Die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners ist ein gegliederter gedanklicher Organismus 

 

von Ingo Hagel

 

Hier in dieser GA 103 (S. 195) teilt Rudolf Steiner den Zuhörern mit, dass seine „Philosophie der Freiheit“ ein lebendiger – 

aber eben rein gedanklicher, rein philosophischer – wie oft hier auf Umkreis dargestellt – 

gegliederter, Organismus ist, wie bei einem Hund, bei dem man auch nicht „die Hinterbeine mit den Vorderbeinen auswechseln kann„: 

Bei vielen anderen Büchern der Gegenwart ist es so, dass man im Grunde genommen, wenn man nur die Systematik ein bisschen anders gestaltet, das eine früher, das andere später sagen kann. Bei der «Philosophie der Freiheit» ist das nicht möglich. Da kann man ebensowenig die Seite 150 etwa 50 Seiten früher stellen in dem Inhalt, wie man bei einem Hund die Hinterbeine mit den Vorderbeinen auswechseln kann. Denn dieses Buch ist ein gegliederter Organismus, und das Durcharbeiten der Gedanken dieses Buches bewirkt so etwas wie eine innere Trainierung.

 

In der GA 253 (S. 91) werden dann noch ganz andere Konsequenzen 

aus dieser „inneren Trainierung“, aus dem 

Durcharbeiten der Gedanken dieses Buches,

dieses „gegliederten Organismus“ der „Philosophie der Freiheit“ gezogen: 

Wenn man eine Gedankenfolge so nimmt, wie sie zum Beispiel in der «Philosophie der Freiheit» gegeben ist, ist es unmöglich, sie anders zu gestalten. Man kann sie nicht in einer beliebigen Weise meißeln und so weiter, sondern man muß sie so in sich wachsen lassen wie einen Organismus. Man ist wirklich mit seinem Ich unbeteiligt; das Denken selber denkt. Aber dadurch allein wird es reif, daß nun das, was man herausgeleert hat – der eigene Ich-Inhalt – durch ein anderes ersetzt wird: Statt unseres eigenen Gemütsinhaltes muß jetzt der Gemütsinhalt der Geister der höheren Hierarchien in dieses emotionsfreie Denken hinein. Und wenn Sie es dahinbringen, daß Sie aus dem mit Ihren Emotionen angefüllten Denken nach und nach diesen subjektiven Inhalt herausbringen, den ich hier punktiert gezeichnet habe, und nur noch die reinen Begriffe als solche haben, dann kann der göttliche Inhalt hineinfließen. Und nun haben Sie den Inhalt von oben.

 

Das sind bedeutsame Ausführungen: 

Man kann die Gedankenfolge der „Philosophie der Freiheit“ also

so in sich wachsen lassen wie einen Organismus.

Damit erst macht man sich dann allerdings fähig und bereit, dass wirklich neue und ganz andere Gedanken – 

nämlich die der realen geistigen Welt, „der Geister der höheren Hierarchien“ – 

in einem Platz greifen können. Solange nämlich der übliche Alltagsmensch mit seinen üblichen kleinlichen und selbstbezogenen Sorgen, Trieben, Affekten, Leidenschaften noch vorhanden ist, so lange kann man sich dieser realen geistigen Welt nicht wirklich nähern. Dazu muss man allerdings diese „innere Trainierung“ absolvieren, diesen Gedankenorganismus der „Philosophie der Freiheit“ nachvollziehen zu können. Dann erst kann in einem solchermaßen vorbereiteten Bewusstsein der Gedankenorganismus der realen, lebendigen geistigen Welt – 

die ebenfalls lebendig ist und ein Gedankenorganismus, wie die „Philosophie der Freiheit“ – 

in einem erscheinen.  

 

Diese „innere Trainierung“ muss man erst einmal realisieren 

in seinem Studium der „Philosophie der Freiheit“. Das ist es also auch, was das Beobachten des Denkens ist: die Knospen dieses gegliederten Organismus beobachten, die sich Einem aus einem reinen Gedanken ergeben. Solange man diesen Punkt nicht erfasst und in sich realisiert hat, so lange wird man immer warten müssen, bis einem die „Philosophie der Freiheit“ den nächsten sprießenden Gedanken anbietet, darbietet, so dass man ihn lesend wahrnehmen kann. Das ist aber gut, wenn man das erstmal aushalten kann, und wenn man nicht gleich sagt: 

Da ist doch nichts zu beobachten. 

 

Die Ausführungen im vierten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ 

zu der Beziehung zwischen dem Denken und dem denkenden Wesen sind sind nur ein Beispiel, an dem man sehr gut nachvollziehen kann, wie sich ein Satz dieses reinen Gedankenorganismus aus dem anderen herausentwickelt (GA 4, S. 59): 

Nun ist es am Platze, von dem Denken auf das denkende Wesen überzugehen. Denn durch dieses wird das Denken mit der Beobachtung verbunden. Das menschliche Bewusstsein ist der Schauplatz, wo Begriff und Beobachtung einander begegnen und wo sie miteinander verknüpft werden. Dadurch ist aber dieses (menschliche) Bewusstsein zugleich charakterisiert. Es ist der Vermittler zwischen Denken und Beobachtung. Insoferne der Mensch einen Gegenstand beobachtet, erscheint ihm dieser als gegeben, insoferne er denkt, erscheint er sich selbst als tätig. Er betrachtet den Gegenstand als Objekt, sich selbst als das denkende Subjekt. Weil er sein Denken auf die Beobachtung richtet, hat er Bewusstsein von den Objekten; weil er sein Denken auf sich richtet, hat er Bewusstsein seiner selbst oder Selbstbewusstsein. Das menschliche Bewusstsein muß notwendig zugleich Selbstbewusstsein sein, weil es denkendes Bewusstsein ist. Denn wenn das Denken den Blick auf seine eigene Tätigkeit richtet, dann hat es seine ureigene Wesenheit, also sein Subjekt, als Objekt zum Gegenstande. …

Und so weiter …

 

Die „Philosophie der Freiheit“ gibt den Weg vor, was da beobachtet werden kann. 

