von Ingo Hagel
Der Mensch früherer Entwicklungsperioden fühlte sich mit dem geistigen Kosmos verbunden. Das hörte mit dem Ende der Atlantis und im Laufe der nachatlantischen Kulturepochen immer mehr auf, weil der Mensch sich zur Freiheit entwickeln sollte und sich dazu immer mehr ein abstraktes, ungeistiges Gegenstandsbewusstsein erarbeiten musste. –
Siehe dazu zum Beispiel Rudolf Steiners Buch „Geheimwissenschaft“ (GA 13). –
In der „Philosophie der Freiheit“, die ja die Grundlage der ganzen Anthroposophie ist, liest sich das Resultat dieser Entwicklung so:
Der Mensch ist ein eingeschränktes Wesen. Zunächst ist er ein Wesen unter anderen Wesen. Sein Dasein gehört dem Raum und der Zeit an. Dadurch kann ihm auch immer nur ein beschränkter Teil des gesamten Universums gegeben sein. Dieser beschränkte Teil schließt sich aber ringsherum sowohl zeitlich wie räumlich an anderes an. Wäre unser Dasein so mit den Dingen verknüpft, daß jedes Weltgeschehen zugleich unser Geschehen wäre, dann gäbe es den Unterschied zwischen uns und den Dingen nicht. Dann aber gäbe es für uns auch keine Einzeldinge. Da ginge alles Geschehen kontinuierlich ineinander über. Der Kosmos wäre eine Einheit und eine in sich beschlossene Ganzheit. Der Strom des Geschehens hätte nirgends eine Unterbrechung. Wegen unserer Beschränkung erscheint uns als Einzelheit, was in Wahrheit nicht Einzelheit ist.
Heute ist der Mensch aufgrund seiner Organisationsstruktur –
Rudolf Steiner nennt diese in der „Philosophie der Freiheit“ „totale Wesenheit“ –
in die Notwendigkeit versetzt, erst mühselig die Einzelheiten der Welt wahrzunehmen, zu denken und an ihnen Begriffe zu bilden. –
Steiner bezieht damit auch übersinnliche Wahrnehmungsstufen in die Notwendigkeit ein, diese durch das Denken aufhellen zu müssen. Denn weder die physische sinnliche Wahrnehmung liefert ohne das Denken Wirklichkeit, noch liefert die erste Stufe der übersinnlichen Wahrnehmung als Imagination eine geistige Wirklichkeit usw. –
Die Welt ist natürlich immer noch eine Einheit, allerdings ist der Mensch aus dieser herausgefallen. Es gibt einen Schnitt:
Es hat mit der Natur der Dinge nichts zu tun, wie ich organisiert bin, sie zu erfassen. Der Schnitt zwischen Wahrnehmen und Denken ist erst in dem Augenblicke vorhanden, wo ich, der Betrachtende, den Dingen gegenübertrete.
Nun ist es eben so, dass dem Menschen
bei jedem Dinge der Wirklichkeit von zwei Seiten her die Elemente zufließen, die für die Sache in Betracht kommen: von Seiten des Wahrnehmens und des Denkens.
Und es gibt eben überhaupt keine andere gesunde Möglichkeit, als sich von diesen beiden Elementen des Wahrnehmens und des Denkens heraus wieder in die geistige, das heißt übersinnliche Ganzheit des Kosmos hineinzuarbeiten.
Diese in Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ projektierte Weg in eine geistige Wirklichkeit hinein
ist für viele Menschen überhaupt nicht attraktiv. Zwar reden in der heutigen Zeit der Unfreiheit so einige Leute recht unbedarft von Freiheit, aber so, wie sie davon reden, meinen sie doch nur die bürgerlichen Behaglichkeiten einer abgelaufenen Zeit.
Manche Menschen schwärmen daher noch heute aus einem diffusen Gefühl heraus von diesem „wunderbaren“ Paradieseszustand, in dem die Menschheit sich in diesen alten Zeiten befand, in denen der Mensch in einer unzertrennbaren Einheit mit dem Kosmos lebte und ihn erlebte, indem dessen Geistgehalt einfach in ihn einfloss, ohne dass er denken musste.
Vielleicht würden diese Leute sich auch heute lieber immer noch auf dem geistigen Niveau zum Beispiel der Schnecke bewegen, die, indem sie über den Boden kriecht, die Eigentümlichkeiten desselben einfach so, also ohne zu denken, wahrnimmt:
Nämlich die Tiere nehmen nicht nur so wahr, wie der Mensch die mineralische Welt wahrnimmt, sondern sie nehmen noch – besonders stark die niederen Tiere – etwas ganz anderes wahr. Wenn ein Tier, ich will sagen, eine Schnecke über den Boden kriecht, dann nimmt sie die ganze Eigentümlichkeit des Bodens wahr. Das würde den Menschen fortwährend stören, wenn er, indem er über den Erdboden geht, diesen so wahrnehmen würde wie eine Schnecke oder selbst eine Schildkröte. Mit den höheren Tieren, die warmes Blut haben, ist es etwas anderes, aber gerade die niederen Tiere nehmen wirklich die ganze Eigentümlichkeit des Bodens wahr, auf dem sie kriechen. Sie nehmen die ganze Eigentümlichkeit der Luft wahr, sie nehmen alles, was um sie herum ist, in einer ganz andern Weise wahr als der Mensch. Das Tier weiß, ob es sich über einen Boden, der Moorboden ist, oder ob es sich über einen Sandboden hinbewegt, denn es nimmt die ganze Eigentümlichkeit des Bodens in sich wahr. …
Diese Schnecklein-Leute halten das Denken für abstrakt, wesenlos und schmerzhaft – und daher unbedingt zu vermeiden.
