Ein stiller kleiner Künstler 

 

von Stella Hagel 

 

Gerührt denke ich manchmal an die erste Eurythmiestunde mit Jeremias, als er mit drei Jahren und winzig klein zu uns kam. Da weinte er herzzerreißend, als ich in seiner Kindergruppe erschien, war doch alles so neu für ihn, und nun kam die Frau Hagel dazu und wollte mit den Kindern Eurythmie machen. Jeremias schluchzte untröstlich, blieb aber nur ganz am Anfang der Eurythmie am Rande stehen, um sich mit tränenverschleiertem Gesichtchen alles anzusehen. Dann aber wurde sein kleines Körperchen von den Gebärden ergriffen, und er fing unter weiterhin fließenden Tränen an, kräftig mitzumachen. Er stampfte tüchtig und bewegte energisch seine Ärmchen. Nach und nach erst verebbten seine tiefen Schluchzer und nachdem die letzten verklungen waren, war die Eurythmie für ihn keine fremde Sache mehr. Allerdings hat er nie ein Wort mit mir gesprochen, immer nur tüchtig mitgearbeitet. Ich fand das schön, versuchen doch manche der pfiffigen Kleinen mich ins Gespräch zu ziehen, weil sie zuweilen lieber erzählen als Eurythmie machen möchten. 

Mit fünf Jahren überrascht Jeremias mich mit zwei erstaunlichen Sätzen. Ich komme nämlich ganz offensichtlich im falschen Moment, um die Kinder zur Eurythmie zu holen. Sie hätten heute gar keine Lust auf die Eurythmie, verkünden sie. Dabei vergnügten sie sich mit einem kurzweiligen Spielchen im Sitzkreis, bei dem ich sie wohl schwer störte. Ich ließ sie eine Weile weiterspielen, unterbrach dann aber, weil das Spiel gar nicht enden wollte: „Wisst Ihr was? Ich will Euch ja nicht stören, aber …“ „Tust Du aber“, schneidet mir Anton, sechs Jahre, das Wort ab. Ich schlucke, versuche aber trotzdem tapfer die Kinder zur Eurythmie zu überreden. Sie stellen sich schlapp und meutern. „Kinder“, muntere ich sie auf, „wir machen eine ganz kurze Eurythmie und wenn Ihr es so schön macht wie Ihr könnt, …“    „… dann ist es auch gar nicht mehr anstrengend,“ vollendet Jeremias meinen Satz. „Ach“, ich staune, „das hast Du wohl auch schon gemerkt?“ „Ja“, lächelt Jeremias und schlägt bescheiden die Augen nieder, „und das hast Du ja auch schon öfter gesagt.“