von Ingo Hagel
Gerne gibt sich der Naturkostfilialist Alnatura einen anthroposophischen Touch. In der „einmaligen Sonderauflage“ des Heftes „Alnatura wirkt“ (Untertitel: „Sinnvolles für Mensch und Erde“)bekennt sich Alnatura-Chef Götz Rehn persönlich dazu: „Ich kann verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit denken – neben der materiellen auch die lebendige, seelische, ideelle. Diese ganzheitliche Methode hat Rudolf Steiner, anschließend an Goethe und Schiller, als moderne Erkenntniswissenschaft entwickelt. Sie ist die Grundlage meiner „erweiterten“ Weltsicht.“ Diese „erweiterte Weltsicht“ steht allerdings in ziemlichem Kontrast zu einigen Inhalten dieses Alnatura-Heftes (über andere „anthroposophische“ Unstimmigkeiten habe ich kürzlich im Zusammenhang mit der Lohndebatte bei Alnatura berichtet).
Auf der Rückseite dieses Heftes steht (wohl als Lesehilfe für Leser mit hoher Dioptrienzahl) in großen dunkelgrünen Lettern:
„Ursache, die; -, -n
„Sachverhalt, der einem anderen vorausgeht und ihn notwendig hervorbringt und wesentlich bestimmt“
Auf dem Frontcover sind mehrere Häufchen Erde zu sehen, in denen schematisch die Wachstumsstadien eines Getreides (Gerste?) vom Samenkorn auf dem Wege zur ganzen Pflanze (Weizen?) dargestellt sind. Merkwürdig, das im Erdhügel nur halb eingebuddelte Korn keimt erst, dann regnet es (als Wirkung?), dann geht für ein Bild die Sonne auf, aber wohl auch gleich wieder unter …. Zwischen den Bildern steht erklärend- wieder in großen Lettern:
„Wirkung, die; -, -en
von einer Ursache, einem Verursacher ausgehende Beeinflussung, hervorgebrachte Folgen, erzieltes Ergebnis“
Donnerwetter, wie informativ – und so verdaulich aufbereitet wie Astronautenflüssignahrung! Hält Alnatura seine Kunden für minderbemittelt, dass das Unternehmen (mit dem „sinnvollen“ Untertitel) diese arroganten, pseudogelehrt-dozierenden und enzyklopädisch-verbrämten Banalitäten auf Mittelstufen-Niveau verbreitet? Dazu kommt, dass der dargestellte Bildzusammenhang (keimendes Getreidekorn) mit Blick auf Ursache und Wirkung falsch ist. Erde, Wasser und Licht und sind zwar die Bedingungen für das Wachstum einer Pflanze, aber nicht deren Ursache. Letztere gibt es nur in der unbelebten Natur, nicht jedoch im Bereich des Organischen (zum Beispiel bei keimenden Samenkörnern). Um dieses zu verstehen, braucht man die Macher bei Alnatura noch nicht einmal auf die entsprechenden Ausführungen von Rudolf Steiner in seinen Grundwerken „Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“ (s. Kapitel „Die unorganische Natur“ sowie „Die organische Natur“) oder seiner „Philosophie der Freiheit“ (zum Beispiel Kapitel„Das Denken im Dienste der Weltauffassung“ sowie Kapitel „Die Welt als Wahrnehmung“ – Ursache und Wirkung am Beispiel der Mechanik aufeinander wirkender unbelebter Körper) zu verweisen, die einem „anthroposophischen Unternehmertum“ doch geläufig sein sollten.
