denn das Phänomen hat daneben viele Gründe und Ursachen, bis hinein in die Erziehung und Schul- beziehungsweise sogenannte „höhere“ Ausbildung –
durch dieses völlig unangemessene Verhalten der heutigen Medien, „Journalisten“, Politikdarsteller und so weiter, die ihrer Pflicht zum Faktischen der Beobachtung nicht nachkommen, ist ein derart verderblicher Boden geschaffen wurden worden, der viele Menschen überhaupt bei der Suche nach den wahren Fakten verzweifeln lässt. Sie wenden sich von dieser Suche ab, das Faktische interessiert sie nicht mehr. Sie wenden sich von dem Faktischen ab und dem Postfaktischen zu, also ihren Gefühlen. In diesem glaubt der Mensch, wirklich noch etwas erleben zu können.
Ich will jetzt hier nicht darauf eingehen, inwiefern und in wieweit sich die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt für Fakten und vielleicht noch die dazugehörigen Begriffe interessiert haben – oder inwieweit es doch immer nur um das kreatürliche Leben des kleinen Tierchens (naiver Mensch) ging: Also Nahrungsaufnahme, Wohnen, Leben, Essen, Trinken, Kinder oder einfach nur Sex machen, und natürlich: Deutschland zu einem in der Welt geschätzten Hochtechnologieland und Exportweltmeister zu machen. Na klar, das ist alles wichtig, und das braucht man auch für sein Leben – ich habe oft darauf hingewiesen – aber nur damit kann man als menschliche Gemeinschaft, Gesellschaft, Volk, heute nicht mehr zuversichtlich in die Zukunft blicken. Also:
Warum sagte ich oben: „der Wirklichkeit etwas näher kommt“?
Wer meine diesbezüglichen Artikel zu Rudolf Steiners Buch „Die Philosophie der Freiheit“ gelesen hat, ist mit dieser Problematik vertraut, dass selbst ein richtiges Faktum, eine richtige Beobachtung, eine zutreffende Beobachtung, also ein wahres Faktum, –
im Gegensatz zu den falschen, verdrehten, weggelassenen, Arm umgedrehten, Schultergelenk ausgekugelten und so weiter Fakten der heutigen Scheinwelt, sei es die Welt der Medien oder der ganze abgefahrene Zirkus unserer „modern-wissenschaftlich-objektiv“ geprägten Welt, der uns jeden Tag umgibt –
nicht die Wirklichkeit darstellt. Diese wird erst hergestellt und erreicht, wenn zu einem Faktum, also zu einer gegebenen Beobachtung in der Sinneswelt der entsprechende Begriff beziehungsweise die Idee gefunden und hinzugefügt wird. Siehe dazu zum Beispiel hier und hier und hier.
Aber wir leben heute eben in den Konsequenzen der Taten beziehungsweise Nicht-Taten von vielen Jahrzehnten.
Wir leben in einer Welt, in der noch nicht einmal nur die Begriffe zu den Fakten fehlen, nein, wir leben in einer Welt, in der die Fakten selber so verdreht sind, dass diese Kommission des Oxford Dictionary sich veranlasst sieht, daraus ein internationales Wort des Jahres zu prägen. Natürlich schoben sie die Schuld dafür nicht den eigentlichen Kriminellen, sondern den Tatortreinigern, das heißt den Aufklärern der unabhängigen Medien des Internets in die Schuhe.
Die Welt hatte über 120 Jahre nach dem Erscheinen von Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ im Jahre 1894 Zeit, sich um diese Dinge zu kümmern. Es hätte ungeheuer viel für das geistige Leben –
das ja die entscheidende Grundlage für viele andere Bereiche des sozialen Lebens darstellt (Schule, Ausbildung, Forschung, Kunst, Kultur, geistiges Leben, Wirtschaftsleben und Rechtsleben, also Politik) –
hier in der deutschsprachigen Welt bedeutet, wenn wenigstens die Exponenten des geistigen Lebens (also Lehrer, Professoren, Richter, Wissenschaftler, Ausbilder, Künstler, Journalisten, Autoren und so weiter) diesen Aspekt der „Philosophie der Freiheit“ für sich und ihre Arbeit realisiert hätten: Niemals in dem Faktischen als solchem – also der Beobachtung, der Sinneswahrnehmung, und sei diese noch so richtig und zutreffend – die ganze Wirklichkeit zu sehen. Immer muss zu dem Faktischen der Begriff aktiv vom Menschen hinzugefügt werden. Letzterer ist dem Menschen nicht durch die passive Beobachtung, wie die anderen sinnlichen Fakten der Sinneswelt, gegeben. Er muss aktiv erarbeitet werden.
