… Nun, demgegenüber muß eines gesagt werden: Dasjenige, was jetzt, allerdings in ausführlicher, detaillierter Gestalt in meiner Anthroposophie vorliegt, das ist von mir zu schildern begonnen worden dem Geiste und der Gesinnung nach am Beginne der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts; das ist tatsächlich in bezug auf seine Richtung seit vierzig Jahren vorhanden. Das ist von mir zuerst ausgeführt worden, indem ich es angewendet habe auf eine Interpretation des Goetheanismus. Ich habe dazumal meine «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften», durchtränkt von diesem anthroposophischen Geiste, geschrieben.
Was ist geschehen? Ich bin nicht gleich so schlecht behandelt worden, wie ich jetzt behandelt werde von den Zeitgenossen. Diese an Goethe sich anlehnenden Schriften wurden zum großen Teil anerkannt, aber sie wurden aufgefaßt wie etwas, was irgendein Literaturhistoriker oder irgendein moderner Historiker über Goethe schreibt. Man hat es aufgefaßt als etwas, was eben über Goethe geschrieben ist. Daß da etwas darinnen sein sollte, was an die Zeit gerichtet ist als eine Erneuerung des menschlichen Denkens im Geistigen, das hat man nicht gesehen. Warum? Weil man überhaupt in der Wissenschaft verloren hatte die Aktivität, weil man sich zwar noch aufschwingen wollte zu der Anerkennung, ja, Goethe habe dies oder jenes gedacht, weil man aber nicht den Mut hatte, Wahrheiten, die unmittelbar im Geistigen, im Übersinnlichen erfaßt werden müssen, nun selber anzuerkennen und mit diesen Wahrheiten sich zu befassen. Man fühlte sich entschuldigt, wenn man sagen konnte: Goethe glaubte dies oder das -, aber man hatte nicht den Mut, solche Wahrheiten auch unmittelbar anzuerkennen. Und so verfloß all das, was in weiterer Ausbildung des Goetheanismus damals von mir gesagt worden ist. Und schließlich meine «Philosophie der Freiheit» – diejenigen, die sie als «gebildete Laien» studieren, sie werden wissen, daß sie Nüsse daran zu knacken haben -, sie ist zunächst wahrhaftig so geschrieben, daß sie vorgelegt werden kann denjenigen, die sich mit Fachphilosophie befassen.
Nicht früher hat Anthroposophie sich an «gebildete Laien» gewendet, als sich gezeigt hatte, daß diejenigen, die berufen gewesen wären, sich mit ihr zu befassen, sie haben einfach links liegen lassen, sich nicht um sie bekümmert haben. Denn das ist ja der Dank der Gelehrten gegenüber der Anthroposophie: Erst haben sich die Gelehrten, die Wissenschafter der Gegenwart nicht um sie bekümmert; man mußte zu den «gebildeten Laien» gehen, weil die Wahrheit sich durchsetzen muß, gleichgültig auf welchem Wege. Und jetzt, da sie sehen, daß unter den «gebildeten Laien» sich doch manche finden, durch die ihr Gelehrtentum ein wenig ins Wanken kommen könnte, jetzt, da sie sehen, daß diese «gebildeten Laien» sogar nach Dornach gehen, um dort wissenschaftliche Vortrage von dreißig Dozenten zu hören, die anders sprechen, als an den anderen Unterrichtsanstalten gesprochen wird, jetzt fühlen sie sich – aber ohne sich mit der Sache befaßt zu haben, wozu sie Zeit durch Jahrzehnte gehabt hätten -, jetzt fühlen sie sich, ohne die Sache zu kennen, zum Widerlegen berufen.
Nun, es wird noch zu anderen Dingen kommen müssen. Das aber darf gesagt werden: Wenn Geisteswissenschaft sich an die «gebildeten Laien» gewendet hat, so war es, weil es notwendig ist, daß für die Wahrheit das Rechte getan werde. Die Wahrheit muß sich ihre Wege suchen, und wenn die zu ihrem Suchen Berufenen sich nicht um sie bekümmern, so muß sie sich eben an diejenigen wenden – na ja, die vielleicht von jener Seite für «unberufen» gehalten werden, die aber gerade dadurch zeigen können, daß sie die wirklich Berufenen sind. Und so wird aus dem gebildeten Laientum der Drang nach übersinnlicher Erkenntnis hervorgehen müssen, der nicht hervorgehen wollte aus denjenigen, die sich berufsmäßig mit der Wahrheitsforschung zu beschäftigen hatten.