Rudolf Steiner zur Meditation: An nichts denken als nur an den einen Gedanken, den man ganz in den Mittelpunkt des Seelenlebens stellt

 

GA 319 S. 146 

Die Meditation besteht darin, daß man die Aufmerksamkeit von allem äußerlich und auch innerlich Erlebten abwendet, daß man an nichts denkt als nur an den einen Gedanken, den man ganz in den Mittelpunkt des Seelenlebens stellt. Indem man so alle Kraft, die man in der Seele hat, auf einen einzigen Gedanken wendet, geschieht mit den seelischen Kräften etwas, was sich damit vergleichen läßt, daß man immer mehr und mehr eine Handbewegung als Übung ausführt. Was geschieht dabei? Die Muskeln verstärken sich, man bekommt kräftige Muskeln. Genau so geht es mit den Seelenkräften. Wenn man sie immer wieder und wieder auf einen Gedanken hin richtet, so erkraften sie sich, verstärken sich. Und wenn dies lange Zeit hindurch geschieht – es braucht auf einmal wahrhaftig nicht längere Zeit, denn es handelt sich mehr darum, daß man überhaupt in eine Seelenverfassung hineinkommt, sich zu konzentrieren auf einen Gedanken -, dann wird man, je nachdem man die Veranlagung dazu hat, bei einem kann es acht Tage dauern, bei einem anderen kann sich der Erfolg in drei Jahren einstellen und so weiter, aber man wird durch solche Übungen, die man immer wieder und wieder, und seien es auch nur fünf Minuten oder eine Viertelstunde täglich, anstellt, dazu kommen, innerlich etwas zu fühlen, wie wenn sich das menschliche Wesen mit einem neuen inneren Kräfteinhalt erfüllt. Man fühlt vorher die Kräfte seiner Nerven im gewöhnlichen Denken und Fühlen; man fühlt die Kräfte seiner Muskeln im Ergreifen der Gegenstände, im Ausführen der verschiedenen Verrichtungen. So wie man das nach und nach fühlt, wenn man von Kindheit an aufwächst, so lernt man nach und nach etwas fühlen, was einen neu durchdringt, wenn man solche Denkübungen anstellt, die ich hier nur prinzipiell anführen kann. Genauer sind sie in den schon angeführten Büchern beschrieben. Dann fühlt man eines Tages: Man kann jetzt nicht mehr über äußere Dinge denken, wie man es früher auch gekonnt hat, sondern man fühlt jetzt: man hat eine ganz neue Seelenkraft in sich, man hat etwas in sich, was wie ein verdichtetes, wie ein viel stärkeres Denken ist. Und endlich fühlt man: mit diesem Denken ergreift man zuerst etwas, was man vorher nur in ganz schattenhafter Weise gekannt hat. Was man da ergreift, das ist nämlich im Grunde genommen die Wirklichkeit des eigenen Lebens. …