Rudolf Steiner zum intuitiven Denken der „Philosophie der Freiheit“ 

 

(aus GA 4 S. 255) 

Die Darstellung dieses Buches ist aufgebaut auf dem rein geistig erlebbaren intuitiven Denken, durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt wird. Es sollte in dem Buche mehr nicht dargestellt werden, als sich von dem Erlebnis des intuitiven Denkens aus überschauen läßt. Aber es sollte auch geltend gemacht werden, welche Gedankengestaltung dieses erlebte Denken erfordert. Und es fordert, daß es im Erkenntnisvorgang als in sich ruhendes Erlebnis nicht verleugnet werde. Daß ihm die Fähigkeit nicht abgesprochen werde, zusammen mit der Wahrnehmung die Wirklichkeit zu erleben, statt diese erst zu suchen in einer außerhalb dieses Erlebens liegenden, zu erschließenden Welt, der gegenüber die menschliche Denkbetätigung nur ein Subjektives sei. 

Damit ist in dem Denken das Element gekennzeichnet, durch das der Mensch in die Wirklichkeit sich geistig hineinlebt. (Und niemand sollte eigentlich diese auf das erlebte Denken gebaute Weltanschauung mit einem bloßen Rationalismus verwechseln.) Aber andrerseits geht doch wohl aus dem ganzen Geiste dieser Darlegungen hervor, daß das Wahrnehmungselement für die menschliche Erkenntnis eine Wirklichkeitsbestimmung erst erhält, wenn es im Denken ergriffen wird. Außer dem Denken kann die Kennzeichnung als Wirklichkeit nicht liegen. Also darf nicht etwa vorgestellt werden, daß die sinnliche Art des Wahrnehmens die einzige Wirklichkeit verbürge. Was als Wahrnehmung auftritt, das muß der Mensch auf seinem Lebenswege schlechterdings erwarten. Es könnte sich nur fragen: darf aus dem Gesichtspunkte, der sich bloß aus dem intuitiv erlebten Denken ergibt, berechtigt erwartet werden, daß der Mensch außer dem Sinnlichen auch Geistiges wahrnehmen könne? Dies darf erwartet werden. Denn, wenn auch einerseits das intuitiv erlebte Denken ein im Menschengeiste sich vollziehender tätiger Vorgang ist, so ist es andererseits zugleich eine geistige, ohne sinnliches Organ erfaßte Wahrnehmung. 

Es ist eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird. 

Anmerkung IH: Das sagt Rudolf Steiner natürlich alles schon in Zusatz zum dritten Kapitel. 

Im intuitiv erlebten Denken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt. Was ihm innerhalb dieser Welt als Wahrnehmung so entgegentritt wie die geistige Welt seines eigenen Denkens, das erkennt der Mensch als geistige Wahrnehmungswelt. Zu dem Denken hätte diese Wahrnehmungswelt dasselbe Verhältnis wie nach der Sinnenseite hin die sinnliche Wahrnehmungswelt. Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein geistigen Charakter trägt. Von einer solchen geistigen Wahrnehmungswelt sprechen eine Anzahl der von mir nach diesem Buche veröffentlichten Schriften. Diese «Philosophie der Freiheit» ist die philosophische Grundlegung für diese späteren Schriften. Denn in diesem Buche wird versucht, zu zeigen, daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist. Deshalb scheint es dem Verfasser, daß derjenige nicht vor dem Betreten der geistigen Wahrnehmungsweit haltmachen wird, der in vollem Ernste den Gesichtspunkt des Verfassers dieser «Philosophie der Freiheit» einnehmen kann. Logisch ableiten – durch Schlußfolgerungen – läßt sich aus dem Inhalte dieses Buches allerdings nicht, was in des Verfassers späteren Büchern dargestellt ist. Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten intuitiven Denkens wird sich aber naturgemäß der weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt ergeben.