von Ingo Hagel
Als Rudolf Steiner 1918 seine „Philosophie der Freiheit“ neu herausgab, blickte er in verschiedenen Ausführungen immer mal zurück auf die Zeiten der Erstausgabe 1894 und auf das Unverständnis, das diesem Buch entgegengebracht wurde. Und lange vor den Anthroposophen waren es die Nicht-Anthroposophen –
das heißt die gesamte „gebildete“ wissenschaftliche Welt –
die keinerlei Interesse an Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ hatten (GA 232, S. 11):
Diese «Philosophie der Freiheit », ich habe sie konzipiert in den achtziger Jahren, niedergeschrieben in dem Beginne der neunziger Jahre, und ich darf wohl sagen: bei denjenigen Menschen, die dazumal eigentlich sogar die Aufgabe gehabt hätten, den Grundnerv dieser «Philosophie der Freiheit» irgendwie wenigstens ins Auge zu fassen, fand ich mit dieser «Philosophie der Freiheit» überall Unverständnis. Und das liegt an einem bestimmten Punkte. …
Rudolf Steiner hätte die „Philosophie der Freiheit“ nach der Erstveröffentlichung in 1894
auch die nächsten mehr als zwei Jahrzehnte durchaus verkaufen können, wie er zur Neuausgabe dieses Buches 1918 berichtet. Aber er sah das Verständnis dafür nicht – und an einem bloßen Verkauf von „vielen Seiten bedruckten Papiers“, von dem kaum Jemand ahnte, was sie besagen sollten –
weil auf Chinesisch geschrieben –
lag ihm nichts (GA 185 S. 135):
Und im Grunde genommen war auch die Zeit dem Verständnisse der «Philosophie der Freiheit» nicht besonders günstig. Ich konnte ruhig diese «Philosophie der Freiheit» vorläufig liegen lassen. Jetzt scheint mir aber allerdings die Zeit gekommen zu sein, wo diese «Philosophie der Freiheit» wenigstens wieder da sein muß, wo von den verschiedensten Seiten doch vielleicht die Seelen kommen werden, die Fragen stellen, welche in der Richtung dieser «Philosophie der Freiheit» liegen.
Gewiß, Sie können sagen, es wäre immerhin möglich gewesen die ganzen Jahre her, die «Philosophie der Freiheit» neu aufzulegen. Ich zweifle ja auch nicht daran, daß man im Laufe der Jahre viele Auflagen hätte absetzen können. Aber es wäre eben dabei geblieben, daß die «Philosophie der Freiheit» verkauft worden wäre. Und darum handelt es sich mir bei meinen wichtigsten Büchern wahrlich nicht, daß sie in so und so viel Exemplaren durch die Welt wandeln, sondern darum handelt es sich mir, daß sie verstanden und in ihrem eigentlichen inneren Impuls aufgenommen werden.
So viel zur Charakterisierung des Interesses und des Verständnisses,
dass diesem Buch damals entgegenschlug –
zuallererst von der sogenannten Intelligenz Deutschlands, den Universitätswissenschaftlern, das ist immer wieder und bis heute hervorzuheben angesichts mancher Professorenweisheit, die glaubt, soziale Vorschläge ohne die Grundlage der Anthroposophie machen zu können –
Rudolf Steiner dazu (GA 185 S. 108):
Man hört es ja immer wieder und wieder, dass da oder dort Leute auftauchen, welche aus einer scheinbar tiefbegründeten Weisheit heraus die einen oder die anderen sozialwirtschaftlichen Vorschläge machen, immer aus dem Bewusstsein heraus, dass man heute noch sozialwirtschaftliche Vorschläge machen kann ohne die Zuhilfenahme der Geisteswissenschaft. Nur derjenige denkt heute zeitgemäß, der da weiß, dass alles, was versucht wird zu sagen über irgendeine soziale Konfiguration der Menschheit gegen die Zukunft hin, ohne die Grundlage der Geisteswissenschaft Quacksalberei ist. Nur der, der dieses voll erfasst, der denkt zeitgemäß. Wer heute noch hört auf allerlei Professorenweisheiten aus der Sozial-Ökonomie, die auf dem Boden einer geistlosen Wissenschaft stehen, der verschläft seine Zeit.
So viel auch zur Frage, warum Rudolf Steiner dieses Buch nach der Erstausgabe 1894 viele Jahre –
das heißt über mehr als zwei Jahrzehnte bis 1918! –
nicht noch einmal herausgegeben hatte.
