von Ingo Hagel
Das Unglück in Genua scheint mir symptomatisch zu sein für den verheerenden Bewusstseinszustand, in dem die Bevölkerung der Europäischen Union sich ihrem wohl kaum ausweichlichen Niedergang zubewegt.
Also: Da fahren während eines Unwetters auf einer italienischen Autobahn in ihren mehr oder weniger modernen Vehikeln, denen aber solche kleinen Lächerlichkeiten wie Regen oder das gerade niedergehende Unwetter bekanntlich längst nichts mehr ausmachen, gemütlich auf fest gegründeter Erde, also besagter italienischer Autobahn A10, nach hierhin oder dorthin (auf der Gegenfahrbahn). Die Zeiten sind so sicher, dass man nicht auf eventuelle Granateneinschläge oder Bombentrichter beim Fahren achten muss, denn wir haben –
bis jetzt und bei uns, also in der vielgepriesenen EU –
ja bloß Handelskriege und noch keine richtigen Kriege. Dass die Erde beziehungsweise der Autobahnbeton so fest ist, wie die Rente sicher ist, davon geht sowieso jeder aus. Aber genau dieses passiert: Die fest geglaubte Fahrbahn gibt unter den Fahrzeugen nach, diese stürzen in freiem Fall mit dem sich auflösenden festen Boden unter den Reifen in die Tiefe. Ein Element unseres als so sicher geglaubten Lebensumfeldes, –
in diesem Falle der von uns als unbesieglich-ausgereift gehaltenen Infrastruktur (hier: Autobahnbrücke) –
fällt in sich zusammen. Die Reisenden fallen mit. Es gibt viele Tote und Verletzte.
„Das Ausmaß der Katastrophe ist noch nicht absehbar… „
wusste die ARD-Korrespondentin zu berichten. Die Tagesschau geht vermutlich davon aus, dass die Deutschen –
diese sind ja meistens Ingenieure, haben ihr Leben in der Produktion deutscher Wertarbeit zugebracht, gehen täglich mit den Konsequenzen von „Ausmaßen“ und Fertigungstoleranzen um und wissen genau, wie viel es dabei auch nur auf den Hundertstel Millimeter ankommt –
es gerne präzise lieben, und wenn
„das Ausmaß der Katastrophe“ „noch nicht absehbar“
ist, dass das den auf Ordnung und Genauigkeit bedachten deutschen Fernsehzuschauer schwer beunruhigt. Zwar hatte die Tagesschau in derselben Meldung berichtet, dass es sich bei dem
„Unglück in Genua“ um „eine stark befahrene Autobahn“
handelt,
„und in Italien sei gerade Hauptreisezeit.“
Was natürlich eigentlich mit sich bringen sollte, dass jeder, der sich schon mal auf so einer „stark befahrenen Autobahn“ in der „Hauptreisezeit“ befunden hat, sich mit links dasjenige „Ausmaß“ vorstellen kann kann, welches diese Katastrophe wohl annehmen muss, wenn eine solche Hauptreisezeitkolonne sich in den besagten sich öffnenden Abgrund hineinbewegt.
Wenn 39 Menschen bei dem Unglück gestorben sind, dann ist es natürlich ein ganz anderes „Ausmaß“, als wenn es 35 oder 43 oder 143 sind. „Ausmaße“ sind hier in Deutschland, wo sich die Meisten mit einem Zollstock in der Seele und im Rückgrat durchs das mit phrasenhaften Satzbausteinen zugepflasterte Leben bewegen, ganz wichtig.
Dass das „Ausmaß der Katastrophe“ vielleicht auch darin bestehen wird,
dass die Bewohner dieser vielgepriesenen EU sich bei ihren nächsten Dienstreisen und Urlaubsfahrten vielleicht nicht mehr so sicher wie bisher fühlen werden, wenn es demnächst über eine Brücke geht, dass diese also dann instinktiv die Arschbacken zusammenpressen und sich gegenseitig fest die Daumen drücken werden à la –
wird schon gutgehen –
daran hat die ARD-Korrespondentin sicher nicht gedacht. Aber nun ja, auch solche neuen Lebensorientierungen werden auf den verschiedensten Gebieten in der Zukunft Einzug in den Alltag der Menschen hier in der EU halten. Also nicht nur in Italien:
Bauexperte: Deutschlands Brücken verrotten gefährlich
Nach der Katastrophe in Genua werden auch in Deutschland Zweifel an der Stabilität von Autobahnbrücken laut. „Unsere Brücken verrotten gefährlich, ein Einsturzrisiko kann inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden“, sagte Brückenexperte Richard J. Dietrich …
Dies hätten Gutachter bestätigt.