Und wenn nicht, dann sollte doch wenigstens diese Passage bekannt klingen: „Dagegen hat Rudolf Steiner schon vor hundert Jahren angemerkt, dass zwar die Erzeugung künstlichen Lebens technisch nicht ausgeschlossen werden könne. Nie werde es jedoch möglich sein, aus den Komponenten (also aus den Zutaten in der Retorte und den Gesetzmäßigkeiten der unorganischen Natur) abzuleiten, wie dieses Lebewesen sich verhalten, wachsen oder eben – leben würde. Das Gesetz der organischen Natur ist gerade nicht Physik und Chemie, sondern die Typusidee Goethes.“
Anmerkung: In der organischen Natur herrschen eben nicht Ursache und Wirkung wie in der Physik und der Chemie oder bei einer Billardkugel, die an eine andere anstößt, sondern die Tatsache, dass der unbelebte Stoff in die Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen (anthroposophisch: des Ätherischen) aufgenommen wird. In diesem Ätherischen liegt die eigentliche „Ursache“ für das Leben. Dabei werden neuartige Formen gestaltet, die vom Unorganischen völlig verschieden sind. Kein Naturwissenschaftler kann diese als Wirkung aus den Ursachen Erde, Wasser und Licht ableiten, auch wenn sie postulieren, die Pflanze sei ein Mechanismus.
Oben angeführtes Zitat entstammt nicht etwa der Homepage des Umkreis-Institutes sondern einem Artikel der Alnatura Homepage! Offenbar ist von den Verantwortlichen für die Ziele und die Außendarstellung dieser Firma mit nun 1350 Mitarbeitern niemand imstande, Texte und Aufmachung der Magazine mit anthroposophischem Sachverstand korrekturzulesen beziehungsweise einen Überblick über die Inhalte der unternehmenseigenen Homepage zu behalten.
Wie „Alnatura wirkt“
Der auf dem Cover der Zeitschrift „Alnatura wirkt“ dargestellte Zusammenhang stellt als „Wirkung“ von Alnatura (als einer „Ursache“ beziehungsweise als „erzieltes Ergebnis“) leider nur unzutreffendes, anthroposophisch inkompetentes, mechanistisches Zeug dar. „Hervorgebrachte Folgen“ dieser von „einem Verursacher ausgehenden Beeinflussung“ dürfte sein, dass viele Kunden sich von diesem Vorgehen von Alnatura kaum ernst genommen fühlen dürften und zudem die Chance vertan worden ist, Verbraucher konkret und sachgemäß mit der Anthroposophie bekanntzumachen.
Alnatura und das biologisch-dynamische Saatgut
Im Innenteil derselben Zeitschrift „Alnatura wirkt“ wird sieben Seiten lang die Bingenheimer Saatgut AG als „eine Gruppe engagierter demeter-Gärtnerinnen und -Gärtner“ vorgestellt. Diese „hatte schon Mitte der 80er-Jahre erkannt, dass die Vermehrung von Saatgut zur Schlüsselfrage des biologischen Landbaus werden würde.“ Geschildert wird die Problematik einer Züchtung von Hybriden anstelle von samenfesten Sorten, die langwierige Arbeit bis zu einer neuen Sorte („12 Jahre hat es gedauert, bis die Sorte so weit entwickelt war, dass wir das Saatgut verkaufen konnten“), die mühsame praktische Züchtungsarbeit sowie deren schwierige Finanzierung. Dennoch: „mehr als 360 Sorten hat die Bingenheimer Saatgut AG im Programm.“ Alle Achtung!
Damit wären wir allerdings an dem Punkt weiterer Ungereimtheiten mit Blick auf die Frage, wie „Alnatura wirkt“: denn es gibt zwar seit langem die Sorten der Bingenheimer Saatgut AG zu kaufen (gerade erst ist der neue Katalog der Firma herausgekommen), zwar verkauft Alnatura seit 2004 im Frühjahr in seinen mittlerweile 56 Filialen werbewirksam die Saatguttütchen der Bingenheimer Saatgut AG, (und überwies den Reinerlös – in den sieben Jahren der Aktion immerhin 250.000 Euro – an den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft – nicht ohne jedes Jahr großes Werbe- und Presse-Tam-Tam darum zu machen – einfach mal „Saatgutaktion“ in die Suchfunktion auf der Alnatura Homepage eingeben) was beim Kunden den Eindruck erwecken muss, das von Alnatura verkaufte Gemüse werde selbstverständlich auch aus diesen Sorten gezogen. Dies trifft aber nicht zu. In dem oben erwähnten Artikel wird auch nicht die leiseste Andeutung gemacht, dass Produkte aus diesen Sorten bei Alnatura erhältlich sind oder in der Zukunft erhältlich sein werden. Daher suchen viele Kunden seit langem vergebens das Gemüse aus diesen samenfesten Sorten der Bingenheimer Saatgut AG, welche von Alnatura seit Jahren als Saatgut in den Filialen angeboten und in Artikeln zelebriert werden (vgl. Alnatura Magazin März 2010 beziehungsweise folgenden Beitrag des Umkreis-Institutes dazu).
Nirgends habe ich in unseren zwei Darmstädter Alnatura-Filialen in den vergangenen Jahren einen Hinweis auf zum Beispiel die leckeren Rodelika Möhren (oder anderes Gemüse) der Bingenheimer Saatgut AG gefunden. Immer gab es nur die üblichen Möhren (die auch im Ökolandbau meistens aus den ertragreichen aber faden Hybridsorten gezogen werden), die mir selten schmecken, und die ich auch woanders kaufen kann, und deren Erwerb ich daher eingestellt habe. Stattdessen ließ ich mir von einem biologisch-dynamisch arbeitenden Landwirt regelmäßig Möhren aus diesem Saatgut schicken. Eigentlich ein Skandal, angesichts des Wirbels, den diese Firma um dieses biologisch-dynamische Saatgut macht.
Aufgrund dieses Artikels in „ Alnatura wirkt“ mache ich noch einen Versuch, gehe in eine der Darmstädter Alnatura Filialen und frage unter Vorzeigen des obigen Heftes und Artikels nach Produkten aus diesen Sorten. Die Verkäuferin lächelt gequält – anscheinend haben schon andere in der Sache nachgefragt. Nein, speziell ausgezeichnete Produkte aus diesem Saatgut im Frischebereich gäbe es nicht, sie seien auch von den Inhalten des Heftes überrascht worden. Meine telefonische Nachfrage in der Alnatura Zentrale zu dieser Frage ergibt die Auskunft, dass viele Landwirte dieses Saatgut ja benutzen würden (was meiner Wahrnehmung der Sortenverwendungspraxis im Ökolandbau widerspricht und – sollte es wirklich so sein – für den Kunden nicht erlebbar ist). Nein, speziell ausgezeichnetes Gemüse aus den Sorten der Bingenheimer Saatgut AG gäbe es bei Alnatura nicht.
Diese Auskünfte bestätigen die Erfahrungen, die auch schon andere gemacht haben. Hier der Bericht eines engagierten Demeter-Gärtners und Alnatura-Lieferanten aus dem Jahre 2010: Gerne hätte er Alnatura auch mit Möhren und anderem Gemüse aus den samenfesten Sorten der Bingenheimer Saatgut AG versorgt. Seine Bedingung war allerdings, dass Alnatura diese Produkte im Laden als solche auszeichnen sollte (was nachvollziehbar ist, damit die Kunden diese Sorten von den üblichen No-Name Bio-Produkten aus Hybridsorten unterscheiden und schätzen lernen können). Aber da Alnatura nicht darauf einging, lieferte der Gärtner weiterhin Gemüse aus Hybridsaatgut, das er auch im Angebot hatte, war aber über die fehlende Kooperation von Alnatura sehr verärgert.
Fazit: „Alnatura wirkt“ … aber nicht überzeugend
Was sollen die Züchter züchten und die Landwirte und Gärtner anbauen, wenn Händler nicht mit den Produkten aus diesen Sorten handeln wollen?! Alnaturas journalistische Tätigkeit vermittelt den Eindruck unwahrhaftiger Werbeaktionen, die hauptsächlich dem eigenen Firmen-Wohl dient, ohne sich um einen für den Kunden erlebbaren Fortschritt sowie um eine reale Würdigung der Arbeiten der biologisch-dynamischen Züchtung im Handel zu kümmern.