Die Fachwissenschaften, die „studierten Leute“, deren Tagesgeschäft das Denken ist –
beziehungsweise was sie dafür halten –
an die sich die „Philosophie der Freiheit“ –
die Rudolf Steiner zu seinen „wichtigsten Büchern“ zählt –
damals zuallererst gerichtet hatte, interessierte diese Philosophie also nicht, obwohl sie so geschrieben war, dass sie vor diesen Fachwissenschaften –
seien das nun philosophische oder naturwissenschaftliche Fachwissenschaften –
bestehen konnte (GA 255b S. 178):
Und schließlich meine «Philosophie der Freiheit» – diejenigen, die sie als «gebildete Laien» studieren, sie werden wissen, daß sie Nüsse daran zu knacken haben – sie ist zunächst wahrhaftig so geschrieben, daß sie vorgelegt werden kann denjenigen, die sich mit Fachphilosophie befassen.
Danach musste sie sich dann eben, weil die Wahrheit sich durchdrücken muss, an die Nicht-Fachwissenschaftler, an die „gebildeten Laien“ wenden.
Also schwer geschrieben ist die „Philosophie der Freiheit“ schon,
denn sie hat sich zuerst an die „Fachphilosophen“ gewendet. –
Wohl auch deswegen, damit von dieser Seite nicht irgendwann der – dann berechtigte – Vorwurf kommen konnte, diese „Philosophie der Freiheit“ sei doch philosophisch völlig dilettantisch und laienhaft geschrieben. Das ist sie eben nicht. Aber sie ist eben auch nicht so geschrieben, wie man heute fachwissenschaftlich-philosophisch und schon gar nicht, wie man sonst so wissenschaftlich schreibt. –
Und erst als diese „Fachphilosophen“ sie damals links liegen ließen –
wie auch die anderen Fachwissenschaftler der Naturwissenschaften und sonstigen Wissenschaften sie links liegen ließen –
musste sich die „Philosophie der Freiheit“, weil die Wahrheit sich durchdrücken muss, an die „gebildeten Laien“ wenden. Diese hatten dann allerdings an ihr Nüsse zu knacken. Am Knacken dieser Nüsse waren aber weder die nichtanthroposophischen, fachwissenschaftlichen, noch die nichtfachwissenschaftlichen anthroposophischen Eichhörnchen interessiert.
Andrej Belyj beschreibt, dass sich die anthroposophischen Eichhörnchen,
also die „gebildeten Laien“, damals nicht für diese Erkenntnistheorie interessierten –
und gibt einige Einschätzungen Rudolf Steiner dazu wieder. –
Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Das hat dann nicht nur dem Leben, beziehungsweise dem Sterben der Anthroposophischen Gesellschaft –
die immer zu unterscheiden ist von dem Leben der anthroposophischen Bewegung. Rudolf Steiner (GA 257 S. 142):
Man muß unterscheiden die anthroposophische Bewegung von der Anthroposophischen Gesellschaft. –
sondern auch dem Leben – beziehungsweise Sterben – des übrigen Deutschland bis heute sein Gepräge geben.
Damit war die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners –
nach den Fachwissenschaftlern und den Anthroposophen –
nun also vom Schicksal der gesamten Welt in den Schoß gelegt worden – könnte man sagen. Das Schicksal muss nun sehen, was es aus diesem Votum der Welt macht.
Bis jetzt war – oberflächlich gesehen – nicht viel los und Alles ruhig im Auenland, aber im Moment ist hier und in der Welt viel los, das heißt es wird fleißig abgebaut. Und abgebaut werden muss, damit aus dem rein vegetativen, pflanzlichen Leben –
Eat Sleep Fuck Repeat – wie auf dem T-Shirt dieses eleganten Skateboardfahrers zu lesen war –
Bewusstsein entstehen soll. Und die Zeit der Entwicklung eines sich immer weiter steigernden wirklichen geistigen Bewusstseins ist sowieso noch lange nicht vorbei. –
Man kann mit Blick auf ein Verständnis der „Philosophie der Freiheit“
also nur auf kommende und verständigere Generationen an jungen Menschen hoffen, bei denen die Funken des geistigen Hungers stärker lodern, und bei denen deren verhärtete Gehirne, gelähmte Lebenskräfte, leere Seelen und dumpfe Iche –
was Rudolf Steiner als „Signatur der Menschen der Gegenwart“ beschrieb –
diesem geistigen Hunger –
so dieser Hunger denn in der Zukunft in den Individualitäten stärker veranlagt sein mag –
nicht so furchtbaren Widerstand entgegensetzen.
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