von Ingo Hagel
Das Deutsche Anlegerfernsehen interviewte Prof. Hankel zum Stand der Klage gegen den ESM beim Bundesverfassungsgericht. In dem Gespräch sagte Hankel, er sei enttäuscht über die Qualität unserer politischen Führung:
Prof. Hankel: „Was ich dort gehört habe von Abgeordneten des deutschen Bundestages ist eigentlich beschämend.“
Moderator: „Wissen die Bundestagsabgeordneten, was sie tun oder was sie beschlossen haben?“
Prof. Hankel: „Genau das hat das Gericht wiederholt jeden Einzelnen befragt: „Wisst Ihr eigentlich, was Ihr da beschlossen habt?“ Und da war einer von Vielen ehrlich und hat gesagt: „Hohes Gericht, glauben Sie doch nicht, dass deutsche Abgeordnete Einfluss auf die Texte haben, die man ihnen vorlegt. Sie haben eigentlich nur die Wahl zu unterschreiben oder zurückzuweisen. Und die wenigsten trauen sich natürlich, so etwas zurückzuweisen.“
Die Aussagen von Prof. Hankel bestätigen ein weiteres Mal, was ich hier auf Umkreis-Online zum Zustand unseres Parlamentarismus schrieb. Es wird immer deutlicher, dass die, die im Bundestag zu entscheiden haben, die Parlamentarier, kaum eine Ahnung haben, worüber sie entscheiden, dass sie auch keine Ahnung haben sollen, und dass die Entscheidungen an anderen Orten getroffen werden. Das ist natürlich ein katastrophaler und unhaltbarer Zustand, zumal er sicher nicht nur die Angelegenheit des ESM sondern sämtliche anderen Abstimmungen und Entscheidungen des Bundestages betrifft. Es macht daher auch keinen Sinn, Petitionen und Emails an Abgeordnete und Frau Merkel zu senden:
Denn auf diesen Parlamentarismus ist nicht mehr zu zählen, er muss durch etwas Zeitgemäßes ersetzt werden. Alle diese Aktionen mit Petitionen – also Bittschriften – sowie Emails an Abgeordnete und Regierungsmitglieder haben für mich – abgesehen von der Artikulation der Ablehnung und des Widerstandes gegen den ESM – nichts Zukünftiges, da sie an Verhältnisse eines funktionierenden Parlamentarismus anknüpfen wollen, die es nicht gibt und wohl nie gegeben hat. Die Aktionen mit den Petitionen (= Bittschriften) erinnern mich vielmehr an weit zurückliegende Zeiten eines Monarchismus, in denen das rechtlose Volk untertänigst und mit gesenktem Haupt an seinen Fürsten Bittschriften einreichen konnte.
Adolph von Menzel malte mit seinem Bild „Bittschrift“ solch eine Szene mit Friedrich dem Großen. Dieser befindet sich auf einem Ausritt, ein Bauernpaar am Rand des Weges wartet auf ihn, um ihm eben eine solche Bittschrift zu überreichen.
Auf dieser Homepage ist das Bild heller dargestellt.
Ich denke, diese Gepflogenheiten und Zustände aus alten aristokratischen Zeiten, in denen das Volk keine anderen Möglichkeiten als Bittschriften und Petitionen hatte, um seine geknechtete und rechtlose Lage zu verbessern, sollten längst Vergangenheit sein. Die Völker Europas und der Welt heute werden nicht mehr von miserablen Monarchen sondern von miserablen Parlamenten und miserablen Demokratien, die keine sind, drangsaliert. Es ist Zeit, grundsätzlich das System zu ändern und nicht an das alte bankrotte System Bittschriften zu stellen. Darauf müssten die Aktivitäten derjenigen, die sich Demokraten nennen, eigentlich gehen.
Heute leben wir in einer Zeit, in der ein Prof. Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (das heißt einer der sogenannten Wirtschaftsweisen) die Vergemeinschaftung der Schulden der europäischen Länder über Eurobonds fordert, dazu eine „ stärkere finanzpolitische Integration Europas“ über eine Stärkung der „Rolle des Europäischen Parlaments“. Und er meint allen Ernstes, diese Abtretung von demokratischen Rechten an die EU-Bürokraten in Brüssel sei dann „ein wichtiger Beitrag zu mehr Demokratie in Europa“. Er befürwortet „Durchgriffsrechte in die Haushalte unsolide wirtschaftender Länder“, was natürlich für den Demokratie-Phantasten Bofinger ganz bestimmt „ein wichtiger Beitrag zu mehr Demokratie in Europa“ sein würde. Und damit das alles glatt über die Bühne geht und unsere Politiker sich hinterher die Hände in Unschuld waschen können – denn das Volk hat es ja so gewollt – fordert Bofinger zu diesem ganzen Desaster an „wirtschaftsweisen“ Vorschlägen auch noch eine Volksabstimmung. Siehe dazu auch:
sowie:
Der Bericht von Prof. Hankel zeigt den Zustand unserer parlamentarischen Demokratie. Die Zitate Prof. Bofingers weisen – neben vielen anderen Symptomen – auf weitere heranrollende „demokratische“ Perspektiven und Aussichten Europas. Die Phänomene der Zeit belegen den Zusammenbruch des Alten und fordern den Bau von etwas wirklich Neuem. Rudolf Steiner hat dieses Neue als Soziale Dreigliederung in seinem Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ sowie in vielen Artikeln dazu beschrieben.