Dass man dieses Prinzip nur für den Bereich der Technik, der toten Mechanik, Elektronik und so weiter ausgebildet hat, ist ein Versäumnis, dessen Tragweite bis heute nicht erkannt wird. Bereits die Wissenschaften vom Leben (Biologie, Bio-Logos, das Wort vom Leben) sind mit diesem Anspruch, dieses Leben zu erkennen, grandios gescheitert. Sie retten sich dadurch, dass sie das Leben auf das Tote reduzieren, also auf das, was das Leben aus sich heraussondert und der Sinnesbeobachtung zugänglich macht. Daher merken Sie nicht, dass das Faktische, dass sie erarbeiten und lehren (sogenannte objektive, moderne Naturwissenschaft), der Wirklichkeit nicht gerecht wird (siehe dazu zum Beispiel hier und hier und hier). Hätte man wirklich auch nur einigermaßen erschöpfend die Beobachtungen – also das Faktische der Sinneswelt – mit Begriffen durchdrungen, dann hätte man gemerkt, wie diese Naturwissenschaft, die dem Studierenden sowie dem übrigen Fernsehvolk immer so als real und wirklich, also faktisch dargebracht wird, einem unter den Fingern zerrinnt, sich auflöst, mehr Fragen erzeugt, als sie beantwortet – also nichts weniger als faktisch ist.
Eine weitere Stufe des geistigen Lebens wäre dann gewesen, nicht nur die Begriffe an der Sinneswelt auszubilden, sondern in das Feld des Faktischen, also der Beobachtungen, das hineinzubekommen, was sonst nie beobachtet wird: das Denken selber.
Begriffe an der Sinneswelt auszubilden: Das hat man ja im Bereich der Technik bis zum Exzess gemacht. Nicht dass es falsch wäre, aber es ist völlig ungenügend, um eine tragfähige Kultur zu begründen, die des Namens wert wäre. Daher ist diese „Kultur“, die der Signatur der Zeit nicht mehr angemessen ist, auch dabei, mitsamt ihren westlichen Werten unterzugehen.
Die letzten über 120 Jahre nach der Veröffentlichung von Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ hätten also dazu benutzt werden können, das Denken selber – das bis jetzt ja immer „das unbeobachtete Element unseres gewöhnlichen Geisteslebens“ war (Rudolf Steiner) – zu beobachten und damit zu einem Faktischen zu erheben.
Wäre das geschehen, hätte man dieses verlebendigende Prinzip einer Beobachtung des eigenen Denkens dem untergehenden und absterbenden Denken der heutigen sogenannten „modernen“ Naturwissenschaft – die jedoch als Faktisches nur die Beobachtungen der Sinneswelt anerkennen will –
wie immer hier gesagt: Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden, weil das ein ungeheuer gutes Erziehungsmittel zum sauberen Denken ist, und, wie immer hier gesagt: Ich habe nichts gegen diese Naturwissenschaft, aber sie ist eben hemmungslos einseitig –
erweiternd entgegengestellt, dann hätte diese Wissenschaft, die ja die Grundlage unserer heutigen Kultur ist, den Schlüssel in der Hand gehabt, befruchtend und erneuernd und auf ihre eigene Zukunft und auf gesamte soziale Leben einzuwirken.
Zusammenfassung. Wir reiben uns die Augen. Was ist nur geschehen?
Erstens: Das Faktische, also die Beobachtung und Darstellung des Faktischen in der Sinneswelt, wurde postfaktisch durch haufenweise Lügen und Propaganda ersetzt – und zwar nicht nur im Bereich der Medien, sondern auch im Bereich der Naturwissenschaften.
