Die Freie Welt schrieb:
Die Grünen sind konservativer, weiblicher, protestantischer und ostdeutscher geworden als zu ihren Gründerzeiten, sagt der Parteienforscher Franz Walter. Darüber hinaus haben sie eine stabile Mitgliederstruktur, die von im Berufsleben stehenden 35- bis 55-Jährigen dominiert wird. Beamte und Unternehmer, aber keine Transferleistungsempfänger prägen das Parteiprofil. …. Die Grünen sind zur »Partei der Besserverdienenden« geworden. …. Allerdings ist den Grünen auch ihr Alleinstellungsmerkmal abhandengekommen. Den Umweltschutz haben die anderen Parteien seit langem ebenfalls auf die Fahnen genommen.
und der Parteienforscher Franz Walter schrieb im Spiegel zu den Grünen:
Mit Katrin Göring-Eckardt haben die Grünen eine Kirchenfrau an ihre Spitze gewählt. Die Entscheidung markiert das Ende eines Umbruchs: Die Partei ist schon lange keine linke Kampftruppe mehr, sondern hat endgültig die Mitte der Gesellschaft erreicht – mit konservativen Botschaften ….. Das “Ö” der Ökologie hat das “C” der Christdemokraten und der Christsozialen im politischen Feld zumindest in Teilen ersetzt. Für Natur, Umwelt, eben Bio sind gegenwärtig irgendwie alle. Der Naturbezug hat in der bundesdeutschen Gesellschaft der früheren Religiosität gleichsam den Rang abgelaufen. Natur ist nun der neubürgerliche Sinnstifter. Natur gilt es zu bewahren, gegen Eingriffe zu schützen – alles genuin konservative Zielsetzungen also.
Ob die Bewahrung der Natur und deren Schutz gegen Eingriffe wirklich „genuin konservative Zielsetzungen“ sind, bezweifele ich. Zu wach sind dafür meine Erinnerungen an vergangene Jahrzehnte, an den Kampf der ökologischen Gruppen, den Umweltschutz gegen den Widerstand der etablierten Parteien in der Gesellschaft zu verankern. Und Angela Merkel, die mit einer Arbeit über„quantenchemische Zerfallsreaktionen“ promovierte, dürfte ihr Ausstieg aus der Atomenergie nach Fukushima kaum ihrer Sympathie für regenerative Energien geschuldet sein.
“Ich habe dem Atomausstieg zugestimmt, weil ich die Chance sah, ein großes Konfliktthema endlich zu befrieden”, sagt etwa der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion und erklärte Parteikonservative Thomas Bareiß ZEIT ONLINE.
Ich vermute sehr, Herr Bareiß – und viele andere der „Unionsfraktion“ ebenfalls – dachte sich beim Interview mit ZEIT ONLINE eigentlich folgendes:
„Ich – und wir alle von der CDU/CSU – haben dem Atomausstieg zähneknirschend zugestimmt, weil wir die Chancen und die Notwendigkeit sahen, ein großes Wählerpotenzial, das sich nach der Katastrophe von Fukushima unaufhaltsam und gefährlich zu den Grünen zubewegte, in die große Mutterpartei umzuleiten.“
Mittlerweile sind die Grünen also eine Partei „mit konservativen Botschaften“ geworden und haben sogar „eine Kirchenfrau an ihre Spitze gewählt“. Was es hier also gibt, ist „alter Wein in neuen Schläuchen“. Statt einem „C“ gibt es nun ein „Ö“ – für die, die partout nicht CDU/CSU wählen wollen, aber doch noch aus der Zeit der 68er stammen. Es handelt sich um eine sicher wohlkalkulierte Umschichtung in der Parteienlandschaft für diejenigen, die immer noch nicht äußeren Anstrich vom Doseninhalt unterscheiden können. Bekanntermaßen nahm ja Jürgen Trittin, der bei einem Sieg von Rot/Grün bei der nächsten Bundestagswahl Finanzminister werden soll, an der 60. Bilderberg-Konferenz in Chantilly im US-Bundesstaat Virginia teil.
Abgesehen davon verdient die oben bereits erwähnte Bemerkung Franz Walters Beachtung:
Für Natur, Umwelt, eben Bio sind gegenwärtig irgendwie alle. Der Naturbezug hat in der bundesdeutschen Gesellschaft der früheren Religiosität gleichsam den Rang abgelaufen. Natur ist nun der neubürgerliche Sinnstifter.
