Anschauen des Denkens – Zum Geistesleben des Nicolaus Cusanus

 

von Ingo Hagel

 

Wird die europäische Menschheit so stark sein, um diese irdische Realität des Denkens zu finden, oder wird sie nur so schwach sein, um die himmlische Realität des Denkens zu verlieren? Darinnen  … liegt eigentlich alles, was in Bezug auf die europäische Zivilisation heute noch gelten kann. 

(GA 237 S. 28)

Wie bereits hier auf Umkreis-Online in der Rubrik zur Beobachtung des Denkens innerhalb der Rubrik zur „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners immer mal wieder behandelt, gehört zu den großen Fragen, die auf eine rein philosophische beziehungsweise erkenntnistheoretische Art und Weise auch in diesem Artikel zum Geistesleben des Nicolaus von Kues angeschnitten werden, dass das bloße Denken an den Dingen der Sinneswelt entlang eine Verwandlung zum Beobachten, zum Anschauen des Denkens selber erfahren kann. 

 

Dieses Thema eines Anschauens des Denkens, einer Beobachtung des Denkens hat allerdings das Zeug, 

das ganze bisherige und gewöhnliche Erkenntnisdasein des Menschen völlig umzuschmelzen. – 

Was sich aus diesem gewöhnlichen Erkenntnisdasein ergibt – wenn dieses nicht verwandelt wird – wurde in den verschiedenen sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und so weiter und so fort Phänomenen mit allem dazugehörigen rattenschwanzmäßigen Kladderadatsch immer wieder hier auf Umkreis-Online in der Rubrik westliche Werte – nur zum Beispiel – beschrieben, und wird regelmäßig in seinen mir am auffälligsten erscheinenden Auswüchsen in der Rubrik zum Zeitgeschehen dargestellt. – 

Da allerdings dieser gegenwärtige – 

und bereits viel zu lange andauernde –

Bewusstseinszustand der westlichen Menschheit und ihrer „Werte“ sowie eines allgemein verbreiteten Denkunwillens  so derart „festgemauert in der Erden“ ist –

wie man es zu dessen Charakterisierung aus Schillers „Lied von der Glocke“ vielleicht auch mal zweckentfremdend entlehnen darf – 

kann man allerdings nicht auf eine schnelle Heilung dieser Krankheit hoffen. Auch steht eine erschöpfende Behandlung dieser flächendeckenden Seuche mit wahrhaft beeindruckenden Inzidenzen in ein paar kurzen und dürren Worten –

Bittärr säähr! Saggen Sie mir, Herr Doktor Schnagel, Antwort selbiges auf letztes Fragge zur „Philosophie der Freiheit“ –

nicht ins Haus – auch nicht in dem vorliegenden Artikel hier. 

 

Auf der anderen Seite möchten sich manche „feinfühlig“ und „esoterisch“ eingestellte Menschen 

zu gerne hurtig von allem irdisch-stofflichen Ballast befreien und „ätherischen Gefilden“ zuwenden. Beide Gruppen bemerken dann nicht, dass sie nur weiterhin den durch Jahrtausende hindurch verkalkten Esel ihres gewöhnlichen Intellekts reiten. Der Mensch muss sich, sein Selbst und die Kraft seines Ich vollbewusst in diese Gedankenbereiche mitnehmen, ohne sich weiterhin passiv und bequem auf dem Sessel seiner Sinneswahrnehmungen – 

die ihm die Illusion geben: Ich bin! – 

oder schlimmer: Ich blogge, also bin ich! – 

oder noch schlimmer: Ich mache ein YouTube-Video, also bin ich! –

abstützen und ausruhen zu können. 

 

Letztendlich (!) bedeutet ein Anschauen des Denkens immer das Wahrnehmen der realen geistigen Welt – zumindest als Imagination. 

Aber dieses Anschauen des Denkens hat eben seine verschiedenen Vorstufen, die es dem Menschen ermöglichen, sich in den verschiedenen Stärkegraden an dieses Thema übend heranzutasten. Dazu gehören die erkenntnistheoretischen Schriften Rudolf Steiners in seinem sogenannten philosophischen Frühwerk – das auch von den sogenannten „Anthroposophen“ wenig geschätzt wird. So schrieb Andrej Belyj damals:

