Aus Nr. 186 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 208, (Hervorhebungen IH):
Von diesem Gesichtspunkte aus müssen die Dinge ins Auge gefasst werden. Denn der moderne Mensch muss dreierlei Dinge kennenlernen, weil er naturgemäß zu diesen dreierlei Dingen geführt wird, differenziert nach Westen, Mitte und Osten, so wie ich es Ihnen das letzte Mal charakterisiert habe. Aber er wird naturgemäß in irgendeiner Form zu diesen dreierlei Dingen geführt. Wenn es auch nur der Initiierte sieht, was an diesen drei Punkten vorhanden ist, fühlen, empfinden, in seinen Intellekt aufnehmen – wenn auch nicht in sein Sehvermögen – muss es nach und nach jeder moderne Mensch, wenn er die wirtschaftliche Struktur durchdringen will. Erstens muss der moderne Mensch eine deutliche Empfindung oder wenigstens eine deutliche intellektuelle Vorstellung bekommen von den Kräften, die im Weltenall die Niedergangskräfte, die zerstörenden Kräfte sind.
Unter den Kräften, die man gern verfolgt – und man täuscht sich deshalb, weil man sie nur mit den Sympathien des Gernhabens verfolgt -, sind eben die aufbauenden Kräfte. Man will immer aufbauen, aufbauen, aufbauen. Aber in der Welt ist nicht nur Evolution oder Aufbau, es ist auch Involution oder Abbau vorhanden. Wir selber tragen den Abbau in uns. Unser entwickeltes Nervensystem, Gehirnsystem, ist in fortwährendem Abbau begriffen. Abbau ist in der Welt. Mit diesen Kräften des Abbaus muss der Mensch bekannt werden. Vorurteilslos und unbefangen muss er sich sagen: Gerade auf dem Wege, der sich in dem Zeitalter entwickelt, in dem die Bewusstseinsseele voll erwachen soll, sind am wirksamsten die Abbaukräfte. Sie konzentrieren sich manchmal, sie konsolidieren sich, diese Abbaukräfte, und dann entwickelt sich so etwas wie diese letzten viereinhalb Jahre. Da zeigt sich der Menschheit in konzentriertem Zustande etwas, was auch sonst immer vorhanden ist. Aber das muss nicht unbewusst und instinktiv bleiben, das muss gerade in diesem Zeitalter voll bekannt werden. Die Abbaukräfte, die Todeskräfte, die lähmenden Kräfte – der Mensch wendet gern sein Antlitz von ihnen ab; dadurch aber macht er sich blind und lernt nicht mitarbeiten an der Evolution, weil er die Abbaukräfte flieht.
Das zweite, mit dem der Mensch sich bekanntmachen muss und was er wiederum flieht, das ist, dass der Mensch in diesem Zeitalter der intellektuellen Entwickelung, das heißt der Entwickelung im Zeitalter der Bewusstseinsseele, unbedingt dahin kommen muss, sich gewissermaßen einen neuen Schwerpunkt seines Wesens zu suchen. Die instinktive Entwickelung hat ihm, auch in Gedanken, einen Schwerpunkt gegeben. Er glaubt festzustehen auf seinen Anschauungen, auf seinen Vorstellungen, die ihm eben durch Blut oder Abstammung oder sonstwie zukommen. Das kann der Mensch fortan nicht. Der Mensch muss sich loslösen von dem, worauf er feststand, was sich instinktiv ausgebildet hat. Der Mensch muss sich gewissermaßen an den Abgrund stellen, muss unter sich die Leere, den Abgrund fühlen, weil er in sich den Mittelpunkt seines Wesens linden muss. Davor scheut der Mensch zurück, davor hat er Furcht.
Und das dritte ist: Der Mensch muss in voller Gewalt kennenlernen, wenn er sich gegen die Zukunft hin entwickelt, den Impuls der Selbstsucht, des Egoismus. Unser Zeitalter ist dazu angetan, dem Menschen klarzumachen, wie er, wenn er sich seiner Natur überlässt, ein egoistisches Wesen ist. Man muss erst alle Quellen des Egoismus in der menschlichen Natur erforschen, um den Egoismus zu überwinden. Liebe tritt erst auf als das Gegenstück zur Selbstliebe. Man muss über den Abgrund der Selbstliebe hinüberkommen, wenn man dasjenige kennenlernen will, was als soziale Wärme die soziale Struktur der Gegenwart und der Zukunft durchdringen soll, namentlich wenn man es nicht bloß in der Theorie, sondern in voller Praxis kennenlernen will. – Sich dieser Empfindung zu nähern, die der zu Initiierende beim Hüter der Schwelle beim Eintritt in die übersinnliche Welt klar schaut, das erfüllt die Menschen wiederum mit Furcht, indem ihnen klar wird: Anders lässt sich nicht eintreten in das Zeitalter, das notwendig eine soziale Struktur hervorbringen muss, als durch Liebe, die nicht Selbstliebe ist, die Liebe für den andern Menschen, Interesse an andern Menschen ist. Das empfinden die Menschen wie etwas Brennendes, wie etwas, was sie verzehrt, wie etwas, was ihnen ihr eigenes Wesen nimmt, indem es ihnen die Selbstliebe, das Recht zur Selbstliebe nimmt. Und so wie sie das Übersinnliche fliehen, vor dem sie Furcht haben, weil es ihnen ein Unbekanntes ist, so fliehen sie die Liebe, weil sie ihnen ein brennendes Feuer ist. Und wie die Menschen in dem Zeitalter, in dem man vorbereiten muss die spirituellen Impulse, sich gerade die Augen verbinden, die Ohren zustopfen vor der Wahrheit des Übersinnlichen, indem sie zum Beispiel im Marxismus und im proletarisch verführten Denken von heute darauf hinweisen, dass man sich auf das Handgreifliche stützen müsse, um gerade abzulenken von dem Übersinnlichen, wie sie das Gegenteil von dem verfolgen, was auf diesem Gebiete in der wirklichen Tendenz der Menschheitsentwickelung liegt, so machen sie es auch auf dem Gebiete der Liebe. Sogar in den Tendenzworten prägt sich das aus. Man stellt Ideale auf, die das Gegenteil von dem sind, was eigentlich in der Menschheitsentwickelung liegt und angestrebt werden muss.
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