Aus Nr. 61 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 17 (Hervorhebungen IH):
Will der Mensch in die übersinnliche Welt eindringen, dann wendet er sich heute zunächst und hat sich innerhalb gewisser Gebiete immer an das gewandt, was man die Gedankenbetrachtung der Welt nennt. Wir brauchen gar nicht einmal das Wort Philosophie anzuwenden; das Wesentliche, was der Mensch braucht, ist Gedankenbetrachtung. Denn das wird bald einem Menschen klar, dass er durch die bloße äußere Anschauung – und wenn sie noch so wissenschaftlich ist – nicht zu den Untergründen der Dinge kommen kann.
Da wendet sich der Mensch an die Gedankenbetrachtung und sucht sich innerhalb der Gedanken ein Bild von der Lösung der Weltenrätsel zu machen. Auf eine solche Weise sich ein Bild zu machen von dem, was der Welt zugrunde liegt, darauf ist auch derjenige angewiesen, der nur aus den materiell gegebenen Tatsachen ein Bild der Welt entwerfen will. Aus den Gedanken heraus ist auch alles entsprungen, was zum Beispiel Ernst Haeckel zu einem Weltbilde beisteuert, obwohl er sich auf das stützt, was äußere wissenschaftliche Erkenntnis ist. Ob sich jemand mehr oder weniger auf das stützt, was äußere Wissenschaft gibt, oder ob die Wissenschaft zu einem idealistischen oder spirituellen Weltbilde kommt, in beiden Fällen muss zum Gedanken gegriffen werden. Und dieser Gedanke hat eine Eigentümlichkeit, wenn wir uns ihm hingeben. Welches Eigentümliche dieser Gedanke hat, das ergibt die Tatsache, wie unsympathisch oder wenigstens unbequem viele Menschen das Gedankenforschen, das philosophische Nachdenken empfinden.
Seit der alten griechischen Zeit hat es immer Philosophen gegeben. Aber nicht nur, dass Studenten im Schweiße ihres Angesichtes sich gezwungenermaßen in das vertiefen, was das Nachdenken über die Weltenrätsel hat liefern wollen, sondern es ist auch so, dass die Menschen, die aus der ganzen Wärme ihres Herzens, die vielleicht aus einem tiefen, religiösen Bedürfnis heraus, um Frieden und Harmonie in ihrer Seele und Kraft für das Leben zu erhalten, oder die aus einem lebendigen Bedürfnis heraus Aufklärung, Aufschluss erlangen wollen über das, was über das Leben Aufschluss geben kann, – es ist so, dass viele solche Menschen recht trocken und nüchtern und recht abstrakt und unbequem dasjenige finden, was über die Lösung der Welträtsel in theoretischen Büchern, in der Philosophie vorgebracht ist. Wer so recht erfüllt ist vom Leben, wer als Praktiker mitten drinnen steht und sich angezogen fühlt von dem, was das Leben unmittelbar gibt, der wird sich leicht abgestoßen fühlen von der Nüchternheit und Abstraktheit vieler Schriften und Vorträge, die durch Gedankenarbeit in übersinnliche Welten hinauf dringen wollen. Das ist doch etwas, was wohl in den weitesten Kreisen erfahren wird. Aber so blendend auch zuweilen die philosophischen Systeme über die Weltenrätsel für diejenigen sind, die sie durch die Vorbedingungen ihres Lebens verfolgen können, so ungenießbar sind solche Wege für im vollen Dasein und Schaffen und Arbeiten mitten drinnen stehende Menschen. Dennoch haben die, welche aus einem ernsten Erkenntnisdrange heraus solche Gedankensysteme geschaffen haben, um in die Weltenrätsel einzudringen, so empfunden, dass sie sagten: Mit dieser Gedankenarbeit ist ein Bild dessen gegeben, was der Welt als übersinnliche Tatsachen eigentlich zugrunde liegt. – Und wer zu bewundern vermag, was die Denker der jüngsten, aber auch der älteren Zeiten in dieser Beziehung geleistet haben, der weiß, was an menschlichem Scharfsinn nicht nur, sondern an menschlicher Hingabe geleistet worden ist, um auf diesem Wege der Gedanken in die Welt einzudringen. Und der weiß dann auch, welche tiefe Befriedigung man unter gewissen Voraussetzungen über die Lösung der Weltenrätsel empfinden kann an den philosophischen, an den Gedankengebäuden und Ideensystemen großer Denker. Die sind durchaus nicht bloß abstrakt, sondern sind trotzdem, wenn sie auch abstrakt erscheinen, mit vielem Herzblut, mit aller Wärme der Seele geschrieben.