In der Tat ist diese Haltung ein bizarres wie trauriges Zeitphänomen, die von der großen Denkträgheit vieler Menschen zeugt. Kaum macht man den Fernseher an, stößt man auf mindestens einem, meistens aber mehreren Kanälen auf eine Tier- oder Natur-Doku, so beliebt sind diese Filme. Und das ja mit Recht, denn sie lassen einen ja immer wieder zutiefst staunen über die Geheimnisse der Natur (s. hier und hier). Das Problem ist jedoch, dass diese zwar mehr oder weniger tief im Gemüt erlebt werden, aber da die Menschen sie nicht in das Licht des klaren Gedankens heraufheben werden wollen, entsteht aus dieser Ideen-Leere eine Natur-Vernarrtheit mit quasi religiösen Zügen – das heißt, diese ist nur noch dem Glauben und nicht mehr dem Licht des Gedanken zugänglich und offen. Diese Haltung rächt sich natürlich auch politisch. Und so passt es ins Bild, dass sich diese Öko-Partei „eine Kirchenfrau an ihre Spitze gewählt“ hat. Aber auch diese Dose hat einen anderen Inhalt als ihr Etikett. So schrieben die Nachdenkseiten dazu:
Wir wollen die bürgerliche Mitte niemand anderem überlassen“ sagte denn auch Göring-Eckardt nach ihrem Abstimmungssieg gegen Claudia Roth und Renate Künast. Schon vor drei Jahren schrieb der Parteienforscher Franz Walter pointiert: “Die Grünen von 2009 sind so, wie die Grünen 1983 die CDU beschrieben haben: furchtbare Bürger, elitär, selbstgefällig.” …. Sieht man nämlich von den Reden in ihren eher repräsentativen Ämtern ab und blickt auf das tatsächliche politische Handeln der früheren Fraktionsvorsitzenden der Grünen in der rot-grünen Koalition, so gehörte sie damals geradezu zu den Einpeitscherinnen der Agenda-Politik. Im Tonfall Gerhard Schröders redete die „Reala“ ihrer Partei und uns ein: „Es geht darum, den Sozialstaat auf die radikal veränderten Bedingungen einzustellen.“ Sie huldigte dem Mythos der Senkung der „Lohnnebenkosten“ als angebliches Mittel zur Arbeitsbeschaffung. Sie war und ist eine vehemente Verfechterin der privaten Altersvorsorge und setzte sich für Steuervergünstigungen dafür ein. Sie war und ist für die Rente mit 67 (bis heute http://goering-eckardt.de/detail/nachricht/urwahl-fragen-gewerkschaftsgruen.html). Sie war und ist für das Hartz-Regime, auch wenn sie sich später mildtägig für die Erhöhung der Regelsätze aussprach.
Update 13. Nov. 2012: Gestern schrieb ich, dass die Veränderungen, die immer deutlicher sichtbar werden mit Blick auf die Grünen, Teil einer „wohlkalkulierten Umschichtung in der Parteienlandschaft“ seien. Die Teile der Wählerschaft, die den konservativen Parteien wegbrechen, sollen durch Koalitionen mit den Grünen aufgefangen werden. Genau das bestätigen heute einige CDU-Abgeordnete, indem sie nach mehreren Wahlschlappen in Großstädten eine Annäherung an die Grünen fordern:
„Wir haben den Anschluss verloren“: Nach etlichen Wahlschlappen ziehen CDU-Bundestagsabgeordnete eine ernüchternde Großstadtbilanz. Ihre Partei müsse in den Metropolen endlich aus der Defensive kommen, verlangen sie in einem Positionspapier – auch durch Bündnisse mit den Grünen. …. „Wir haben den Anschluss an wichtige Multiplikatoren und gemeinwohlorientierte Interessengruppen weitgehend verloren“, schreiben die Parlamentarier. Die Partei sei allzu oft nur die „Nachhut der öffentlichen Debatte, meist in defensiver Abwehr- oder Erklärungshaltung, ohne Themen zu setzen oder gestaltend in die Diskurse eingreifen zu können“. Die Autoren machen die Grünen als stärkste urbane Konkurrenz aus – aber eben auch als wichtigsten, potentiellen Bündnispartner in der Stadt ….“
Update 14. Nov. 2012: Wahltrend: Satte Mehrheit für Schwarz-Grün
Die Union erreicht in der Stern-Umfrage Höchstwerte, für eine Weiterführung von Schwarz-Gelb wäre es derzeit aber nicht genug. Schuld daran hat die FDP. Die Piraten sacken auf unter 5 Prozent.
Peer Steinbrück ist wohl auch wegen seiner 25.000 Euro Honorare als Redner unbeliebt. Zusammen mit den Grünen käme die CDU/CSU auf eine Mehrheit von 53 Prozent.