Es ist aber inhaltsvoll, wie Rudolf Steiner in seiner „Philosophie der Freiheit“ (GA 4 S. 94) an selbigem Schnecklein ausführte:
Am tiefsten eingewurzelt in das naive Menschheitsbewußtsein ist die Meinung: das Denken sei abstrakt, ohne allen konkreten Inhalt. Es könne höchstens ein «ideelles» Gegenbild der Welteinheit liefern, nicht etwa diese selbst. Wer so urteilt, hat sich niemals klar gemacht, was die Wahrnehmung ohne den Begriff ist. Sehen wir uns nur diese Welt der Wahrnehmung an: als ein bloßes Nebeneinander im Raum und Nacheinander in der Zeit, ein Aggregat zusammenhangloser Einzelheiten erscheint sie. Keines der Dinge, die da auftreten und abgehen auf der Wahrnehmungsbühne, hat mit dem andern unmittelbar etwas zu tun, was sich wahrnehmen läßt. Die Welt ist da eine Mannigfaltigkeit von gleichwertigen Gegenständen. Keiner spielt eine größere Rolle als der andere im Getriebe der Welt. Soll uns klar werden, daß diese oder jene Tatsache größere Bedeutung hat als die andere, so müssen wir unser Denken befragen. Ohne das funktionierende Denken erscheint uns das rudimentäre Organ des Tieres, das ohne Bedeutung für dessen Leben ist, gleichwertig mit dem wichtigsten Körpergliede. Die einzelnen Tatsachen treten in ihrer Bedeutung in sich und für die übrigen Teile der Welt erst hervor, wenn das Denken seine Fäden zieht von Wesen zu Wesen. Diese Tätigkeit des Denkens ist eine inhaltvolle. Denn nur durch einen ganz bestimmten konkreten Inhalt kann ich wissen, warum die Schnecke auf einer niedrigeren Organisationsstufe steht als der Löwe. Der bloße Anblick, die Wahrnehmung gibt mir keinen Inhalt, der mich über die Vollkommenheit der Organisation belehren könnte. Diesen Inhalt bringt das Denken der Wahrnehmung aus der Begriffs- und Ideenwelt des Menschen entgegen.
Aber es besteht nun einmal die Tatsache, dass der Mensch um seiner eigenen Freiheit willen
sich aus dem mit dem Kosmos in – unfreier – Einheit lebenden Paradieseszustand herauslösen musste. Der ehemalige reale und erlebte Geist wurde damit ein totes Abstraktum. Die alten mit dem Geist verbundenen Kulturen wurden nun immer mehr absolute Kopfkulturen – mit allen auch sozialen Misslichkeiten, die dazugehören:
Deshalb müssen wir uns bewußt werden, daß um uns herum eine Kopfkultur ist, und daß es uns obliegt, eine Menschheitskultur zu schaffen.
Der Mensch hat heute nichts anderes mehr als seinen Kopf-Geist, der natürlich kein realer Geist mehr ist, sondern erst wieder ein solcher werden muss. An ihn muss er aber anknüpfen.
Die Aufgabe besteht also darin, diesen Kopf-Geist, diese Kopfkultur
wieder in ein Erleben des realen Geistes hineinzuentwickeln – ganz langsam, denn das wird nicht schnell gehen. Der Mensch muss lernen –
wenn er das illusionäre Kopfdasein in seinem Leben überwinden will, das keine Realitäten liefert, sondern nur Bilder – denn nicht am Erleben von geistigen Realitäten, sondern nur am Erleben von Bildern kann der Mensch seine Freiheit entwickeln –
seinen physischen Leib in seiner geistigen Betätigung auszuschalten. Das kann er nur, indem er lernt, Dinge zu denken, in denen nichts Sinnliches mehr enthalten ist. Die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners ist ein Trainingsinstrument, um dieses sinnlichkeitsfreie, reine Denken zu üben. –
Wie oft hier auf Umkreis-Online ausgeführt, ist auch das Studium der sinnlichkeitsfreien Inhalte der Anthroposophie ein solches Trainingsinstrument. –
Aber auch diese so lebendige „Philosophie der Freiheit“ ist nur Bild –
allerdings ein solches, das in dem Menschen, der sich damit beschäftigt, Kräfte entwickeln kann, vom Bild zur Realität zu kommen. Hier in diesem Vortrag erklärt Rudolf Steiner dasselbe nicht mit Blick auf seine „Philosophie der Freiheit“, sondern auf sein Buch „Die Rätsel der Philosophie“ (GA 18):
… und es wird noch lange die Frage eine unendlich große Bedeutung haben, wie man in das Wissen, in die Ideenwelt das Sein, die Wirklichkeit hereinbekommen kann.
Wenn diese Frage noch so lange
eine unendlich große Bedeutung haben
wird, dann wird es im Laufe dieser Zeit wohl noch sehr viele Beiträge zu diesem Thema geben müssen.
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