Rudolf Steiner: An seiner „Philosophie der Freiheit“ wird man Nüsse dran zu knacken haben

 

Aus Nr. 255b der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 178:

Nun, die Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, sie wird ja gerade von Wissenschaftern vielfach angefeindet. Dann aber wiederum beklagen sich diese Wissenschafter, dass Geisteswissenschaft sich nicht ausschließlich an sie wendet, sondern, wie man sagt, an die «gebildeten Laien». Und gerade solche Männer wie Kurt Leese, die finden das unfasslich und sagen – ich werde es Ihnen wiederum übersetzen, wie er es ja selbst übersetzt haben will, «Theosophie» in «Anthroposophie»: 

„Wissen aber alle diejenigen, die die anthroposophische Propaganda für Schwindel halten, der der psychologischen Aufklärung nicht bedürfe und der erkenntnistheoretischen nicht wert sei, dass der Anthroposoph eine in ihrer Art beachtenswerte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philosophie, insonderheit Kant, Schelling und Hegel, vornimmt und eine erkenntnistheoretische Fundierung seiner Lehre sich ernsthaft angelegen sein läßt? Es kann der philosophischen Wissenschaft, wenn anders sie sich zur Führung des Geisteslebens berufen hält, keineswegs gleichgültig sein, was außerhalb des Gebietes ihrer Spezialforschung geschieht, wie und wozu man Philosophie und Philosophen verwertet, um die Welt der gebildeten Laien in tiefgehender Weise zu erregen. Die philosophische Seite an der Anthroposophie ist bisher viel zu sehr unberücksichtigt, wenn nicht gänzlich unbekannt geblieben.“ 

Der Mann sagt also, es könne den Forschern nicht gleichgültig sein, was aus ihrer Philosophie – und er gibt zu, die beherrscht die Anthroposophie -, was aus ihrer Philosophie durch die Anthroposophie vor gebildeten Laien gemacht wird. Darin liegt eine Art Jammer, dass dasjenige, was Anthroposophie ist, sich nicht zunächst hinwendet nach dem Universitätskatheder und von da aus in dem betreffenden Jargon nur zu denjenigen spricht, die man eben von irgendeiner besonderen Seite als dazu berechtigt gelten lässt. 

Nun, demgegenüber muss eines gesagt werden: Dasjenige, was jetzt, allerdings in ausführlicher, detaillierter Gestalt in meiner Anthroposophie vorliegt, das ist von mir zu schildern begonnen worden dem Geiste und der Gesinnung nach am Beginne der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts; das ist tatsächlich in Bezug auf seine Richtung seit vierzig Jahren vorhanden. Das ist von mir zuerst ausgeführt worden, indem ich es angewendet habe auf eine Interpretation des Goetheanismus. Ich habe dazumal meine «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften», durchtränkt von diesem anthroposophischen Geiste, geschrieben. 

Was ist geschehen? Ich bin nicht gleich so schlecht behandelt worden, wie ich jetzt behandelt werde von den Zeitgenossen. Diese an Goethe sich anlehnenden Schriften wurden zum großen Teil anerkannt, aber sie wurden aufgefasst wie etwas, was irgendein Literaturhistoriker oder irgendein moderner Historiker über Goethe schreibt. Man hat es aufgefasst als etwas, was eben über Goethe geschrieben ist. Dass da etwas darinnen sein sollte, was an die Zeit gerichtet ist als eine Erneuerung des menschlichen Denkens im Geistigen, das hat man nicht gesehen. Warum? Weil man überhaupt in der Wissenschaft verloren hatte die Aktivität, weil man sich zwar noch aufschwingen wollte zu der Anerkennung, ja, Goethe habe dies oder jenes gedacht, weil man aber nicht den Mut hatte, Wahrheiten, die unmittelbar im Geistigen, im Übersinnlichen erfasst werden müssen, nun selber anzuerkennen und mit diesen Wahrheiten sich zu befassen. Man fühlte sich entschuldigt, wenn man sagen konnte: Goethe glaubte dies oder das -, aber man hatte nicht den Mut, solche Wahrheiten auch unmittelbar anzuerkennen. Und so verfloss all das, was in weiterer Ausbildung des Goetheanismus damals von mir gesagt worden ist. Und schließlich meine «Philosophie der Freiheit» – diejenigen, die sie als «gebildete Laien» studieren, sie werden wissen, dass sie Nüsse daran zu knacken haben -, sie ist zunächst wahrhaftig so geschrieben, dass sie vorgelegt werden kann denjenigen, die sich mit Fachphilosophie befassen. 

