Rudolf Steiner: Das englisch sprechende Volkstum wirkt durch die Gewalt

 

Aus Nummer 186 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 142:

Das ist auch die Schwierigkeit des Verständnisses, die da vorliegt, wenn die Leute die englische Politik oder die amerikanische Politik begreifen wollen. Es wird die Nuance nicht ins Auge gefasst, die gerade notwendigerweise ins Auge gefasst werden muss: dass diese Politik selbstsüchtig sein muss, dass sie ganz auf selbstsüchtigen Impulsen ruhen muss. Durch ihre besondere Eigenart muss sie auf selbstsüchtigen Impulsen ruhen. Sie wird daher diese selbstsüchtigen Impulse als das Selbstverständliche ansehen, als das Rechtliche, als das Moralische. Da ist gar nichts dagegen einzuwenden. Das ist nicht mit Kritik zu belegen, sondern als eine welthistorische, ja sogar kosmische Notwendigkeit einfach einzusehen. Widerlegt werden kann es auch nicht, aus dem einfachen Grunde, weil derjenige, der aus dem englischen Volkstum heraus etwas widerlegen will, sich immer, ich möchte sagen, auf einer falschen Fährte befindet. Er will aus moralischen Gründen, die dabei gar nicht in Betracht kommen, in Abrede stellen, dass die Politik des englischen Volkstums selbstsüchtig ist. Aber moralische Gründe kommen dabei gar nicht in Betracht. Sie wird dasjenige, was sie bewirkt, was ihre Ergebnisse sind, gerade durch diesen instinktiven Charakter, durch diese Selbstsucht haben. 

Daher ist in unserem fünften nachatlantischen Zeitraum dieser englisch sprechenden Bevölkerung gewissermaßen zuerteilt das Element der Gewalt. 

Anmerkung IH: So wie es in der Geschichtsschreibung bestimmte Epochen gibt (Steinzeit, Mittelalter und so weiter), so gibt es auch in der geistigen Entwicklungsgeschichte der Menschheit bestimmte Zeiträume. Einer davon ist der erwähnte „fünfte nachatlantische Zeitraum“, in dem wir im Moment leben.

Erinnern Sie sich an die drei Glieder im Goetheschen «Märchen»: Gewalt, Erscheinung oder Schein, und Weisheit, Erkenntnis. 

Anmerkung IH: Rudolf Steiner verweist auf Goethes «Das Märchen», in Goethes «Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten».

Von diesen drei Gliedern ist zugeteilt dem englisch sprechenden Volkstum die Gewalt. Dasjenige, was es politisch in der Welt bewirkt, das wird es dadurch bewirken können, dass es gewissermaßen zu seinen angeborenen Eigenschaften gehört, durch die Gewalt zu wirken. Und durch die Gewalt zu wirken, wird im fünften nachatlantischen Zeitraum als etwas Selbstverständliches hingenommen werden. Die englische Politik wird in der ganzen Welt akzeptiert – selbstverständlich wird man alle Schäden, die aber in der Wirklichkeit auf dem physischen Plane immer vorhanden sind, scharf kritisieren können, das können ja die Angehörigen des Britischen Reiches selber tun -, aber sie wird akzeptiert. Es liegt einfach in der Zeitentwickelung, dass sie akzeptiert wird, und zwar ohne dass man darüber nachdenkt, ohne dass man irgendwie Gründe sucht. Die Gründe werden ohnedies alle nichts taugen, weil es eben eine ganz unmittelbare Selbstverständlichkeit ist, dass die Gewalt, die von dieser Seite kommt, akzeptiert wird. 

Und auf Seite 147:

Aber dieses deutsche Element selbst, das hat nun nicht eine instinktive Anlage zur Entwickelung der Bewusstseinsseele, sondern es hat nur die Anlage, durch die es sich zur Bewusstseinsseele erziehen kann. Während also im Britentum die instinktive Anlage zur Entwickelung der Bewusstseinsseele vorhanden ist, muss der deutsche Mitteleuropäer, wenn er irgendwie die Bewusstseinsseele in sich rege machen will, dazu erzogen werden. Er kann sich das nur erwerben durch die Erziehung. Weil das Zeitalter der Bewusstseinsseele eben zugleich das Zeitalter der Intellektualität ist, muss daher der Deutsche, wenn er irgendwie die Bewusstseinsseele in sich rege machen will, ein intellektueller Mensch werden. Daher hat auch der Deutsche seine Beziehung zur Bewusstseinsseele vorzugsweise auf dem Wege der Intellektualität, nicht auf dem Wege des Instinktlebens gesucht. Daher haben gewissermaßen die Aufgaben der Deutschen nur diejenigen erreicht, welche in einer gewissen Weise ihre Selbsterziehung in die Hand genommen haben. Die bloßen Instinktmenschen bleiben unberührt von diesem Sich-Regen der Bewusstseinsseele, bleiben in einer gewissen Weise zurück. 

