Zur Zurückdrängung der Leibesorganisation durch das intuitive Denken der „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners – Teil 3

 

von Ingo Hagel   

 

Aber machen wir auf der anderen Seite doch einmal genau das Entgegengesetzte von dem im letzten Artikel Angestrebten und versuchen zu belegen –

indem wir noch einmal auf das bereits im ersten Artikel erwähnte Beispiel zurückgreifen –

dass zumindest die Imagination und die „Philosophie der Freiheit“ nur zwei Seiten derselben Medaille sind – dass also, wenn man das Denken der „Philosophie der Freiheit“ ordnungsgemäß entwickelt, man bereits in der Imagination drinnensteht. 

  

Da schildert Rudolf Steiner also seinen Zuhörern im Jahre 1922 –

das heißt 28 Jahre nach der ersten Veröffentlichung seiner „Philosophie der Freiheit“ – 

den kargen seelisch-geistigen Boden der Zeit, aus dem diese anthroposophische Geisteswissenschaft beziehungsweise diese „Philosophie der Freiheit“ herauswachsen müssen (GA 217, S. 147):

Man muß diese Dinge radikal aussprechen, damit sie deutlich werden. Ich will nicht kritisieren, sondern schildere nur, was eine naturgemäße Entwickelung der Menschheit ist. Wir müssen uns klar darüber sein, wie das heutige Zeitalter beschaffen ist: Wenn der Mensch heute nicht aus innerer Aktivität heraus eine Entwickelung anstrebt und diese Entwickelung wach erhält, so rostet er mit dem bloßen Intellektualismus von den zwanziger Jahren an ein. Dann erhält er sich nur noch künstlich durch Anregungen von außen. Wenn die Sache nicht so wäre, glauben Sie, daß die Leute so viel ins Kino laufen würden? Diese Sehnsucht nach dem Kino, überhaupt diese Sehnsucht, alles auf eine äußerliche Weise zu sehen, beruht ja darauf, daß der Mensch innerlich inaktiv, untätig geworden ist, daß er gar keine innere Aktivität will. Geisteswissenschaftliche Vorträge, wie sie hier gemeint sind, können ja nur so angehört werden, daß diejenigen, die dabei sind, immerfort mitarbeiten. Aber das liebt man ja heute nicht. Heute läuft man vor allem zu den Vorträgen oder Veranstaltungen, wenn dasteht: «mit Lichtbildern», damit man dasitzen und die Denktätigkeit möglichst in Ruhe lassen kann. Alles läuft da nur so an einem vorbei. Man kann ganz in Passivität sein. 

 

Aber der wahre, wirkliche, geistige Mensch, der in jedem Menschen unerkannt sitzt 

und auf seine Erkenntnis-Erlösung hofft, das heißt auf seine denkende Wahrnehmung, der kann nicht in dieser Passivität leben (S. 148):

Der Mensch kann nur in innerer Aktivität leben. Etwas Geisteswissenschaftliches vorbringen heißt, den Menschen einladen, seelisch mitzuarbeiten. Das wollen die Menschen heute nicht. Alle Geisteswissenschaft muß zu einer solchen inneren Aktivität einladen, das heißt, sie muß alle Betrachtungen bis zu dem Punkte hinführen, wo man keine Anhaltspunkte mehr hat an dem äußerlich-sinnlichen Anschauen und sich das innere Kräftespiel frei bewegen muß. Erst wenn das Denken sich frei im inneren Kräftespiel bewegen kann, kann man zur Imagination kommen, nicht vorher. Die Grundlage für alle anthroposophische Geisteswissenschaft ist also die innere Aktivität, das Aufrufen zu innerer Aktivität, das Appellieren an das im Menschen, was noch tätig sein kann, wenn alle Sinne schweigen, und nur die Denktätigkeit dann in Regsamkeit ist. 

 

Hier schildert Rudolf Steiner eine solche innere Aktivität des Denkens als eine Grundlage für die Imagination, 

in der man also nicht

dasitzen und die Denktätigkeit möglichst in Ruhe lassen kann,

in der das Denken auch

keine Anhaltspunkte mehr hat an dem äußerlich-sinnlichen Anschauen und sich das innere Kräftespiel frei bewegen muß,

in der das Denken aufgerufen ist, tätig zu sein, auch

wenn alle Sinne schweigen, und nur die Denktätigkeit dann in Regsamkeit ist,

in der das Denken sich also in einer solchen Bewegung befindet, die

die Grundlage für alle anthroposophische Geisteswissenschaft ist.