Nicht früher hat Anthroposophie sich an «gebildete Laien» gewendet, als sich gezeigt hatte, dass diejenigen, die berufen gewesen wären, sich mit ihr zu befassen, sie haben einfach links liegen lassen, sich nicht um sie bekümmert haben. Denn das ist ja der Dank der Gelehrten gegenüber der Anthroposophie: Erst haben sich die Gelehrten, die Wissenschafter der Gegenwart nicht um sie bekümmert; man musste zu den «gebildeten Laien» gehen, weil die Wahrheit sich durchsetzen muss, gleichgültig auf welchem Wege. Und jetzt, da sie sehen, dass unter den «gebildeten Laien» sich doch manche finden, durch die ihr Gelehrtentum ein wenig ins Wanken kommen könnte, jetzt, da sie sehen, dass diese «gebildeten Laien» sogar nach Dornach gehen, um dort wissenschaftliche Vortrage von dreißig Dozenten zu hören, die anders sprechen, als an den anderen Unterrichtsanstalten gesprochen wird, jetzt fühlen sie sich – aber ohne sich mit der Sache befasst zu haben, wozu sie Zeit durch Jahrzehnte gehabt hätten -, jetzt fühlen sie sich, ohne die Sache zu kennen, zum Widerlegen berufen. 

Nun, es wird noch zu anderen Dingen kommen müssen. Das aber darf gesagt werden: Wenn Geisteswissenschaft sich an die «gebildeten Laien» gewendet hat, so war es, weil es notwendig ist, daß für die Wahrheit das Rechte getan werde. Die Wahrheit muß sich ihre Wege suchen, und wenn die zu ihrem Suchen Berufenen sich nicht um sie bekümmern, so muss sie sich eben an diejenigen wenden – na ja, die vielleicht von jener Seite für «unberufen» gehalten werden, die aber gerade dadurch zeigen können, dass sie die wirklich Berufenen sind. Und so wird aus dem gebildeten Laientum der Drang nach übersinnlicher Erkenntnis hervorgehen müssen, der nicht hervorgehen wollte aus denjenigen, die sich berufsmäßig mit der Wahrheitsforschung zu beschäftigen hatten. 

Meine sehr verehrten Anwesenden, von dem, was ich Ihnen heute in mehr ideeller Weise und durch Aufzeigung der beobachteten Methoden, durch Aufzeigung desjenigen, was man übersinnlich erleben kann, dargestellt habe, von dem werde ich morgen zu zeigen haben, was es für einen Wert für das unmittelbare Menschenleben, für menschliche Sittlichkeit, für menschliche Zufriedenheit, für menschliches Schicksalsverständnis, für menschliche Ruhe innerhalb des Durchganges durch Geburten und Tode haben kann. Und zeigen werde ich, wie diejenige Geisteswelt, die sich in der Geistesforschung enthüllt, in der Kunst wirken kann und wie sie, eindringend in das menschliche Herz, den Menschen wirklich religiös machen kann. Heute wollte ich nur zeigen, welches die Wege dieser anthroposophischen Geisteswissenschaft sind und wie man ihr Verhältnis zur Wissenschaft sich zu denken hat. Das wollte ich zeigen, dass der Mensch in sich selber gewissermaßen die Kraft entwickeln muss, um zusammenzuwachsen mit der die Welt durchleuchtenden Wahrheit. 

Denn nur dadurch – lassen Sie mich das noch am Schlüsse betonen -, nur dadurch, dass der Mensch in sich erweckt dasjenige, was in ihm selbst übersinnlich ist, indem er es zum Bewusstsein erhebt, erhebt er sich zum Schauen des Übersinnlichen, gliedert sich nicht nur wie sonst als Leib in die sinnliche Welt ein, sondern er gliedert sich als Geist und Seele in die geistig-seelische Welt ein. Der Mensch aber hat den Drang, sich als Geist, sich als Seele zu erkennen, aus dem dunklen Gefühle heraus, dass er selber geistig-seelisch ist. Im Menschen sucht geistig-seelische Wahrheit nach geistig-seelischer Wahrheit. Und derjenige, der so das Verhältnis zur Wahrheit auffassen kann, der mag und kann beruhigt sein, dass diese Wahrheit durch ihre Widersacher nicht zugrunde gerichtet werden kann. Denn die Wahrheit muss ebenso sicher in der Zeiten Gang siegen, wie die menschliche Entwicklung selber vorwärtskommen muss. Der Mensch braucht die Entwicklung der Wahrheit, weil er sein wirkliches Wesen selbst nur aus dieser Wahrheit heraus wachsen lassen kann.  

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