Das ist auch der Grund, warum das britische Volkstum von vornherein instinktiv zur Politik veranlagt ist, während das deutsche Volk ein apolitisches Volk ist, überhaupt gar nicht zur Politik veranlagt ist. Wenn es Politik treiben will, steht es vor einer großen Gefahr, die Ihnen insbesondere dann aufleuchten wird, wenn Sie ins Auge fassen, dass ja das Deutschtum übernommen hat, auf dem intellektuellen Gebiete nun das Element in die Welt einzuführen, das das zweite Element ist. Britentum: die Gewalt; das deutsche Element: das Erscheinende, meinetwillen nennen Sie es Schein, die Ausgestaltung der Gedanken, dasjenige, was in gewisser Beziehung nicht erdfest ist. Im Britentum ist alles erdfest. Im Deutschtum handelt es sich um etwas, was nicht erdfest ist, sondern was dialektisch ausgebildet wird. Verfolgen Sie einmal die Intellektualität der Deutschen, Sie können sie vergleichen mit dem Griechentum, nur haben die Griechen mit Bezug auf die Bildnatur den Schein ausgestaltet; die Deutschen haben den Schein besonders mit Bezug auf die Intellektualisierungsnatur ausgestaltet. Es gibt schließlich nichts Schöneres als dasjenige, was ausgestaltet ist durch den Goetheanismus, durch Novalis, durch Schelling, durch alle diese Geister, die eigentlich Künstler sind in Gedanken. Das macht die Deutschen zu einem unpolitischen Volk. Sie sind, wenn sie politisch sein sollen, einem instinktiv politisch denkenden Menschen nicht gewachsen. 

Von den drei Dingen, die in Goethes « Märchen » aufgezählt sind – Gewalt, Schein, Erkenntnis -, ist dem Deutschen im intellektuellen Zeitalter die Scheingestaltung der Intellektualität zugefallen. Will er nun doch eingreifen in die Politik, da steht er vor der Gefahr, dass er dasjenige, was schön ist innerhalb der Gedankengestaltung, in die Wirklichkeit hineinbringt; das ist das Phänomen zum Beispiel Treitschkes. Der Wirklichkeit gegenüber wird dann zuweilen dasjenige, was gerade im Scheine schön ist – «Schein» und «schön» hat sogar dem Wortlaute nach einen ähnlichen Ursprung -, weil es nicht in den eigenen Anlagen liegt, etwas, was nicht so recht mit dem Menschen zusammenhängt, was eigentlich bloße Behauptung bleiben kann, was dann auf die Welt den Eindruck der Unwahrhaftigkeit machen muss. Denn die große Gefahr, die selbstverständlich zu überwinden ist, aber nicht immer überwunden wird, besteht darin, dass der Deutsche nicht nur, wenn er höflich ist, lügt, sondern dass er auch lügen kann, wenn er gerade seine besten Talente in ein Gebiet hineintragen will, für das er nicht angeborene Anlagen hat, sondern für das ihm die Anlagen nur anerzogen werden können, für das er sich anstrengen muss. 

Ich habe vor einigen Jahren gesagt: Der Engländer ist etwas; der Deutsche kann nur etwas werden. Daher ist es so schwierig mit der deutschen Kultur, daher ragen in der deutschen und in der österreichisch-deutschen Kultur immer nur einzelne Individualitäten heraus, die sich in die Hand genommen haben, während die breite Masse beherrscht sein will, sich gar nicht mit den Gedanken befassen will, die bei der britisch sprechenden Bevölkerung in die Instinkte gelegt sind. Daher verfiel auch die mitteleuropäische Bevölkerung solchen Herrschaftsgelüsten, wie die der Habsburger und Hohenzollern es waren, eben wegen der apolitischen Natur, weil ganz andere Notwendigkeiten vorliegen, wenn der Deutsche zu seiner Aufgabe kommen will. Er muss zu dieser Aufgabe erzogen werden. Er muss gewissermaßen berührt werden von dem, was Goethe im «Faust» zur Gestaltung gebracht hat, vom Werden des Menschen zwischen Geburt und Tod. 

 

 

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