Aber eines kann nicht geleugnet werden, wenn es sich um solche philosophischen Systeme handelt, eines, das allerdings nicht derjenige empfindet, welcher zum Philosophen geboren ist oder seine Freude und Genügsamkeit an abstrakten Gedanken erleben kann, das aber der empfinden kann, der mit Herzenswärme, mit seiner ganzen Menschlichkeit und mit tiefstem Bedürfnis nach einem Eindringen in die übersinnliche Welt an einem solchen Gedankensystem hängt. Was ein solcher empfindet, das möchte ich an dem Beispiele eines Denkers klarmachen, der allerdings dann ein tragisches Schicksal erlebt hat, der aber in der Zeit, als er dasjenige sprach, von dem jetzt die Rede sein soll, ganz scharfsinnig und zugleich in eindringlicher Art mit den großen Fragen der gedanklichen Lösung der Weltenrätsel sich beschäftigte. Ich meine Friedrich Nietzsche. Wir können ganz absehen von dem, was nachher aus ihm geworden ist. Was hier charakterisiert werden soll, liegt in den ersten Jahren seines Wirkens, wo er an der Universität Basel Vortrage ausgearbeitet hat, die dann in seinen nachgelassenen Werken erschienen sind, Vorträge über die griechischen Denker unter dem Titel «Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen», das heißt vor Sokrates, wo uns die gigantischen Denker wie Thales, Heraklit, Parmenides besonders interessieren. Aus dem Grunde interessieren sie uns, weil man sieht, wie aus einem lebensvollen Denken, aus der griechischen Weltanschauung und griechischen Kultur heraus, die wahrhaftig im Leben stand und vollgesogen war mit unmittelbarem Leben, ein solches Gedankengebäude wie das des Parmenides entstand, das bestrebt war hinaufzudringen in die übersinnlichen Welten, aber so, dass Parmenides, der gigantische Denker des alten Griechenlands, mitten heraus aus der alten vollsaftigen griechischen Welt zu dem abstrakten Gedanken aufstieg, zu dem Gedanken des Ur-Seins und des Ur-Nichtseins. Nicht nur den Menschen, der sonst im praktischen Leben drinnen steht, kann ein leichtes Gruseln, etwas wie eine Gänsehaut überkommen, wenn jemand, um zu den übersinnlichen Welten hinaufzukommen, zu so ausgepressten Gedanken, zu solchen Abstraktionen greift wie «Sein», «Ur-Sein», «Ur-Nichtsein». Selbst der, welcher sonst gewohnt ist, sich philosophisch mit den Fragen des Daseins zu beschäftigen, sagt sich: es möchte einem das Blut in den Adern erstarren, wenn man gewahr wird, wie ein Mensch zu solchen Gedanken aufsteigt, aus denen alles Lebendige wie der Saft aus einer Zitrone ausgepresst erscheint, Gedanken, die den anderen Menschen viel zu nüchtern, trocken und abstrakt sind. – Und dieses Kapitel hat Nietzsche besonders interessiert, weil sich da zeigt, wie ein Denker unmittelbar aus dem Leben heraus sich zu einer abstrakten Gedankenwelt erhebt. So farblos, seelenlos, so ganz und gar entblößt von dem, was das Herz sich ersehnt, fand Nietzsche diese Gedanken, wie sie sich Parmenides damals ausgedacht hatte. Und dennoch, wer sich nun im Sinne einer Erkenntnis der übersinnlichen Welt mit geistiger Wissenschaft beschäftigt, wie sie hier vertreten werden soll, versteht es, wenn ein solcher Mensch davon spricht, dass einem das Blut in den Adern erstarren könnte vor diesen ausgedörrten Abstraktionen, vor diesen bis zur äußersten Abstraktion gebrachten Gedanken, und wenn ein solcher zeigt, dass selbst in dem wunderbarsten Gedankengebäude, wie zum Beispiel eines Hegel, etwas ist, was uns nüchtern berührt, wo uns das Gefühl überkommt: Wie willst du diese Welt, die, wie wir das aus dem alltäglichen Leben wissen, so lebensvoll an uns heranstößt, wie willst du ihren Untergrund ergreifen mit deinem Spinnengewebe von Gedankennetz, das du ausspinnst. Es liegt aber dennoch in einer solchen Empfindung gerade der Keimpunkt zu dem, was in der menschlichen Seele vorhanden sein muss, wenn das Verhältnis des Menschen zu den übersinnlichen Welten hergestellt werden soll.
