von Stella Hagel
Kieran liebt die vier Jahre ältere Carolyn über alles. Seit aber sein Brüderchen Ossian aus den Windeln heraus ist und in der Gegend umhertapsen kann, ist dieser der erklärte Liebling von Carolyn, die ihn wie ein Engel bewacht und umsorgt, und den größeren kleinen Freund, welcher inzwischen zu einem kraftvollen, Befehle erteilenden kleinen Burschen geworden ist, öfters einfach stehenlässt. In solch schlimmen Momenten des Verlassenseins ist Kierans Verzweiflung so groß, dass eine Freundin der Mutter, die zu Besuch kommt, berichtet: „Dein Sohn steht draußen auf der Wiese und brüllt, als hätte man ihn abgestochen. Ich glaube, seine geliebte Carolyn hat ihn wieder mal stehenlassen.“
Zwei Jahre später, die Kinder sind sechs und viereinhalb Jahre alt, kommt die in Schottland lebende Familie meiner Schwester mich in Dornach besuchen. Ich unterhalte mich mit Kieran und Ossian im Garten und frage Kieran, ob er Carolyn immer noch gern hat. „Kieran, do you still like Caroly?” Kieran strafft den Rücken, schaut mich feierlich an und sagt mit Inbrunst: „Yes, I love her!“ Darauf piepst Ossian selbstbewusst: „Yes, but she only loves me.“ Kieran erstarrt, dann aber mit hoffnungsvoller Gewissheit: „But when I come home, she will love me!“