An so vielen Stellen hat Rudolf Steiner auf den Karmagedanken hingewiesen sowie auf die Notwendigkeit eines neuen, modernen und bewussten Erfassens desselben. Der Mensch lebt eben nicht nur einmal. Sein heutiges Leben ist nicht allein Ergebnis seiner aktuellen Leistungen sondern auch Ergebnis vergangener Taten – und sein nächstes Leben wird Resultat der Taten dieses jetzigen Leben sein. Dem Dichter Lessing (1729 – 1781) ist dieses aufgegangen. Der Karmagedanke muss in der heutigen Zeit immer mehr eine Grundlage des Lebens werden. Jedoch darf niemals mitleidsloser Fatalismus aus ihm folgen.
Rudolf Steiner: Aber bewusst muss der Mensch auch manches andere entwickeln. Der Mensch hat immer leben müssen nach dem Karma, nach dem großen Schicksalsgesetz, aber er hat nicht immer sich ein Wissen von diesem großen Schicksalsgesetz angeeignet. Wie war es eigentlich überraschend, als durch Lessings «Erziehung des Menschengeschlechts» heraussprang aus der neueren Geistesentwickelung das Bewusstsein von den wiederholten Erdenleben. Heute beginnt die Zeit, wo man nicht mehr in derselben Weise von Mensch zu Mensch leben kann wie früher. Wir haben gesehen, wie man nicht mehr in derselben Weise zu den Wesen der drei höheren Hierarchien lebt. Aber auch zu den Menschen selbst kann man nicht mehr in derselben Weise leben wie früher. Ihr Leben ragt allerdings, wie es früher gepflegt worden ist, in unsere Zeit herein, aber wir versäumen unsere Verpflichtungen gegenüber der Gegenwart, wenn wir nicht darauf aufmerksam machen, dass auch ein neues Verhältnis von Mensch zu Mensch eintreten muss. Es hat bis jetzt nichts gemacht, kann man sagen, weil die menschliche Bewusstheit nicht verpflichtet war in der vorherigen Zeit, sich zu entwickeln. So dass man in der früheren Zeit dem Menschen entgegengetreten ist ohne Bewusstsein: Du Mensch, in dir lebt eine Seele, die durchgemacht hat eine Zeit vor der Geburt und davor ein anderes Erdenleben. – Es wird eine Zeit kommen, und sie ist schon im Anbrechen, wo es ein Mangel der Seelenverfassung wäre, wenn wir bei einem anderen Menschen nicht wüssten, in seiner Seele lebt etwas, was sich herüberlebt aus einem früheren Erdenleben. Bisher hat es nichts gemacht, wenn man dies nicht wußte. Jetzt beginnt die Zeit, wo man das nicht außer acht lassen darf.
aus Rudolf Steiner Gesamtausgabe, GA Nr. 193