Der Mensch – und sei er der größte Philosoph und der größte Denker –, der mit einem gewissen Behagen Gedankensysteme ausspinnt, der zu Abstraktionen hinaufzusteigen vermag und sich sagt: in diesen Abstraktionen hast du die Wahrheit über die Weltendinge, – dieser Mensch kommt nur dazu, in solchen Gedanken, und seien sie noch so spinnewebendünn und noch so abstrakt, doch nichts anderes als ein Bild hinzumalen, demgegenüber man sich sagen muss: Es ist ein Bild, – ein Bild, das aber nie die ganze reiche Fülle dessen erschöpfen kann, was der Welt zugrunde liegen muss. Wer als Denker ein solches Weltbild in Gedanken hinstellt, mag ein gewisses Genügen, ein gewisses Behagen und eine Befriedigung darin empfinden, – der im vollen Leben stehende Mensch hat ein Recht dazu, sich zu sagen: Ein solches Gedankengebäude kann nie das volle Leben und damit auch nie die Untergründe des Lebens erschöpfen.
Dieses Gedankengebäude muss von dem, der den Weg in die geistigen Welten finden will, in einer ganz besonderen Weise ausgebaut werden, muss verstärkt werden, muss in seinen letzten Konsequenzen verfolgt werden. Alles Genauere und Einzelne finden Sie in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Hier kann es sich nur darum handeln, hauptsächlichste Gesichtspunkte über den Weg anzugeben, den der Mensch nehmen muss, wenn er zu wirklichen Erkenntnissen über die übersinnliche Welt kommen will. Da muss man sagen: Jeder kann es fühlen, wenn er sich auf bloße Gedankengebäude einlässt, dass ihm geistig kalt wird, dass ihm so wird, als hätte er sich nicht der Welt genähert, sondern sich vom vollsafligen Dasein entfernt, als hätte er wirklich aus dem Dasein den Saft ausgedrückt wie aus einer Zitrone. Aber man muss noch etwas anderes empfinden können, wie man doch wieder für die kristallene Klarheit, für die wunderbare Architektonik eines Gedankengebäudes Leidenschaft, Enthusiasmus empfinden kann, wie man in einer gewissen Weise sagen kann: Was scheinbar so abstrakt ist, das sind dennoch die größten Gedankenerrungenschaften, die der Mensch in sich erleben kann, und die ihm zeigen, wie das gedankliche Schaffen durch die Welt waltet. – So muss man Enthusiasmus, Gefühl und Empfinden in die Welten hinauftragen, die wegen ihrer Abstraktionen so leer erscheinen können, muss sich begeistern können für das, was wie ein Gedankenlicht uns erscheint, wenn wir uns zu ihm erheben. Ein Denker, der bloß denkt und nicht Begeisterung empfinden kann für die durch die Welt webenden Gedanken, kann in der Tat niemals in die übersinnliche Welt eindringen.
Aber das ist nur die eine Seite dessen, was man empfinden muss, wenn man die Beziehungen zu dem Übersinnlichen herstellen will. Das andere ist eine Erfahrung derjenigen, die da Geistesforscher geworden sind: nämlich dass man zu Gedanken aufgestiegen ist, aber dass man etwas fühlt, wie wenn man den festen Boden unter den Füßen verloren hätte, wie wenn man über einem Abgrund stünde. Solange man an den Gedanken Behagen hat, solange man sich fest fühlt in den Gedanken, solange kann man nicht in die übersinnliche Welt hinaufkommen. Erst wenn man im Verfolgen der Gedanken etwas fühlt, was einen zweifachen Vergleich enthält: wie wenn uns der Boden unter den Füßen fortgezogen würde, und wir im Leeren schweben müssten, oder wie wenn wir über uns sich ausbreiten sehen würden das blaue Himmelsgewölbe und dann darauf kämen, das blaue Himmelsgewölbe ist ja gar kein blaues Himmelsgewölbe, sondern du selber, dessen Gesichtsfähigkeit nicht so weit reicht, umgibst dir das Weltall mit einem blauen Himmelsgewölbe, und in Wahrheit geht es ins Unendliche hinein, und du musst in Wahrheit fragen: wo ist ein fester Punkt? Erst wenn man zugleich mit einer inneren Unsicherheit das empfindet, womit man sich den Blick vernagelt und zu gleicher Zeit die Ahnung an ein Unendliches hervorruft und sich diese Empfindung dann gesteigert denkt, kann man etwas von dem anderen empfinden, was derjenige in aller Stärke fühlen muss, der Gedanken über Weltenzusammenhänge schafft, aber durch die Gedanken hindurch in das lebendige Gefühl geistiger Tatsachen und geistiger Wesenheiten eindringen will, und der dann etwas empfindet, wie wenn er sich selber mit seinen Gedanken den Weg dahin vernagelt, wo die geistigen Wesen leben, wo der Geist wirksam ist.
