Rudolf Steiner zum naiven Glauben Mitteleuropas

 

(GA 259 S. 585) 

… Nur ein paar Worte möchte ich sagen: Ich möchte gerade bei dieser Gelegenheit, wo eben ausschließlich, wie mir scheint, die deutschen Vertreter hier vereinigt sind, etwas sagen, was vielleicht auch mehr oder weniger bloß unter den deutschen Vertretern eigentlich sein Wissen, sein Mitwissen finden soll. Denn natürlich, die Zeiten sind ja heute so, daß die Dinge, die eigentlich aber doch gewußt werden sollten, in der mannigfaltigsten Weise mißverstanden werden. Ich möchte das folgende sagen, bemerke aber ausdrücklich, daß dahinter selbstverständlich nicht im geringsten irgend eine nationale oder dergleichen Meinung steckt, sondern daß nur Tatsachen sprechen sollen. 

Die Anthroposophische Gesellschaft hat wirklich nur dann eine Berechtigung, wenn sie beachtet dasjenige, was aus anthroposophischer Erkenntnis von Zeit zu Zeit auch, ich möchte sagen, in bezug auf das unmittelbare Leben immer hervorgehen kann. Sie werden das, was ich meine, aus den folgenden Andeutungen ersehen. 

Sehen Sie, es war natürlich in gewissem Sinne eine Naivität, wenn geglaubt worden ist, daß die schwachen Kräfte Mitteleuropas sich gegen den Ring der ganzen Welt physisch halten können. Ich blicke zurück auf die letzten Zeiten. Es war eine Naivität, das zu glauben, als die Koalition der ganzen Welt außerhalb Mitteleuropas zustande gekommen ist. Und es war von Anfang an klar, seit 1914, daß es eine Naivität wäre zu glauben, daß irgendwie von einem äußeren Siege Mitteleuropas gesprochen werden könne. Diesen Glauben hat im Grund genommen Mitteleuropa bis jetzt nicht aufgegeben, sondern es zieht sich immer zurück auf bestimmte Gebiete und wird sich auch nicht abhalten lassen, da, wo die geistige Einsicht nicht vorhanden ist, diesen Glauben nun wenigstens auf das wirtschaftliche Gebiet noch so lange auszudehnen, so lange es eben nicht auf wirtschaftlichem Gebiete das gleiche erlebt wie auf politischem. 

Also davon, daß irgendwie, sagen wir, innerhalb des Gebietes des physischen Planes von Mitteleuropa aus aufgekommen wird gegen nun einmal die Machtmittel der ganzen Welt, daran zu glauben ist doch eigentlich eine Naivität. Dagegen muß man sich klar sein darüber, daß dasjenige, was aus mitteleuropäischem, namentlich deutschem Geiste heraus der Welt zu sagen ist, eben noch lange nicht gesagt und getan ist, daß Mitteleuropa eben in geistiger Beziehung für die Welt noch Ungeheures zu leisten hat und daß Mitteleuropa sich endlich ein Gesicht dafür aneignen müßte, daß in der – wenn ich es so ausdrücken darf -, in der Maja die Dinge eben doch zuweilen sogar entgegengesetzt der Wirklichkeit sich ausnehmen. So daß also dasjenige, was sowohl auf politisch-staatlichem wie auch auf wirtschaftlichem Gebiete gegenwärtig in der Welt geschieht, eigentlich das Gegenbild von dem ist, was auf geistigem Gebiet geschieht. Es ist das wahre Gegenbild. Denn in Wirklichkeit sind die Siege, die errungen werden – auch die wirtschaftlichen Siege werden es sein -, eigentlich Niederlagen; Niederlagen gegenüber der sich fortentwickelnden Menschheit. Und man wird es erleben, daß sich in gar nicht so ferner Zeit in der ganzen Welt, trotz allen Strebens nach politischer und wirtschaftlicher Präponderanz, trotz alledem sich ergeben wird in der ganzen Welt, und, wie gesagt, in gar nicht zu ferner Zeit, das Urteil: Das Geistige hat man in Mitteleuropa zu suchen! Das Geistige muß von Mitteleuropa genommen werden! – Und es wird auftauchen in der Welt eine förmliche Sehnsucht, den Geist zu nehmen von dorther, wo man in äußerer Weise eigentlich versklavt ist. Und das wird innig zusammenhängen mit der zukünftigen Gestaltung der Welt. 

Aber ich möchte nicht vergessen lassen, daß solche Dinge vielfach zusammenhängen in unserer heutigen Kulturepoche mit der menschlichen Freiheit; daß es also einfach nicht möglich ist, den richtigen Moment zu versäumen; daß demgegenüber ein Wachen notwendig ist. Und die Anthroposophische Gesellschaft, sie hätte vor allen Dingen die Aufgabe, wach zu sein gegenüber dem, was auch in der unmittelbaren Gegenwart sich abspielt. Es kann sehr leicht der Zeitpunkt verpaßt werden, der eben doch, man möchte sagen, wie vorgezeichnet ist in der Geschichte, wo aus zahlreichen Zentren in der Peripherie, in der Mitteleuropa umschließenden Peripherie, die Ansicht auftaucht: Ja, wir haben zwar an äußeren Machtmitteln gegenüber Mitteleuropa Ungeheures errungen; aber, wenn wir nicht auf der Erde geistig zugrunde gehen wollen, müssen wir Mitteleuropa als den Quell des Geisteslebens ansehen. 

Nicht wahr, denken Sie sich einmal das Ungeheure, was eintreffen könnte, daß diese Urteile, mehr oder weniger Gefühlsurteile, in den verschiedenen Zentren der Welt aufleuchten würden und in Deutschland alle Leute dastehen und Maulauffen feilhalten und nicht verstehen, was da herankommt und was eigentlich zu tun ist. 

Diese Dinge, die sind dasjenige, was als reale Gedankenbildung zugrunde liegen muß dem, was man sozusagen exoterisch – wenn ich es so ausdrücken darf – nennt: «die moralische Forderung». Bei uns in der Anthroposophischen Gesellschaft dürfen die Dinge nicht Phrase bleiben – selbstverständlich redet jeder idealistische Phraseur auch von moralischen Forderungen -, sondern bei uns müssen sie durch geistige Realität gestützt sein. Deshalb, um eine Richtung zu geben und Kraft in die geistigen Muskeln hinein, wollte ich diese paar Worte vorausschicken. 

   

 

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