Daraufhin interessierte das Faktische – das ja keines mehr war – auch die, die es eigentlich interessieren sollte, nämlich das Volk, nicht mehr. Dieses durchaus mit einem gewissen Recht. Die Menschen koppeln sich ab und wenden sich dem Gefühl zu. Eine Gruppe von Kulturbeobachtern sah sich gezwungen, ein neues internationales Wort des Jahres anzumerken: Postfaktisch! Also mal wieder Diagnose, und keine Therapie.
Dass der gesamte Bereich der Intelligenz dieser Welt, also die unabhängigen Medien des Internets zum Beispiel, dagegen aufbegehren, das macht der Regierung natürlich Sorgen:
Deshalb sollte in Zukunft das Internet besser reguliert werden, aber auch um auch Schaden von der politischen Landschaft abzuwenden.
Zweitens: Die Beobachtung des Faktischen mit Begriffen zu durchdringen, das wird nur bis zur Ausgestaltung der Technik getrieben, bitte nicht weiter, Ende Gelände, Durchfahrt verboten. Darüber hinaus ist alles No-Go-Area. Denn letztere gibt es nicht nur seit langem für die Wissenschaft, seit längerem für die deutsche Polizei, und (neuerdings) auch für den deutschen Paketdienst:
Keine No-Go-Areas – Was? Nee. Wirklich nicht. Haltlose Gerüchte.
No-Go-Areas gibt es in Deutschland nicht. Wie kommen Sie darauf? Alles wunderbar.
So dümpelte seit langer Zeit das sogenannte deutsche Geistesleben einem Leben, nein, einem Sterben entgegen, das heißt dem Treiben des deutschen Ungeistes in die Arme. Nur eine natürliche Folge dieses deutschen Ungeistes sind die verschiedenen hässlichen Randerscheinungen auf sozialem Gebiet.
Drittens: Denken war bis jetzt immer ganz ok. Aber bitte immer nur an dem Krückstock der Sinneswelt entlang (und selbst da nur mit der Note „kaum noch ausreichend“). Bitte nicht übergehen in das reine, sinnlichkeitsfreie Denken (zum Beispiel von Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“). Und bitte auch nicht das Denken selber beobachten.
Deutschland hat sich dieser Verweigerung lustvoll und im Brustton der Überzeugung (Wir sind doch nicht blöd!) hingegeben. Es wurde ja auch reichlich vom widerrechtlichen Fürsten dieser Welt mit Wirtschaftswunderland, Exportweltmeisterpreisen, Autos, Fernsehern, Smartphones, Eigenheimen, Urlaubsreisen und so weiter narkotisiert (naja, die rund ein Viertel Niedriglöhner, dazu die Leiharbeiter, Werkvertragler, Hartz 4ler und so weiter lassen wir jetzt mal außen vor). Aber es hatte zur Folge, dass immer mehr Menschen trotz der zweifellosen Segnungen dieser Welt ratlos und desorientiert durch die Welt gehen, weil sie sich selbst verloren haben. Das reine Denken ist nun mal der Schöpfer des Ich. Verweigert man sich also dem reinen Denken, verliert der Mensch sein Ich, dann verliert er letztlich nicht nur die Segnungen dieser Gegenstandswelt, sondern auch sich selbst.
Also: Worum geht es eigentlich in dieser heutigen Zeit, beziehungsweise schon seit längerem mit Bezug auf das Faktische?
Das unbeobachtete Elemente unseres gewöhnlichen Geisteslebens muss in die Beobachtung gebracht werden.
Das, was in unserem alltäglichen Geistesleben nie in den Bereich der Beobachtungen kommt, muss in den Bereich des Faktischen kommen, das heißt zu einer Realität gemacht werden.
Das Denken muss zu einem Objekt, zu einem Beobachtungsobjekt gemacht, also zu einem Faktischen erhoben, das heißt dem Denken muss der Wahrnehmungstatus verleihen werden.
Aber davon ist diese westliche Kultur heute noch viele Meilen weiter als meilenweit entfernt. Postfaktisch!
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Falls Sie jedoch Grund zur Veranlassung sehen, diesen Artikel für unangebracht, unverständlich, spinnig oder sogar für esoterisch halten zu müssen, gibt es vorerst wohl nur eines: