Aus Nr. 192 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 225:
Bedenken sollten sie, dass anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft nicht bloß dazu da ist, um ein Wissen zu sammeln. Ob Sie schließlich vom Astralleib und Ätherleib und Ich irgend etwas wissen, rein gedankenmäßig, oder ob Sie sich ein Kochbuch abschreiben und das, was im Kochbuch steht, nur gedanklich nebeneinanderstellen, das ist einerlei; das eine ist nicht wertvoller als das andere. Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft muss als Wissen übergehen in die menschliche Seele, aber man darf dieses Wissen nicht verwechseln mit dem stumpfen, dumpfen mystischen Gefühl. Das hat schon auch Ennemoser sehr richtig in diesem Aufsatz gesagt, was da kommen soll; denn er sagt: «Wie die Freiheit sich innerhalb der Gesetze, der Gerechtigkeit bewegen soll, so muss die Religion mit dem Lichte der Wissenschaft eine erleuchtete Wahrheit werden.» Aber die Menschen wollen heute nicht das religiöse Gefühl durchleuchten mit anthroposophischer Wissenschaft, sondern sie möchten punktuell in dem mystischen Gefühl eine abstrakte Göttlichkeit haben. Und vor allem wollen sie nicht, dass die Kunst eine Pflegerin der geistigen Schönheit am natürlichen Stoffe werde.
Das ist aber das, was Anthroposophie wollen muss: sie muss nicht nur ein Wissen geben; allerdings ein Wissen, aber ein solches, das innere Erleuchtung werden kann, das unser Unterscheidungsvermögen anspornt. Wenn sie das kann, dann ist uns in Mitteleuropa viel gedient. Denn wir müssen mit schauendem, die Welt erkennendem Blick nach Westen und Osten schauen können. Wir müssen im Westen wohl unterscheiden können zwischen dem, was aufgehend uns feindlich ist, und zwischen dem, was als Feindliches nur untergehend ist. Auch da erinnere ich mich aus meiner Bubenzeit, als ich in der Gegend war, wo man die steirischen Berge hat, wie ich jede Woche zweimal im Eisenbahnzuge vor mir hatte jenen Grafen Chambord, der im Schloss Frohsdorf wohnte, auf dessen Antlitz lagerte urälteste Katholizität, urälteste ultramontane jesuitische Erziehung und zugleich das, was der Abglanz war des französischen «L’Etat c’est moi». Das war noch Wahrheit. Alles andere ist nicht mehr Wahrheit. Mag Frankreich noch so sehr seine Macht heute entfalten: es ist im Niedergange, wie das anglo-amerikanische Element im Aufgange ist. Aber diese Dinge müssen richtig eingeschätzt werden. Wir werden sie so durchschauen müssen, dass wir uns befruchten können mit den Gesetzen des Geisteslebens, dass wir verwandeln können die Gedanken in Willen und den Mut finden, mit der Tat uns auch wirklich hineinzustellen in die Gegenwart, die so Ernstes und so Bedeutungsvolles von uns fordert. Wir müssen immer die Versuche erneuern und immer wieder und wieder diese Versuche machen, anzuklopfen bei unseren Zeitgenossen: Wollt ihr ein freies Geistesleben, wollt ihr einen Boden, auf dem sich freies Geistesleben entwickeln kann? Denn diese Versuche müssen immer gemacht werden. Wenn wir etwas von Wahrheit und Weisheit in die Menschheit einfließen lassen wollen, dann müssen wir die Probe machen, ob die Menschen sie annehmen wollen oder nicht; es kann sehr wohl die Sache beeinträchtigen, dass die Menschen sie nicht annehmen wollen. Deshalb bitte ich Sie, nicht sich auf ein Faulbett zu legen, indem Sie nach dem Ennemoserschen Satz sich sagen: «Deutschland wird seinen Beruf erfüllen, oder auf das allerschmählichste untergehen und mit ihm die europäische Kultur.» So sind die Worte nicht aufzufassen; sondern Sie müssen sich sagen, dass Deutschland seinen Beruf erfüllen wird, wenn sich Menschen finden werden, die Kraft genug haben, den deutschen Geist in sich zu beleben, unchauvinistisch, unnational, als ein Stück des Weltengeistes, in dessen Sinn wir zu wirken haben zwischen dem Osten und dem Westen. Und wenn die Welt zurückweist, was aus Mitteleuropa kommen kann, dann sollte für uns jetzt der Zeitpunkt gekommen sein, wo die, welche seit Jahrzehnten sich bekannt haben zur anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, nicht nur mit ihrem Kopfe, sondern mit ihrem Herzen und ihrem ganzen Opfermute sich erinnern und sagen: Wir sind da! Und dass wir da sind, um den Geist zu pflegen, soll nicht eine Seelenlüge sein, sondern soll sich entfalten als Seelenwahrheit! – Und wenn die anderen bereit sind, aufzunehmen den Ruf nach Wahrheit, wie er aus der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft kommen kann, dann, wenn dieses Verständnis eintritt, dann könnte das, was als Anthroposophische Gesellschaft gedacht war, dasjenige werden, als was sie gedacht war. Heute geht an alle Menschen, die guten Willens sind, der Ruf nach Emanzipation des Geisteslebens. Aber diejenigen Menschen, die sie vom Standpunkte des Geistes aufzufassen vorgegeben haben, sollen Wahrheit darüber sich geben und frei heraus sagen: Und verlassen die anderen die Bahn des Geistes, bringen sie den Mut dazu nicht auf, so wollen wir dafür eintreten. Wir haben den Mut dazu. Wir wollen, dass der Geist nicht Phrase ist für uns, wir wollen, dass er als Wirklichkeit in unserem Blute pulst, wir wollen sagen, was für den Geist zu geschehen hat.
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