Unter den unzähligen, für mich persönlich wichtigen (ich betone: „persönlich“, ohne anderen etwas aufdrängen zu wollen) Leistungen Rudolf Steiners nenne ich nur einige, die einen besonderen großen Einfluss auf mich haben. In dieses erste Kapitel gehört die erstaunliche, bislang noch von keinem erschöpfend verstandene Erkenntnistheorie. In gedrängten, fast kargen Thesen dargestellt und skizzenhaft in einer ganzen Anzahl von Büchern, Artikeln, Anmerkungen zu Goethe und Vorträgen eingestreut, bietet sich genügend Material für ein umfangreiches Werk oder eine Reihe von Werken, die Steiner selbst nicht geschrieben hat – aus Zeitmangel und aus Mangel an Interesse seitens der Anthroposophen; das hat er mir persönlich gesagt. Und sie ist bis heute von keinem seiner Schüler dargestellt worden.   (aus: Verwandeln des Lebens, Erinnerungen an Rudolf Steiner, Zbinden Verlag, Basel, 1977)

Ich will nicht sagen, dass dieser philosophische, erkenntnistheoretische, erkenntnispraktische – wie immer man ihn nennen will – 

Weg eines Anschauens des Denkens der einzige Weg weder in die Anthroposophie noch in die geistige Welt darstellt, aber von ihm soll hier in diesem Artikel und überhaupt in dieser neuen Rubrik Anthroposophie vorrangig die Rede sein. Aber Diejenigen, die glauben, sie könnten sich auf ihrem Weg in die Anthroposophie und in die geistige Welt an diesem reinen Denken vorbeidrücken, täuschen sich gewaltig. Rudolf Steiner sah sich deswegen veranlasst, in der Neuausgabe seines Buches „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ im Jahre 1918 genau dieses Thema anzusprechen:

Für die hier gemeinte übersinnliche Seelenbetätigung ist es außerordentlich bedeutsam, in voller Klarheit das Erleben des reinen Denkens zu durchschauen. Denn im Grunde ist dieses Erleben selbst schon eine übersinnliche Seelenbetätigung. Nur eine solche, durch die man noch nichts Übersinnliches schaut. Man lebt mit dem reinen Denken im Übersinnlichen; aber man erlebt nur dieses auf eine übersinnliche Art; man erlebt noch nichts anderes Übersinnliches. Und das übersinnliche Erleben muss sein eine Fortsetzung desjenigen Seelen-Erlebens, das schon im Vereinigen mit dem reinen Denken erreicht werden kann. Deshalb ist es so bedeutungsvoll, diese Vereinigung richtig erfahren zu können. Denn von dem Verständnisse dieser Vereinigung aus leuchtet das Licht, das auch rechte Einsicht in das Wesen der übersinnlichen Erkenntnis bringen kann. Sobald das Seelen-Erleben unter die Bewusstseinsklarheit, die im Denken sich auslebt, heruntersinken würde, wäre sie für die wahre Erkenntnis der übersinnlichen Welt auf einem Irrwege. Sie würde erfasst von den Leibesverrichtungen; was sie erlebt und hervorbringt, ist dann nicht Offenbarung des Übersinnlichen durch sie, sondern Leibesoffenbarung im Bereich der untersinnlichen Welt. 

 

Bevor man sich also besinnungs- und gedankenlos in das große und tiefe kosmische Wasser 

realer imaginativer Wahrnehmungen wirft, ist es daher besser, erst einmal Trockenschwimmen zu üben. Damit meine ich, dass man erst einmal ohne irgendwelche realen, übersinnlichen Wahrnehmungen lernt, sich in dem geistigen Element zu halten und zurechtzufinden, in dem diese übersinnlichen Wahrnehmungen irgendwann einmal stattfinden sollen: nämlich dem Element des reinen Denkens beziehungsweise dem, was erst einmal nur und ganz alleine und einzig in diesem Element des reinen Denkens abläuft: die Beobachtung, das Anschauen des Denkens. – 

Aber nicht jeder Mensch muss ein Hellseher und Geistesforscher werden, darauf hat Rudolf Steiner oft hingewiesen – allerdings sollten möglichst viele Menschen die übersinnlichen Ergebnisse einer geistigen Forschung aufnehmen: 

„Nur auf diesem Wege kann Harmonie in die moderne Seele hineinkommen, denn diese Harmonie in den modernen Seelen geht gerade aus den Bedingungen der Zeitentwickelung heraus verloren.“ –

 