Es ist schon erstaunlich: nur ein paar wenige Stunden, nachdem diese Brücke eingestürzt ist und viele Menschen in den Tod gerissen hat, weiß der „Italienkorrespondent“ schon zu berichten,
„dass die eingestürzte Brücke nicht gut gewartet war.“
Und:
„Dies hätten Gutachter bestätigt.“
Also wussten dies auch seit langem die „Gutachter“, die man nur Stunden nach diesem Unglück hinzugezogen hatte, nämlich
„dass die eingestürzte Brücke nicht gut gewartet war.“
Und auch Korrespondentin der Tagesschau weiß:
Es lag also alles auf der Hand, alle maßgeblichen Stellen wussten Bescheid und waren im Bilde über den Zustand dieses Bauwerks, denn bereits Stunden nach dem großen Unglück –
das heißt ohne dass irgendwelche „hochkarätigen“ Kommissionen jahrelang über irgendwelche Flugzeugabstürze oder eingestürzte Zwillingstürme inklusive Nebenbauwerk in New York hätten brüten müssen –
scheint alles klar zu sein.
In der Tagesschau kommt dann heute ein „Experte“ zu Wort:
„Es war eine Brücke, die ständig repariert werden musste.
Was – abgesehen von den Kosten – ja nicht viel bedeuten muss, wenn diese Reparaturen eine sichere Brücke gewährleistet hätten. Aber selbst das ist nicht mehr sicher, denn die Tagesschau zitiert den „Professor an der Universität Genua“:
Diese Brücken sind eine Fehlkonstruktion, weil sich mit der Zeit herausgestellt hat, dass die Materialabnutzung besonders hoch ist.“
Was natürlich die Frage aufwirft, warum man diese Brücken, wenn sie doch eine „Fehlkonstruktion“ sind, nicht längst geschlossen hat. Wir leben also in einer Zeit, in der nicht lange vor einem Ereignis bereits vorhandene Erkenntnisse das Leben und das Handeln bestimmen, sondern nur Katastrophen. Womit wir wieder bei der eingangs erwähnten vielgepriesenen EU angekommen wären, wovon, weil sie ebenfalls „marode“ und eine „Fehlkonstruktion“ ist, wohl wie bei der Brücke in Genua vielleicht nur ein Kern – also Kerneuropa – noch stehenbleiben wird. Darauf bereitet auch die Süddeutsche jetzt vor, wobei sie die Schuld allerdings nicht den „genialen“ Europakonstrukteuren, sondern den nationalistisch regierten Ländern in die Schuhe schiebt:
Diese Haltung wird sich langfristig auf die EU auswirken. Sie sollte zur Entstehung eines Kerneuropas ohne die nationalistisch regierten Länder führen.
Und es ist viel zu traurig, als dass diese Nachrichtenmeldungen witzig sein könnten:
Die Tagesschau meldete am Tag des Unglücks:
Da auf der Strecke normalerweise viel Verkehr herrsche, müsse mit Verletzten oder Toten gerechnet werden.
Also nicht weil alle maßgeblichen Stellen die Schnauze gehalten haben zu dieser „maroden“ Brücke, dieser „Fehlkonstruktion“,
„die ständig repariert werden musste
und untätig geblieben sind, musste – und zwar bereits seit langem –
„mit Verletzten oder Toten gerechnet werden“,
sondern weil
auf der Strecke normalerweise viel Verkehr herrsche.
Man kann als Leser immer wieder staunen ob dieser journalistischen Unfähigkeiten oder Unwilligkeiten, auch nur ein klein wenig weiter in die Tiefe dringen zu wollen.
Und zum Thema: Autobahnbrücken in Deutschland
meldet die Tagesschau heute:
Jede achte Brücke in schlechtem Zustand
Und:
Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua geben Experten für Deutschland Entwarnung. Zwar seien Tausende Brücken in nicht ausreichendem Zustand, eine Einsturzgefahr bestehe aber nicht.
Ich weiß nicht, wo da die Logik für eine „Entwarnung“ ist: Wenn
Tausende Brücken in nicht ausreichendem Zustand
sind, heißt das doch für jeden, der schon mal in der Schule Noten bekommen hat, dass sie in einem mangelhaften Zustand sind. Ganz offensichtlich gibt es aber für die Tagesschau und diejenigen, die solche Urteile auskochen, zwischen „mangelhaft“ und „Einsturzgefahr“ noch einen sehr komfortablen Bereich, für den man „Entwarnung“ ausgeben kann.
Anmerkung: Also nicht nur Note „mangelhaft“, sondern „ungenügend“.
Update:
War das Ganze vielleicht ein Anschlag? Siehe dazu die drei Posts hier.
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