Rudolf Steiner: Naturwissenschaft, auf das soziale Leben angewendet, schafft nur Niedergangserscheinungen

 

Aus Nr. 198 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 138:

 

Das Buch ist zunächst nur im ersten Bande vorliegend. Wer nun diesen ersten Band auf sich wirken lässt, findet eine streng theoretische Rechtfertigung des Niederganges, den streng theoretischen Beweis des Niederganges, aber nirgends irgendeinen Lichtfunken, der hinwiese auf irgendeinen Aufgang, nirgends etwas, was auf irgendeinen Aufstieg hindeutete. Und man kann nicht einmal sagen, dass für den naturwissenschaftlichen Betrachter dies eine unrichtige Denkweise sei. Denn betrachtet man das heutige Leben – obwohl alle möglichen Fragen auftauchen, die Fragen, über die Nietzsche sich schon lustig gemacht hat -, und gibt man sich nicht dem Wahne hin, dass aus wesenlosen Programmen Zukunftsfrüchte reifen können, dann sieht man auch zunächst in dem, was die Mehrzahl der Menschen in der Außenwelt anerkennt, nirgends einen Aufstieg erscheinen. Betrachtet man also die aufsteigende und niedergehende Kultur wie Organismen und betrachtet man dann auch unsere Kultur als einen Organismus, unsere ganze abendländische Zivilisation, dann kann man nicht anders, als sagen: Das Abendland geht zugrunde, geht in die Barbarei hinein. Nichts vermag zu entscheiden, wo irgendein neuer Aufstieg, irgendein anderes Zentrum der Welt sich wiederum erzeigen werde. 

Es ist das Spenglersche Buch ein Buch mit geistigen Qualitäten, aus scharfer Beobachtung herrührend und aus einem wirklichen Durchdrungensein mit der heutigen Wissenschaftlichkeit heraus geschrieben, und nur der gewöhnliche Lebensleichtsinn kann über solche Dinge oberflächlich hinwegsehen. Wenn solch eine Erscheinung kommt, dann tritt eben jene historische Sorge auf in dem Weltenbetrachter, von welcher ich hier des öfteren gesprochen habe und welche ich mit den folgenden Worten kurz zusammenfassend charakterisieren kann. Wer heute sich wirklich bekanntmacht mit dem inneren Wesen dessen, was im sozialen, im politischen, im geistigen Leben wirkt, wer da sieht, wie alles das, was wirkt, nach dem Niedergang hinstrebt, der muss sich sagen, wenn er nun Geisteswissenschaft kennt, wie sie hier gemeint ist: Eine Heilung kann es nur geben, wenn dasjenige, was man die Weisheit der Initiation nennt, in die Menschheitsentwickelung hineinfließt. – Denn denken wir uns einmal diese Weisheit der Initiation fort, denken wir einmal, das, was wir hier in gutem Sinne geistige Anschauung nennen, würde von der Menschheit vollständig außer acht gelassen, würde verbannt, würde keine Rolle spielen im weiteren Fortgange der Menschheitsentwickelung, – was würde die notwendige Folge sein müssen? Sehen Sie, wenn wir hinschauen auf die alte indische Kultur, so hat sie wie ein Organismus einen Kindheitszustand, Reife, Altern, Verfall, Tod; dann setzt sie sich fort. Aber das, was sie fortsetzt, lebt ja nicht in Wirklichkeit mehr. Wir haben dann die persische, die chaldäisch-ägyptische, die griechisch-lateinische, unsere Zeit; aber immer haben wir etwas, was Oswald Spengler nicht berücksichtigt hat, was er eigentlich als streng naturwissenschaftlicher Beobachter nicht berücksichtigen konnte. Es ist ihm das vorgeworfen worden von einigen seiner Gegner. Denn einiges ist auch schon gegen das Buch von Spengler geschrieben worden, sogar manches, was gescheiter ist als der außerordentlich einfältige Artikel, den Benedetto Croce geschrieben hat gegen das Spenglersche Buch. Croce, der sonst immer Gescheites geschrieben hat, ist an dem Spenglerschen Buche plötzlich zum Toren geworden. 

