„Unsere 40-Stunden-Woche in Europa ist lächerlich“ – Eine geistig aufbegehrende Bevölkerung soll in die Knie gezwungen werden

von Ingo Hagel 

Immer mal wieder werfen die ideenlosen Mainstreammedien ihren Lesern ein paar unverdauliche Brocken hin, über die sie herfallen sollen – und oft sind dann die Leserkommentare sehr viel interessanter und lesenswerter als der dargebotene Medienseich. So geschah es gerade eben wieder mit dem Interview von Julie Meyer, der blonden, arbeitsamen (naja, von den Eltern gezwungen….) und deutschstämmigen (Osnabrück….) Chefin eines britischen Risikoprojektfinanzierers. Die WELT hielt es angesichts der sich immer stärker abzeichnenden sozialen Verwerfungen (fast ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitet in Niedriglohnverhältnissen, von denen man kaum leben geschweige denn eine Familie ernähren kann) für eine smarte Idee, eine der Thesen von Frau Meyer („Unsere 40-Stunden-Woche in Europa ist lächerlich“) arglos mal so als Titel zu platzieren – schließlich haben die Medien ja die Aufgabe, die Menschen auf das vorzubereiten, was kommt. Der gleißende Schein dieser Blendgranate erhellte das soziale Schlachtfeld und forderte ein Sperrfeuer an Kommentaren heraus. Bereits einen Tag nach Erscheinen des Artikels (am 11. Feb.) und nach 573 zumeist alarmglockenmäßig schrillenden Einträgen wurde diese Möglichkeit, sich zu Wort zu melden, deaktiviert.

In dem Interview verzapft die Risikofinanziererin viel des arroganten Chefgequatsches,

„Ich rate jungen Leuten deshalb immer, herauszufinden, wo in diesem Zug auf dem Weg ins Unternehmerland sie sich sehen: Einige von uns werden den Zug steuern. Andere dagegen verkaufen den Kaffee und den Tee an Bord. Das ist okay – solange jeder das macht, wovon er träumt.“

das nur beweist, dass Frau Meyer keinen blassen Dunst von diesem „Traum“ hat, im Zug Kaffee und Tee zu verkaufen.

Dann bot die WELT dem verehrten Publikum noch ein journalistisches Extrabonbon, indem sie Frau Meyer fragte (weil: Asien, und Chinesen, Koreaner, Inder ….), was wir von den zwangsarbeitenden Ostmenschen lernen könnten. Der blonde Workaholic ließ daraufhin folgende wirre unternehmerische Weisheiten aus seinem arbeitsreichen Leben vom Stapel:

Besonders viel in Bezug auf Arbeitseinstellung. Unsere 40-Stunden-Woche hier in Europa ist lächerlich. Erfolgreiche Unternehmer in China arbeiten 80 oder 100 Stunden in der Woche. Ich sage nicht, dass das gut ist – ich stelle es fest. Für ein wirklich großes Ding brauchen Sie diesen Einsatz. In Ländern ohne Sozialstaat arbeiten die Leute wie blöd. Das hat nichts damit zu tun, ob sie smart oder nicht smart sind. Leider ist das Thema hier immer noch ein Tabu. Zugegeben: Auch ich sähe besser aus, wenn ich weniger arbeiten, mehr Sport treiben und mehr schlafen würde. Aber ich weiß auch: Es ist cool, wenn du weißt, was du in dieser Welt willst.

Nun ja, wie cool, dass Frau Meyer für sich herausgefunden hat, dass sie nicht blöd ist, und dass sie nicht Kaffee und Tee im Zug verkaufen will.