Daher kann es nicht verwundern, wenn Rudolf Steiner dieses schwierige Thema eines Anschauens des Denkens  

nicht nur in der „Philosophie der Freiheit“ behandelt, in der Alles das, was er dazu an vielen anderen Stellen ausführt –

also zum Beispiel in dieser GA 7, die hier in diesem Artikel zur Begriffswelt des Nicolaus Cusanus ausschnittsweise als kleines Mosaiksteinchen zu diesem großen Thema behandelt werden soll – 

in Ideenform eigentlich schon drinnen steht – 

Rudolf Steiner: „Diese Ideenwelt ist schon ganz in meiner «Philosophie der Freiheit» enthalten.(GA 7 S. 11) – 

Selbstverständlich geht es um „diese Ideenwelt“ auch schon in Rudolf Steiners Buch zu „Goethes Weltanschauung“ (GA 6)

siehe dazu auch hier auf Umkreis-Online diesen Artikel aus dieser Artikel-Serie – 

ganz zu schweigen von den vorherigen und nachfolgenden Büchern. Aber „ganz“ ist „diese Ideenwelt“ wohl erst in der „Philosophie der Freiheit“ enthalten. Enthalten zwar nur als Keim – 

enthalten nicht als durchgeführte Ausführung, das machte Rudolf Steiner erst einige Jahre später, nach der „Philosophie der Freiheit“, indem er das darstellte, was dann Anthroposophie oder anthroposophische Geisteswissenschaft heißt – 

aber man kann diesen Keim ja immer keimen lassen und sich auswachsen lassen. 

 

Und so behandelt Rudolf Steiner dieses Thema eines Anschauens des Denkens auch hier in seinem Buch 

„Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zu modernen Weltanschauungen“ (GA 7) in der schriftlichen Fassung eines von ihm gehalten Vortrages zum Scholastiker, Theologen und Philosophen, Astronomen, Mathematiker und Kirchenpolitiker Nicolaus Cusanus (1401-1464) – und zwar so derart begrifflich mystisch-unmystisch, dass es sowohl die nicht denken wollenden „Normalos“ als auch die nicht denken wollenden „Mystiker“ nur so grausen dürfte (GA 7, S. 86; Hervorhebungen IH):  

Der bedeutsamste Begriff des Geisteslebens Nicolaus‘ ist derjenige der «gelehrten Unwissenheit». Er versteht darunter ein Erkennen, das gegenüber dem gewöhnlichen Wissen eine höhere Stufe darstellt. Wissen im untergeordneten Sinne ist Erfassen eines Gegenstandes durch den Geist. Das wichtigste Kennzeichen des Wissens ist, daß es Aufklärung gibt über etwas außer dem Geiste, daß es also auf etwas blickt, was es nicht selbst ist. Der Geist beschäftigt sich also im Wissen mit außerhalb seiner gedachten Dingen. Nun ist aber dasjenige, was der Geist in sich über die Dinge ausbildet, das Wesen der Dinge. Die Dinge sind Geist. Der Mensch sieht zunächst den Geist nur durch die sinnliche Hülle. Was außerhalb des Geistes bleibt, ist nur diese sinnliche Hülle; das Wesen der Dinge geht in den Geist ein. Blickt dann der Geist auf dieses Wesen, das Stoff von seinem Stoffe ist, dann kann er gar nicht mehr von Wissen reden, denn er blickt nicht auf ein Ding, das außerhalb seiner ist; er blickt auf ein Ding, das ein Teil von ihm ist; er blickt auf sich selbst. Er weiß nicht mehr; er schaut nur auf sich. Er hat es nicht mit einem «Wissen», sondern mit einem «Nicht-Wissen» zu tun. Er begreift nicht mehr etwas durch den Geist; er «schaut, ohne Begreifen» sein eigenes Leben an. Diese höchste Stufe des Erkennens ist im Verhältnis zu den niedrigen Stufen «Nicht-Wissen». – Es ist aber einleuchtend, daß das Wesen der Dinge nur durch diese Stufe der Erkenntnis vermittelt werden kann. Nicolaus von Kues spricht also mit seinem «gelehrten Nichtwissen» von nichts anderem als von dem als inneres Erlebnis wiedergeborenen Wissen. 

