von Ingo Hagel
Ich hege weder Sympathien für Dominique Strauß-Kahn noch für den IWF, deren Direktor er (bis vor seinem vor kurzem erzwungenen Rücktritt) war. Aber was hier seitens des politischen und juristischen Apparates der USA medienwirksam vollzogen wird hat mit der normalen Aufklärung einer Straftat nichts mehr zu tun. Es kann nur als politische Abstrafung verstanden werden – sowie als Warnung an alle anderen, die sich nicht dem (Anglo-) Amerikanischen Finanzsystem konform verhalten. Wer sich zu diesem Thema fundierter informieren möchte, als es die gewöhnlichen Zeitungen und deren Online-Portale zulassen (s. dazu auch den vorigen Artikel auf Umkreis-Online), dem seien hier einige wenige Einstiegshilfen und Anregungen gegeben, um sich ein erweitertes und differenzierteres Bild von der Sache zu machen.
Aus einem Interview mit Dominique Moisl in der taz: „Die Bilder dieser Schaujustiz, die vorsätzlich einen Angeschuldigten, dessen Schuld nicht belegt ist, öffentlich demütigt, waren schockierend. …. Es ist an der Justiz in New York, Beweise zu liefern.“
Auch Monika Frommel, Direktorin des kriminologischen Instituts der Universität Kiel kritisierte in der taz die unwürdige Art der Verhaftung und Vorführungvon Dominique Strauss-Kahn: „Wieso wurden Dominique Strauss-Kahn bei seiner Verhaftung Handschellen angelegt? Wieso wurde er in Handschellen den Fotografen ausgeliefert, als er der Richterin vorgeführt wurde? Auch nach US-Recht darf die richterliche Überprüfung eines Haftgrundes nicht dazu dienen, den Beschuldigten öffentlich zu entwürdigen. Und wieso kann eine befürchtete „Fluchtgefahr“ nicht mit verhältnismäßigen Mitteln gebannt werden? Die mittlerweile ergangenen Auflagen der Grand Jury zeigen ja, dass es geht. Prozessuale Zwangsmittel dienen der Sicherung eines Verfahrens. Sie dürfen keinen strafenden Charakter haben – egal, ob sich der Verdacht aus Sicht der Ankläger verdichtet oder nicht. Denn ein Verdacht ist ein Verdacht, nicht mehr. Die Unschuldsvermutung hätte also verlangt, dass zu keinem Zeitpunkt Fotografen zugelassen werden und keine öffentlichen Mitteilungen über das ungeklärte, für den Beschuldigten aber peinliche Geschehen erfolgen. Jeder Hinweis auf einzelne Verdachtsmomente löst Spekulationen und eine irreversible Schädigung aus. Diese ist im Fall Strauss-Kahn nun eingetreten.“
Jürgen Elsässer überschrieb seinen Artikel zu dem Thema sehr treffend so: „IWF und Yankee-Banker zerquetschen Strauss-Kahn“. Er verweist auf einen von der Seite Luftpost-Kaiserslautern übersetzten Artikel von Mike Whitney („IWF-Chef Strauss-Kahn in „Sexfalle“ getappt?“), der Parallelen zu dem Fall Eliot Spitzer aufzeigt: „Es ist mir nicht möglich, zu beurteilen, ob das 32jährige Zimmermädchen, das behauptet, von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Dominique_Strauss-Kahn) bedrängt und zum Oralsex gezwungen worden zu sein, die Wahrheit sagt oder nicht. Das überlasse ich der kläffenden Meute der Medienleute, die sich bereits um die Rolle des Richters, der Jury und des Scharfrichters balgt. Ich möchte aber sagen, dass die ganze Angelegenheit ziemlich stark nach Fisch stinkt – genau wie die im Jahr 2008 hoch- gekochte Sex-Affäre Eliot Spitzers (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Eliot_Spitzer ). Sie erinnern sich sicher noch daran, dass Spitzer der schärfste Kritiker der Wall Street und der aussichtsreichste Kandidat für die Position des Chefs der United States Securities and Exchange Commission / SEC (der US-Börsenaufsichtsbehörde) war, für die er hervorragend geeignet gewesen wäre (Infos zur SEC s. http://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Securities_and_Exchange_Commission). Wenn Spitzer damals zum Chef der SEC berufen worden wäre, säßen meiner Meinung nach heute die meisten der führenden Investment- Banker der Wall Street in Bundesgefängnissen ein und würden Autokennzeichen oder Schuhe mit Flechtsohlen herstellen. Es gab also gute Gründe, Spitzer rund um die Uhr überwachen zu lassen, bis man genügend Schmutz gesammelt hatte, mit dem man ihn bewerfen konnte. Der Ex-Gouverneur New Yorks machte es seinen Feinden auch ziemlich leicht, weil er sich mit der Edelnutte Ashley Dupré im Mayflower-Hotel vergnügte. Als man das publik machte, fielen die Medien wie ein Schwarm Heuschrecken über Spitzer her und stürzten sich wie geile Pubertierende auf jedes schlüpfrige Detail seiner Affäre. Die Gauner von der Wall Street konnten erleichtert aufatmen und ungestört weiterhin das tun, was sie am besten können: Kapitalanleger schröpfen und Menschen um die in ihrem ganzen Leben angesammelten Ersparnisse betrügen.