Heute meinen die Menschen, man müsste – zwar nicht mit Blick auf die Menschenrechte, aber mit Blick auf das Arbeitsrecht – nach Asien blicken, um die düsteren Nebelschwaden aufzuhellen, die hier den Blick vernebeln. Im Zusammenhang mit der Frage der Arbeitszeit darf vielleicht auf Worte Rudolf Steiners hingewiesen werden, auch wenn es die alte Klasse des Proletariers als solche so nicht mehr (beziehungsweise noch nicht wieder….) gibt:

Sehen Sie, man kann heute unzählige Mitglieder des Proletariats sprechen – wenn man gelernt hat, mit dem Proletariat zu denken und zu empfinden, dann hört man aus ihrem Munde auch dasjenige, was sie vor allen Dingen bewegt -, dann aber hört man oftmals: Vor allen Dingen darf es nicht sein, dass wir den ganzen Tag arbeiten und arbeiten mit den Händen und dass unsere Seele dabei leer bleibt, weil wir des Abends ermüdet nach Hause kommen und nichts anderes tun können, als hinfallen und uns niederlegen. Wir wollen eine angemessene Arbeitszeit. 

Rudolf Steiner verweist auf etwas sehr Wichtiges, was angesichts der aktuellen Entwicklungen und Intentionen – die in solchen „Einsichten“ wie denen von Frau Meyer ja nur medial breitgetreten werden – eine große Bedeutung hat: Dass nämlich der Mensch durch die heutigen Arbeitsverhältnisse sich selbst entfremdet worden ist, indem er kein Mensch mehr ist, sondern nur noch eine Arbeitsmaschine. Nicht die Rentabilität der Maschinen oder eine internationale Konkurrenz ist das Wichtige bei der Frage der Arbeitszeit, sondern die Seelen der Menschen! Was für eine menschliche und großartige Perspektive! Rudolf Steiner war nicht der Auffassung, der Arbeiter (damals „Proletarier“; heute der coole Typ, der davon träumt, in dem Zug, den Frau Meyer steuert, Kaffee und Tee zu verkaufen….) sei interesselos:

Man soll ja nicht glauben, dass das moderne Proletariat nicht nach geistiger Nahrung drängt. Es drängt furchtbar und intensiv darnach. Aber die Nahrung, die geboten wird, sie ist zum Teil diejenige, auf die ohnedies das moderne Proletariat schwört, nämlich die positivistische Wissenschaft, die materialistische Wissenschaft, oder zum Teil ist es unverdauliches Zeug, das den Leuten eben Steine statt Brot gibt.

Die Frage der Arbeitszeit ist also intensiv und eng verknüpft mit der Frage der geistigen Entwicklung der arbeitenden Menschen. Sie ist daher auch eines der wichtigsten Mittel, um eine geistig aufbegehrende Bevölkerung in die Knie zu zwingen. Und angesichts von 573 fast durchweg empörten Kommentatoren unter diesem Testballon dieses Frau-Meyer-Interviews, die im Kern ihr geistiges Recht einfordern, darf man sich an fünf Fingern abzählen, dass die Herrschenden die Stimmung im Volk längst verstanden haben und gegensteuern, indem sie die Menschen – immer mehr und möglichst lange arbeiten lassen werden. Dazu wird dann noch immer weiter viel, viel flache Unterhaltung im Fernsehen geboten, das geeignetste Mittel, um die Menschen vom Nachdenken abzuhalten. Denn über folgende Dinge müsste dringend nachgedacht werden:

Menschliche Arbeitskraft darf nicht mehr wie eine Ware auf dem Markt verkauft werden müssen

Arbeit und Einkommen des Menschen sind zu trennen – sie haben nichts miteinander zu tun

Es geht nicht um Lohn, sondern um Verteilung des von allen am Arbeitsprozess Beteiligten gemeinsam erwirtschafteten Erlöses

Und es geht darum, dass heute in der Regel derjenige, der der wirtschaftlich Schwache ist, sich bei dieser Teilung übers Ohr gehauen findet

Wie Rudolf Steiner über diese Dinge dachte, habe ich hier dargestellt. Innerhalb dieses Rahmens wird auch die Frage nach der Arbeitszeit in einer menschlichen Weise beantwortet werden.