Was ich Ihnen erzählt habe, ist nicht etwas phantastisch Konstruiertes, ist auch nicht aus Gedanken heraus Geschöpftes: das ist ein Erlebnis aller derer, die den Weg in die übersinnlichen Welten gesucht haben. Das kann ein Erlebnis werden, wie es beschrieben ist in dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Was ich so als Empfindung charakterisierte, steigert sich in einer gewissen Weise und steigert sich bei dem, der den Erkenntnispfad im wahren Sinne des Wortes geht, bis zu einem Gefühl, das verwandt ist mit dem, was der Mensch im alltäglichen Leben als Furcht kennt, als Gefühl der Unsicherheit, und das man charakterisieren könnte als ein Nichtwissen, wo man steht, als ein Nichtwissen, wo man fliegt, oder als ein Nichtwissen, wo man ist. Aber dieses Gefühl darf sich nicht vollständig ausbilden, es muss gleichsam in den Untergründen der Seele bleiben; dann nur können wir in die übersinnliche Welt eindringen. Dieses Gefühl muss sogleich überleuchtet werden von dem, was sich vergleichen lässt mit dem Gefühl des Mutes, der Tatkraft, der Willensentfaltung. Der Mensch muss in sich etwas gewahr werden, was er pädagogisch durch Selbsterziehung in sich heranbilden kann im langsamen, geduldigen Fortschritt, wenn er öfter darauf kommt: Du tust nicht nur das, oder setzt dir vor, das zu tun, wozu du äußere Veranlassung hast, wozu du diese oder jene Aufforderung hast, sondern du setzt dir das Ideal, aus deinen eigenen Gedanken dieses oder jenes zu tun und den Gedanken daran und den unbeirrten Willen dazu nicht zu verlieren. – Wenn wir das im Leben öfter tun, ja es geradezu systematisch entwickeln, dann gibt es uns eine Vorstellung, die wir von keiner äußeren Welt und keiner äußeren Anschauung empfangen können, die wir herausholen können aus den tieferen Untergründen der Seele. Wenn wir dieses Gefühl in dem Moment entwickeln können, da wir zu reinen, sinnlichkeitsfreien, nicht aus der Außenwelt geholten Gedanken uns erheben, wo wir nicht auf das hinstarren, was uns die Augen und Ohren und so weiter liefern, wenn wir uns immer wieder und wieder diesem Gefühl hingeben, dann bildet sich etwas in uns, was man erleben muss, was aber ebenso erlebt werden kann, wie ein physikalisches oder chemisches Experiment erlebt werden kann. Erlebt werden kann im Selbstexperiment der Seele ein Freiwerden von einer jeglichen Anschauung und Erkenntnis, die nur durch die Werkzeuge der Körperlichkeit erlangt werden können, ein Freiwerden vom physischen Leib und Hinausdringen in jene Welt, über die wir sonst nur Gedankennetze spinnen können. Und es ist wirklich dann nicht das vorhanden, was viele Menschen einzig und allein von einem solchen Außer-sich-Kommen kennen, was sie kennen von einem das menschliche Bewusstsein zerstörenden Experiment, sondern ein Freiwerden von allem, was sinnliches Dasein und Sinnesanschauung bedeutet. Es dringt der Mensch mit dem eigenen Wesen, von dem er weiß, dass es gegenüber der Körperlichkeit selbständige Realität hat, in die Welt ein, die eine übersinnliche genannt werden muss, weil man sie als eine übersinnliche erlebt. Und wenn jemand sagt: Das kannst du dir einbilden, – so könnte man natürlich nicht durch etwas anderes wieder als durch logische Möglichkeiten und Gründe jemandem eine Anschauung davon geben, was in den übersinnlichen Welten erlebt wird, und was der Mensch als übersinnliches Wesen ist. Aber wer in die übersinnliche Welt eindringt, der weiß, dass er auf dem charakterisierten Wege zu einer Realität übersinnlicher Art kommt, die ihm ebenso in ihrer Wirklichkeit klar ist – und von der er ebenso weiß, dass sie nichts von Phantastik hat – wie er dieses von der äußeren Sinneswelt weiß.
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