 

Der sogenannte moderne Mensch, der nur „gesegnet“ ist mit der Tagesleichenschau, 

den sonstigen „Qualitätsmedien“, die er sich den Tag über reinzieht sowie einem schnellen Internetzugang, damit er über die verschiedenen Streaming-Dienste die exzessiven Gewaltorgien des Kinos –

siehe dazu – nur zum Beispiel – hier auf Umkreis-Online –

sowie die ganze Corona an Seuchen- und Pandemie-Experten ruckelfrei auf seinen Fernseher (Bildschirmdiagonale möglichst nicht unter 2 m) leiten kann, und der unbekannt ist mit dem Werk Rudolf Steiners, hat selbstverständlich keine Ahnung, was sich hier in diesem Deutschland und Mitteleuropa seit Jahrhunderten an Erkenntnisfortschritt und geistiger Entwicklung vorbereitet hat – und was aufgegriffen und weiterentwickelt werden muss, sollen Deutschland, Europa und die Welt eine Zukunft haben. 

  

Bezeichnend für die ganz neue Einstellung und völlig veränderte innere Haltung, 

die der Mensch zu dem gewinnen muss, was man so gemeinhin „Geist“ oder „Geistesleben“ nennt –

das man natürlich auch als irgendwelche „Geisteswissenschaften“ auf der Universität studieren kann und damit seinen Bachelor, Master und anderes Schönes machen kann, was aber in dieser Form völlig überwunden werden muss, sollen die Begriffe „Geist“ oder „Geistesleben“ nicht mehr abstrakt-intellektuell und tot, sondern real und daher lebendig werden – 

ist eben das, was in dem oben angeführten Text über das Geistesleben des Nicolaus von Kues nur kurz und auszugsweise dargestellt wird: 

 

Im gewöhnlichen Leben schaut man den Geist durch die Dinge der sinnlichen Welt an:

Die Dinge sind Geist. Der Mensch sieht zunächst den Geist nur durch die sinnliche Hülle.

Das bringt aber mit sich, dass diese Übermacht der Sinne den in den Sinneserscheinungen waltenden Geist völlig überdeckt. Ersteinmal an diesen Dingen der Sinneswelt entlang sach- und ordnungsgemäß denken zu lernen ist allerdings ausgesprochen hilfreich. Die Naturwissenschaft hat sich diesbezüglich große Verdienste für die Bewusstseinsentwicklung der Menschen erworben –

und bietet noch dazu lauter sehr überzeugend wirkende technische Spielereien und Verlockungen, die zu belegen scheinen, dass es neben dieser Sichtweise nun wirklich keine andere mehr gibt. –

Sollte aber dieser Abstieg der geistigen Entwicklung der Menschheit in die Materie Dauerzustand sowie eine Weltanschauung werden, also das Ende der geistigen Entwicklung bedeuten, dann kann man damit nur noch beinharter Agnostiker, Atheist – oder aber vielleicht gerade eben noch suchender, aber eigentlich bereits verzweifelter Skeptiker werden. 

 

Sollte man allerdings das Glück haben, in seinem Leben Rudolf Steiner zu begegnen, 

der Einen – neben manchem Anderen – auch auf Nicolaus Cusanus hinweist, dann könnte man sich mit der angebotenen Perspektive beschäftigen können, dass Denken nicht nur ein immer weiter sich vollziehendes intellektuelles Sterben bedeuten muss – 

auch leibliches Sterben, denn dieses intellektuelle Denken  vollzieht sich durch den Leib, indem es ihn im Nerven-Sinnessystem abbaut – 

sondern auch geistiges Leben bedeuten kann. Dazu muss man aber auf den Weg kommen können, das Denken selber, also befreit von aller Sinnesanschauung, anschauen zu wollen – was dann, wie gesagt, verschiedene Stufen hat.    

 

Der Mensch denkt auf dieser Stufe des Wissens, die Nicolaus Cusanus anspricht –

und die Rudolf Steiner aufgreift und für ein modernes Verstehen erklärend und erhellend darstellt –

nicht mehr intellektuell-zergliedernd, zersetzend an der Sinneswelt entlang und auf diese gestützt denkt, sondern er blickt und schaut auf eine Erkenntnis, die er dafür aber ersteinmal in seinem inneren seelisch-geistigen Organismus aufbauen, gedanklich festigen, geistig konsolidieren muss, so dass er dieses neue Wissen, diese neue Erkenntnis dann sozusagen vor sich hinstellen und anschauen kann, weil es so deutlich erlebbar geworden ist. – Und daher heißt es in dem oben angeführten Text verschiedene Male: „blickt„, „anschaut„, und „schaut, ohne Begreifen„. –

 

Dieses Wissen ist dann aber nicht mehr ein Wissen im hergebrachten Sinne unseres gewöhnlichen, alltäglichen Bewusstseins –

also immer schön an der Sinneswelt entlang – das heißt Erlebnis eines Äußeren –

sondern „inneres Erlebnis„, und unterscheidet sich von diesem daher grundlegend.       