Diese beinhaltet – sehr kurz gefasst – die notwendige Trennung von Staat (Politik, Rechtsleben), Wirtschaftsleben und Geistesleben. Diese sind heute noch miteinander verbundenen und verhindern dadurch gesunde Entwicklungen. Sie müssen daher voneinander gelöst und als souveräne und unabhängige Gebiete nebeneinander gestellt werden (mehr dazu siehe hier auf Umkreis-Online). Dabei wird dem Parlamentarismus (dem Staat, der Politik) nur noch das Recht zukommen, die Rechtsangelegenheiten der Menschen zu ordnen, wozu zum Beispiel auch die innere (Polizei) und äußere Sicherheit (Armee) gehört. Ein solcher Staat wird also erst ein wahrer Rechtsstaat werden. Alle anderen Gebiete (Wirtschaftsfragen, Geld- und Währungsfragen, Bildung, Schul- und Universitätswesen, Forschung etc.) werden in die Hände des Wirtschaftslebens und des freien Geisteslebens gelegt sein.
Wie könnte denn nun ein neuer Parlamentarismus praktisch aussehen?
Hier einige Vorschläge dazu von mir. Es muss doch ziemlich deutlich geworden sein, dass in der Zukunft nicht jeder Parlamentarier wird über alles entscheiden können. Er kann es heute nicht und darf es morgen schon gar nicht mehr. Vielmehr könnte ich mir vorstellen, dass sich aus der Gesellschaft heraus Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Fachgebieten und Sachfragen bilden werden. Nicht in irgendwelchen Hinterzimmern wird die Linie einer Regierung von Wenigen ausgekungelt werden – damit sie dann, wie Prof. Hankel es als Aussagen vor dem höchsten deutschen Gericht wieder bestätigt, von den Parlamentariern abgenickt werden können – sondern es wird offen diskutiert werden über die Dinge – und zwar von allen, die an diesem Prozess teilnehmen. Teilnehmer einer solchen Gruppe könnte im Prinzip jeder werden, der in dieser Angelegenheit sachverständig ist beziehungsweise etwas beizutragen hat. Denkbar ist auch, dass die vielen regionalen Arbeitsgruppen (Bürgerinitiativen), die es jetzt schon zu den verschiedensten gesellschaftlichen Themen gibt, Delegierte zum Beispiel in Regional-, Landes- und Bundesgruppen entsenden.
Denkbar ist, dass es neben diesen Arbeitsgruppen zu den verschiedensten Sachfragen, einen ständigen Stab von Mitarbeitern gibt, der die Kontinuität Arbeitsfähigkeit dieses neuen Parlamentarismus gewährleistet, jedoch nur in rein bürokratischen Angelegenheiten, nicht mehr in inhaltlichen. Die inhaltliche, konkrete Arbeit wird von den Teilnehmern der verschiedenen Arbeitsgruppen geleistet. Diese würden einen fluktuierenden Charakter aufweisen: Ist ein Problem gelöst, löst sich auch die Arbeitsgruppe auf. Tauchen neue Fragen und Probleme auf, werden neue Arbeitsgruppen gebildet. Alle diese Gruppen werden Teil dieses neuen Parlamentarismus sein, der – anders als heute – wirklich aus den Menschen der Gesellschaft und ihren Bedürfnissen gespeist wird.
Die eine Gruppe – beziehungsweise der eine Parlamentarier – wird nicht in die Angelegenheiten einer anderen Fachgruppen hineinreden können. Ein Parlamentarier wird damit auch nicht mehr über sämtliche Fach- und Sachgebiete eines Staates beziehungsweise eines Volkes abstimmen können, sondern nur dort, wo ihn seine Lebens- und Sachkenntnis dazu berechtigt. Die heutigen Parlamentarier haben zu einer Stimmabgabe keine Berechtigung mehr, wie die obigen Aussagen Prof. Hankels sowie viele andere Beispiele zeigen.
Vor kurzem schlug der ehemalige BDI Präsident aufgrund der desaströsen Zustände sogar die Bildung eine außerparlamentarischen Opposition vor:
Ich halte das im obigen Sinne für einen guten Vorschlag. Auf diese Weise könnte neben dem bestehenden – jedoch bankrotten – Parlamentarismus sich sozusagen probeweise ein neuer warmlaufen und sich langsam etablieren. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit außer revolutionären Zuständen, um dem, was sich hier als „kalter Staatsstreich“ vollzieht, zu begegnen.