 

Nachdem Rudolf Steiner seinen Zuhörern geschildert hat, dass es nur diese Art des Denkens ist, 

die zur Imagination kommen kann, dass man nur durch diese besondere Aktivität im Denken –

bei der dem diese Sache ein wenig besser durchschauenden Leser es bereits völlig klar sein könnte, dass genau diese Art des Denkens doch von der „Philosophie der Freiheit“ angestrebt wird –

schildert Rudolf Steiner seinen Zuhörern –

die vermutlich alle heiß bemüht waren, zu dieser Imagination zu kommen, aber vermutlich – wie oben erwähnt – ziemlich ratlos vor dieser spröden „Philosophie der Freiheit“ standen – 

in einem radikalen Schwenk im nächsten Absatz eben deren Beziehung zu einem solchen aktiven, sinnlichkeitsfreien Denken, das 

noch tätig sein kann, wenn alle Sinne schweigen, und nur die Denktätigkeit dann in Regsamkeit ist,

und das nur dadurch Grundlage dieser Imagination sein kann:

Stellen Sie sich jetzt einmal vor, Sie könnten das. Ich will Ihnen nicht schmeicheln und Ihnen etwa sagen: Sie können es. – Aber setzen Sie zunächst einmal die Hypothese, Sie könnten so denken, daß Ihre Gedanken nur ein innerer Gedankenfluss wären. Wenn ich in meiner «Philosophie der Freiheit» vom reinen Denken spreche, so war diese Bezeichnung für die damaligen Kultur Verhältnisse schon deplaciert; denn Eduard von Hartmann sagte mir einmal: «Das gibt es gar nicht; man kann nur an Hand der äußeren Anschauung denken!» Ich konnte ihm darauf nur antworten: «Man muß es probieren; man wird es dann schon lernen und zuletzt auch wirklich können.» – Nehmen Sie also an, Sie könnten Gedanken im reinen Gedankenflusse haben. Dann beginnt für Sie der Moment, wo Sie das Denken bis zu einem Punkte geführt haben, an dem es gar nicht mehr Denken genannt zu werden braucht. Es ist im Handumdrehen – sagen wir im Denkumdrehen – etwas anderes geworden. Es ist nämlich dieses mit Recht «reines Denken» genannte Denken reiner Wille geworden; es ist durch und durch Wollen. Sind Sie im Seelischen so weit gekommen, daß Sie das Denken befreit haben von der äußeren Anschauung, dann ist es damit zugleich reiner Wille geworden. Sie schweben, wenn ich so sagen darf, mit Ihrem Seelischen im reinen Gedankenverlauf. Dieser reine Gedankenverlauf ist ein Willensverlauf. Damit aber beginnt das reine Denken, ja sogar die Anstrengung nach seiner Ausübung, nicht nur eine Denkübung zu sein, sondern eine Willensübung, und zwar eine solche, die bis in das Zentrum des Menschen eingreift. Denn Sie werden die merkwürdige Beobachtung machen: Erst jetzt können Sie davon sprechen, daß das Denken, wie man es im gewöhnlichen Leben hat, eine Kopftätigkeit ist. Sie haben ja vorher gar kein Recht, davon zu sprechen, daß das Denken eine Kopftätigkeit ist, denn das wissen Sie nur äußerlich aus der Physiologie, Anatomie und so weiter. Aber jetzt spüren Sie innerlich, daß Sie nicht mehr so hoch oben denken, sondern daß Sie beginnen, mit der Brust zu denken. Sie verweben tatsächlich Ihr Denken mit dem Atmungsprozesse. Sie regen damit an, was die Jogaübungen künstlich angestrebt haben. Sie merken, indem das Denken immer mehr und mehr eine Willensbetätigung wird, daß es sich zuerst der Menschenbrust und dann dem ganzen Menschenkörper entringt. Es ist, als ob Sie aus der letzten Zellfaser Ihrer großen Zehe dieses Denken hervorziehen würden. Und wenn Sie mit innerlichem Anteile so etwas studieren, was mit allen Unvollkommenheiten in die Welt getreten ist – ich will nicht meine «Philosophie der Freiheit» verteidigen -, wenn Sie so etwas auf sich wirken lassen und fühlen, was dieses reine Denken ist, so fühlen Sie, daß ein neuer innerer Mensch in Ihnen geboren ist, der aus dem Geiste heraus Willensentfaltung bringen kann.

Diese merkwürdige gleichzeitige oder kurz aufeinanderfolgende Nennung von Anweisungen zur Erlangung übersinnlicher Erkenntnisse 

und gleich darauf der Erwähnung der „Philosophie der Freiheit“ findet sich in den Vorträgen Rudolf Steiners immer wieder. Man kann sie daher durchaus als symptomatisch für diese ganze Angelegenheit auffassen, dass eben die Erlangung übersinnlicher Erkenntnisse und die Verwirklichung dieses intuitiven, lebendigen Denkens der „Philosophie der Freiheit“ im Grunde genommen –

wenigstens von der Denkmethode her, aus der heraus gearbeitet wird – 

ein und dasselbe sind. 

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