Man kann diese innere Trainierung an ihr und durch sie vornehmen. – 

Man kann zum Beispiel versuchen, diesen oben angeführten Absatz wiederzugeben, also nicht einfach nur zu lesen, sondern innerlich auswendig zu reproduzieren, und zu versuchen, nach jedem Satz nicht in die „Philosophie der Freiheit“ zu schauen, sondern in sich zu schauen, ob man aus dem vorhergehenden Satz den nächsten entwickeln kann. –

Bei jedem Training braucht man ein Gerät, an dem man sich abarbeiten kann – selbst wenn es das Gerät des eigenen physischen Leibes ist, an dem man sich abarbeitet. Im Falle der „Philosophie der Freiheit“ ist es allerdings nicht vorrangig der physische Leib –

bei diesem besteht die Abarbeitung nur darin, dass man ihn überwinden muss, dass man versuchen muss, nicht immer die „Philosophie der Freiheit“ mit dem physischen Gehirn, also mit dem Kopf zu denken –

sondern eher der Ätherleib und der Astralleib, in die das Denken der reinen Gedanken nun verlegt und wahrgenommen werden soll. Aber das sage ich hier nur in Parenthese, weil das ein eigenes umfangreiches Thema ist, dass ich hier nicht weiter ausführen will, bei dem es aber doch ganz gut ist, wenn man ein wenig ahnend im Blick hat, was da eigentlich Großes in der eigenen Konstitution passiert bei dieser „inneren Trainierung„.    

 

Dann aber, wenn man auf diese Weise seine eigenen Emotionen 

aus seinem Denken herausbekommen hat, dann ist die Voraussetzung geschaffen für dieses:       

Statt unseres eigenen Gemütsinhaltes muß jetzt der Gemütsinhalt der Geister der höheren Hierarchien in dieses emotionsfreie Denken hinein.

Und weil das so ist, muss dieser Artikel auch rein in das Kapitel 

330 Durch die „Philosophie der Freiheit“ DOCH in die reale geistige Welt von Imagination, Inspiration, Intuition.

des Inhaltsverzeichnisses dieser Rubrik Anthroposophie.      

 

Das ist das, was Rudolf Steiner meint mit Blick auf das Studium der Geisteswissenschaft, 

wozu ja definitiv auch die „Philosophie der Freiheit“ gehören kann, dass man an ihr reines Denken lernen kann, dass man an ihr lernen kann,

sich in einen reinen, sinnlichkeitsfreien Gedankeninhalt

so zu vertiefen, dass man die Sinneswelt immer mehr ausschaltet: 

Das Studium ist nicht das Lernen, wie es gewöhnlich geschieht, sondern man muß darauf kommen, daß es für den Menschen ein Denken gibt, welches noch ein flüssiges, wirkliches Denken ist, wobei der Mensch alle sinnlichen Wahrnehmungen um sich herum ausschließt. 

Der Mensch muß lernen, alles zu vergessen, von allem abzusehen, was äußerlich auf die Sinne wirkt, ohne jedoch leeres Gefäß zu bleiben. Das ist möglich, wenn man sich in einen reinen, sinnlichkeitsfreien Gedankeninhalt vertieft, wie er in den Mitteilungen des Geistesforschers enthalten ist, und über das, was sich fortspinnt, sinnt. 

 

Also es spinnt sich etwas fort – und darüber sinnt man. 

Und die „Philosophie der Freiheit“ ist selbstverständlich eine „Mitteilung des Geistesforschers“ – auch wenn die Mitteilung erstmal „nur“ in rein gedanklicher, rein philosophischer Form gegeben ist. An ihr kann man aber sicher üben, was man für die wirkliche geistige Forschung dann können muss: zu entdecken, wie sich ein Gedanke zu einem anderen Gedanken entwickelt, hinbewegt, und wie überhaupt die Gedankenwelt in einem Gedankenorganismus zusammenhängt. Das darf man nicht gering schätzen, denn das ist etwas, was man nirgends aus der gewöhnlichen Literatur, und sei sie noch so „philosophisch“, lernen kann.  

 

Die „Philosophie der Freiheit“ ist also so eine Art sicherer Trockenschwimmkurs am Beckenrand, 

bevor man sich in die unendlichen Untiefen der realen geistigen Welt werfen will – wie ich immer mal gesagt habe.  An ihr kann man Beobachtung des Denkens, Anschauung des Denkens üben – in seiner ersten Form, der rein philosophischen, rein gedanklichen, aber dann wirklich zum ersten Mal seelischen Form, während man doch vorher nicht davon sprechen kann, dass der Mensch seelische Erlebnisse hat, dass der Mensch in seiner wirklichen Seele lebt, die er ergreift, weil diese Seele nur ausgefüllt wird mit Sinnlichem aus der Außenwelt, dass durch den Leib vermittelt wird. –

Aus diesem Grunde trägt die „Philosophie der Freiheit“ auch den Untertitel: 

Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode. –

Daneben gibt es aber noch andere Formen. Die heißen dann allerdings nicht gewöhnliches Alltagsbewusstsein, das von leibvermittelten Seeleninhalten halluziniert, sondern Imagination, Inspiration und Intuition – womit der sichere, rein philosophische Trainings-Standpunkt der „Philosophie der Freiheit“ dann aber bereits verlassen ist.                                                                                   

  

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