Nicolaus von Kues spricht also mit seinem «gelehrten Nichtwissen» von nichts anderem als von dem als inneres Erlebnis wiedergeborenen Wissen.

Diese Beobachtung des Denkens, dieses Anschauen des Denkens ist so fundamental verschieden von dem, was man so in seinem gewöhnlichen Bewusstsein täglich von morgens bis abends anschaut und denkt, dass man völlig fehl geht, wollte man ein erlebendes Verständnis dieser Sache in der fixen und festen Weise erwarten, in der man sonst in dieser Sinneswelt zum Beispiel Gebrauchsanweisungen liest oder die neue App auf dem Smartphone installiert und ans Laufen bringt. –

Ok! Cool! Hab ich gerafft und hat geschnackelt. Ging super easy. War sonst noch was? – 

 

Dieses Wissen im Sinne des Nicolaus Cusanus ist eben kein Wissen über äußere Dinge, sondern ein Wissen über das Wissen selber – 

das heißt über die Erkenntnis selber, über das, was Erkenntnis schafft im Menschen, also dessen eigenes Erkenntnisleben. Das ist in oben angeführten Text so dargestellt:              

Blickt dann der Geist auf dieses Wesen, das Stoff von seinem Stoffe ist, dann kann er gar nicht mehr von Wissen reden, denn er blickt nicht auf ein Ding, das außerhalb seiner ist; er blickt auf ein Ding, das ein Teil von ihm ist; er blickt auf sich selbst. Er weiß nicht mehr; er schaut nur auf sich. Er hat es nicht mit einem «Wissen», sondern mit einem «Nicht-Wissen» zu tun. Er begreift nicht mehr etwas durch den Geist; er «schaut, ohne Begreifen» sein eigenes Leben an.

Das heißt aber, der Mensch schaut auf dieser Stufe des Wissens sein eigenes Erkenntnisleben, seine eigene Erkenntnis an. Er schaut das an, womit er in seinem gewöhnlichen Alltagsbewusstsein zwar Erkenntnis über diese Sinneswelt gewinnt, was er aber niemals selber als das Element ins Feld des Bewusstseins bekommt, das dem Menschen diese Erkenntnis der Sinneswelt verschafft, wenn er nicht versteht und auch nicht will, dieses Erlebnis aktiv und bewusst und willentlich aus seinem Ich heraus herbeizuführen. 

Auch zu Beginn des zweiten Teiles der „Philosophie der Freiheit“ wird genau diese Frage 

eines Betrachtens, eines Anschauens der Erkenntnis selber angesprochen (GA 4, 9. Kapitel; Hervorhebungen IH). 

Anders stellt sich der Vorgang dar, wenn die Erkenntnis, wenn das in ihr auftretende Verhältnis des Menschen zur Welt betrachtet wird. In den vorangehenden Ausführungen ist der Versuch gemacht worden, zu zeigen, daß die Aufhellung dieses Verhältnisses durch eine auf dasselbe gehende unbefangene Beobachtung möglich ist. Ein richtiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. … 

Dies auch als kleiner Beitrag und Hinweis zu dem facettenreichen – und oben bereits erwähnten – Thema, dass diese Ideenwelt, die Rudolf Steiner auf philosophische Weise darstellt, in Ideenform eigentlich schon in der „Philosophie der Freiheit“ drinnen steht – 

Rudolf Steiner in dieser GA 7: „Diese Ideenwelt ist schon ganz in meiner «Philosophie der Freiheit» enthalten.(GA 7 S. 11) – 

Was natürlich auch heißt, dass die gesamte Anthroposophie schon als Keim in Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ enthalten ist. –

Weshalb sich dieser vorliegende Artikel im Kapitelverzeichnis dieser Rubrik „Anthroposophie“ auch im Kapitel „Die „Philosophie der Freiheit“ ist Keim und Grundlage der Anthroposophie als Wissenschaft“ findet. 

  

Hat man sich nun allerdings dazu durchgerungen, in dem Nicht-Wissen, das Nicolaus von Kues beschreibt,

beziehungsweise in der Perspektive der „Philosophie der Freiheit“, 

daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann …

Etwas zu haben, dass einem innerlich Etwas sagt und Etwas gibt, dann gibt es drei Möglichkeiten, auf diesem Wege weiterzuschreiten (GA 7 S. 99):

Es gibt nun drei Wege – im wesentlichen -, die man gehen kann, wenn man da ankommt, wo Nicolaus angekommen war: Der eine ist der positive Glaube, der von außen auf uns eindringt; der zweite ist die Verzweiflung; man steht einsam mit seiner Last und fühlt das ganze Dasein mit sich wanken; der dritte Weg ist die Entwicklung der tiefsten, eigenen Kräfte des Menschen. Vertrauen in die Welt muß der eine Führer auf diesem dritten Wege sein. Mut, diesem Vertrauen zu folgen, gleichviel, wohin es führt, muß der andere sein. 