Auch Strauss-Kahn hat Feinde in hohen Positionen, und deshalb stinkt diese ganze Intrige zum Himmel. Vor allem war Strauss-Kahn der aussichtsreichste Kandidat der französischen Sozialistischen Partei / PS und hätte Sarkozy in der (2012) anstehenden Präsident- schaftswahl gefährlich werden können. Dem IWF-Chef wurden große Chancen gegen Sarkozy eingeräumt, weil dieser durch mehrere private Skandale und sinkende Umfragewerte geschwächt ist.
Wenn Strauss-Kahn in eine Falle getappt ist, dann wurde sie ihm wahrscheinlich von der im Schatten operierenden Koalition der westlichen Banker gestellt, von diesen nur sich selbst bedienenden Charakterschweinen, die es in den letzten zwei Jahrhunderten geschafft haben, den größten Teil der Menschheit in einem stets nur leicht variierten Zustand der Armut und der Verzweiflung zu halten. Strauss-Kahn hat erst kürzlich diese gemeinsam verfolgte Linie verlassen und war dabei, die auch vom IWF eingeschlagene (gleiche) Richtung zu ändern. Strauss-Kahns Bekehrung, die an die Bekehrung des Apostels Paulus auf der Straße nach Damaskus erinnert (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Damaskuserleb-nis), hat der progressive Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz (s. http://de.wikipe-dia.org/wiki/Joseph_E._Stiglitz) bereits in seinem erst kürzlich veröffentlichten Artikel „The IMF’s Switch in Time“ (Der IWF hat gerade noch rechtzeitig den Schalter umgelegt, aufzurufen unter http://www.project-syndicate.org/commentary/stiglitz138/English ) gewürdigt“ (eingefügte Links von Mike Whitney).
Und Balmer schreibt in der taz:„Das Bild von IWF-Generaldirektor Dominique Strauss-Kahn, der mit übermüdetem Gesicht und ungekämmt mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt von zwei Polizeibeamten in ein Gerichtsgebäude von New York geführt wird, hat Frankreich schockiert. …. Einer seiner Vertrauten, Jean-Christophe Cambadélis, sagte, er sei „kein Anhänger von Verschwörungstheorien“, aber er wolle doch darauf hinweisen, man habe DSK „einen Atomkrieg angedroht, sobald er die ersten Schritte als Präsidentschaftskandidat mache“. …. (Dominique Strauss-Kahn) habe auch erwähnt, wie er am Rande einer internationalen Konferenz Sarkozy in einer Toilette getroffen und ihn aufgefordert habe, ihn gefälligst nicht wegen seines Privatlebens zu beschmutzen. Höchst erstaunlich tönt es heute, dass sich DSK …. sogar ein mögliches Komplott gegen ihn ausmalte: „Eine Frau, die für 500.000 oder eine Million Euro eine Geschichte erfindet und sagt, ich hätte sie in einer Parkgarage vergewaltigt.““
Die Seite 21st Century Wire gibt zu bedenken, dass für die Finanzeliten sicher andere Gründe für die „Abberufung“ von Strauß-Kahn vorlagen: „Strauss-Kahn’s nice talk for pseudo-socialists about greater accountability and more controls on the global finance industry most surely sounded a little too much like Elliot Spitzer talking, circa 2007, about how he was going to clean up Wall Street. By early 2008 Spitzer fell in a sex scandal where the bit players were staffed from the same high price prostitution rackets Spitzer had been investigating as New York Attorney General. More important, Strauss-Kahn was likely failing in the real key mission of the IMF, but his sudden disappearance creates huge risks of the game plan becoming known.“
„Strauß-Kahns nette Reden für Pseudo-Sozialisten über größere Verantwortung und mehr Kontrollen über die Welt-Finanz-Industrie klang wahrscheinlich ein wenig zu sehr nach den Reden von Eliot Spitzer circa 2007 darüber, wie er die Wall Street aufräumen würde. Anfang 2008 fiel Eliot Spitzer in einem Sex-Skandal, in dem die Kleindarsteller von derselben hochpreisigen Prostitutions-Betrügerei besetzt worden waren der Spitzer nachstellte als General-Staatsanwalt von New York. Viel bedeutender: Strauß-Kahn war wahrscheinlich dabei, in der eigentlichen Schlüssel-Mission des IWF zu versagen, aber sein plötzliches Verschwinden erzeugt hohe Risiken, dass der gesamte Plan bekannt wird“ (Übersetzung IH).
21st Century Wire macht auch darauf aufmerksam, dass doch sehr unterschiedlich mit den sexuellen Eskapaden der Politiker umgegangen wird: „President Bill Clinton survived his sexual escapades, because he was a servant to the system, not a threat. But Strauss-Kahn, like former New York Governor Eliot Spitzer, was a threat to the system, and, like Eliot Spitzer, Strass-Kahn has been deleted from the power ranks.“
„Präsident Bill Clinton überlebte seine sexuellen Eskapaden, weil er ein Diener des Systems war, keine Bedrohung. Aber Strauß-Kahn so wie der ehemalige Gouverneur von New York Eliot Spitzer waren eine Bedrohung für das System, und so wurde Strauß-Kahn – wie Eliot Spitzer – aus den Reihen der Mächtigen entfernt“ (Übersetzung IH).