Es ist Spengler also vorgeworfen worden, dass ja die Kulturen immer nicht nur Kindheit, Reife, Verfall, Tod haben, sondern dass sie sich fortsetzen, und so werde es auch mit der unsrigen sein: wenn sie eines seligen Todes sterbe im Jahre 2200, so werde sie sich schon wiederum fortsetzen. – Es ist dabei nur das Eigentümliche zu beachten, dass Spengler eben ein guter naturwissenschaftlicher Beobachter ist und deshalb keine Fortsetzungsmomente findet, dass er daher nicht von einem Samen sprechen kann, der etwa in unserer Kultur drinnen ist, sondern nur von den Niedergangserscheinungen, die sich ihm, dem naturwissenschaftlichen Beobachter, darbieten. Und diejenigen, die davon sprechen, dass sich die Kulturen fortsetzen, haben auch nichts besonders Gescheites gerade über dieses Buch zu sagen gewusst. Ein ganz junger Mann hat eine etwas verschwommene Mystik vorgebracht, in der er von «Weltrhythmus» spricht; aber auch damit ist eben nur eine verschwommene Mystik geschaffen, nicht irgend etwas, was den bewiesenen Pessimismus in einen Optimismus verwandelt hatte. So geht eigentlich aus dem Spenglerschen Buche nur hervor, dass der Untergang kommen wird, nicht aber ein Aufstieg erfolgen könne. 

Was Spengler tut, ist, dass er naturwissenschaftlich betrachtet: Kindheitsalter des Kultur- oder Zivilisationsorganismus, Reifezeit, Verfall, Altern, Tod in den verschiedenen Zeitaltern betrachtet er so, wie man auch naturwissenschaftlich im Grunde genommen einzig und allein betrachten kann. Aber wer etwas weiter auszuschauen vermag, der weiß, dass im alten indischen Leben außer dem Äußerlichen der Zivilisation die Mysterienweisheit, die Initiationsweisheit der Urzeiten gelebt hat. Und diese Initiationsweisheit der Urzeiten, die in Indien noch mächtig war, sie hat wiederum den neuen Keim in die persische Kultur hineingetrieben. Die persischen Mysterien waren schon schwächer, aber sie konnten noch den Keim in die ägyptisch-chaldäische Zeit hineintreiben. Es konnte auch noch der Keim in die griechisch-lateinische Zeit hineingetrieben werden. Dann setzte sich gleichsam die Kulturströmung fort nach dem Gesetze der Trägheit bis in unsere Zeit herein, und da versiegt sie. 

Das muss man fühlen! Diejenigen, die zu unserer Geisteswissenschaft gehören, die könnten das seit nahezu zwanzig Jahren fühlen. Denn eine der ersten Bemerkungen, die ich gleich bei der Begründung unserer geisteswissenschaftlichen Bewegung gemacht habe, ist diese: Wenn man dasjenige, was das Kulturleben der Menschheit äußerlich hervorbringt, was eben so weitertreibt, vergleichen will mit etwas, so kann man es vergleichen mit dem Stamm, den Blättern und Blüten und so weiter eines Baumes. Dasjenige aber, was wir hineinversetzen wollen in diese fortgehende Strömung, das lässt sich vergleichen mit dem Mark des Baumes, das muss verglichen werden mit den im Marke sich betätigenden Wachstumskräften. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass durch Geisteswissenschaft wiederum gesucht werden müsse, was, einst aus alter atavistischer Urweisheit überliefert, heute versiegt ist. Dieses Bewusstsein, so hineingestellt zu sein in die Welt, das ist es, was im Grunde genommen das Bewusstsein derjenigen ausmachen soll, die sich zur anthroposophischen Bewegung zählen. Aber noch eine andere Bemerkung habe ich gemacht, allerdings in den letzten Jahren besonders hier, sehr häufig aber auch an anderen Orten. Ich habe gesagt: Wenn man alles dasjenige, was man aus der heutigen Wissenschaft aufnehmen kann, nimmt und sich daraus eine Anschauungsweise bildet und diese Anschauungsweise anwendet zum Beispiel auf das soziale oder namentlich auch auf das geschichtliche Leben, so kann man dadurch nur die Niedergangserscheinungen fassen. Mit dem, was Naturwissenschaft uns lehrt als Betrachtungsweise, trifft man, wenn man Geschichte betrachtet, nur das, was in der Geschichte niedergeht, und wenn man es auf das soziale Leben anwendet, schafft man nur Niedergangserscheinungen.  

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