 

Wie geht das denn?

In der Tat kann man, wenn man heute diesen von Rudolf Steiner so modern referierten oben angeführten Abschnitt in dieser GA 7 über das Geistesleben des Nicolaus von Kues liest, sich fragen, wie das denn geht, was Rudolf Steiner da am Ende dieses Kapitels nennt als:

der dritte Weg ist die Entwicklung der tiefsten, eigenen Kräfte des Menschen.

Das führte er damals in diesen Vorträgen der GA 7 und speziell in diesem Abschnitt zum Geistesleben des Nicolaus von Kues eben nur hinleitend erklärend und in mehr allgemeiner und begrifflicher Form aus, weil – wie gesagt – zu mehr damals nicht die Veranlassung bestand. 

 

Zur Neuauflage 1924 dieses Buches (GA 7) verweist Rudolf Steiner an dieser Stelle 

allerdings auf seine Anmerkung (auf S. 147) –

und darin auf seine später erschienenen Ausführungen und Bücher zu diesem Thema –

aus der es dann noch einmal ganz deutlich wird, dass Anschauen des Denkens letztlich ein übersinnliches Anschauen des realen Geistes ist –

das natürlich verschiedene Stufen hat, deren eine, erste Stufe die Beobachtung des Denkens zum Beispiel auf der reinen Begriffsebene des Nicolaus von Kues – oder aber auch auf der Ebene der „Philosophie der Freiheit“ darstellt – 

und auf deren andere Stufen er so hindeutet: 

Hier ist andeutungsweise in wenigen Worten auf den Weg zur Geist-Erkenntnis gewiesen, den ich in meinen späteren Schriften, besonders in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», «Die Geheimwissenschaft im Umriß», «Von Seelenrätseln» gekennzeichnet habe. 

  

Allerdings werden nun viele Menschen sagen: 

Nun sei es also doch mal wieder völlig klar, und man könnte sehen, worauf dieses ganze wesenlose und zu nichts führende philosophische Rumgedenke hinausläuft und wozu es ihn völlig unwissenschaftlich verführen will: nämlich zu einer Esoterik, die für den modernen, naturwissenschaftlich gebildeten Menschen selbstverständlich absolut inakzeptabel ist.  

 

Diesen Leuten muss man allerdings sagen, dass sie das Wesen ihres eigenen Denken nicht verstehen. 

Dieses ist in ihnen so derart korrumpiert worden, dass sie kein Empfinden mehr dafür haben, wohin dieses Denken den Menschen führen kann – außer dass es ihn, immer schön an der Sinneswelt entlang, Technik entwickeln lässt – 

was ja nichts Schlechtes oder Abzulehnendes darstellt. – 

Wer so sein eigenes Denken missversteht und nicht begreift, dass das Denken per se ein übersinnliches Element im Bewusstsein des Menschen darstellt –

Begriffe, reine Begriffe sind etwas Nicht-Sinnliches, man kann sie nicht anfassen, sondern nur denken und im Bewusstsein haben –

das in diesem aber nur deshalb so handfest erscheint, weil die Sinneswelt sich so derart aufdringlich vor dieses übersinnliche Element schiebt, so dass der Mensch in seinem normalen Alltagsbewusstsein diesen Zusammenhang einfach nicht durchschauen kann –

was allerdings in früheren Zeiten ganz und gar nicht der Fall war. –

Es ist dem Menschen dann zwar dieses übersinnliche Element des Denkens mitgegeben, aber er weiß nichts davon, weil er die Anstrengung nicht unternehmen will oder kann, sein Bewusstsein von den sinnlichen Elementen zu einem reinen, sinnlichkeitsfreien Denken zu reinigen. Ein solcher Mensch wird dann auch behaupten, ein solches Denken –

beziehungsweise ein solches Nicht-Wissen im Sinne des Nicolaus von Kues –

gäbe es überhaupt nicht. Mit solchen Leuten ist allerdings auf diesem Gebiet schwer zu reden. 

  

  

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