Rudolf Steiner: In der Zukunft wird es eine von Anthroposophie durchdrungene Religion geben, oder es wird gar keine Religion geben, sondern nur äußeres Kirchentum

 

Aus Nr. 125 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 262:

Ja, wir sind in einer gewissen Weise doch schon tief in der Zeit darinnen, in welcher der Materialismus in der Außenwelt so sehr alle Kreise ergriffen hat, daß ganz andere Impulse notwendig sind, um diesen Christus-Impuls zu erneuern, als die einfachen Impulse, die im Mittelalter gewirkt haben. Eine Erneuerung des menschlichen Inneren ist notwendig, wie die Anthroposophie sie anstreben soll, ein Heraufholen der tiefsten Kräfte der menschlichen Seele, ganz anderer Kräfte noch, als die waren, die uns in den Weihnachtssymbolen, in den Weihnachtsfestgebräuchen entgegengetreten sind. Und so wahr, wie wir gerade durch unsere Anthroposophie lernen können das zu erfühlen, was wie ein Zauberhauch durch die Herzen zog in der Aufführung von Paradeis- und Christspielen, in alledem, was zu diesen Festzeiten durch die Herzen zog, so wahr wir das durch die Anthroposophie empfinden können, so aufrichtig sollen wir der anderen Tatsache gegenüberstehen, daß der ewige Geist in immer neuer Form in der Menschheitsentwickelung sich ausleben muß. 

Daher soll uns der Anblick der Christfestsymbole ein Ansporn dazu werden, aufzunehmen in Christfeststimmung, was die welthistorische Stimmung anthroposophischer Vorstellungsart in unseren Herzen sein kann. 

Sieht doch der, welcher die Geheimnisse der Christnacht in der richtigen Art empfindet, hoffnungsvoll hin auf das, was als ein zweites Fest auf das Weihnachtsfest folgen soll, sieht er doch aufs Osterfest, auf das Auferstehungsfest, wo Sieger sein soll das, was geboren wird in der Weihnacht. Und so haben wir die Überzeugung von der Notwendigkeit, daß alles geistige Leben, daß alles Kulturleben überhaupt durchdrungen und durchsättigt werden muß von dem, was wir anthroposophische Vorstellung, anthroposophisches Fühlen und Denken und Wollen nennen. In der Zukunft, meine lieben Freunde, wird es entweder eine Geisteswissenschaft geben, oder es wird gar keine Wissenschaft geben, sondern nur eine äußere technische Praxis. In der Zukunft wird es eine von Anthroposophie durchdrungene Religion geben, oder es wird gar keine Religion geben, sondern nur äußeres Kirchentum. In der Zukunft wird es anthroposophisch durchdrungene Kunst geben, oder es wird gar keine Künste geben, denn Künste, die losgelöst von dem Leben der Menschenseele sein wollen, werden ein kurzes, ein ephemeres Dasein haben. So blicken wir auf etwas, das uns mit derselben Gewißheit entgegenleuchtet wie die Prophezeiung, die uns gegeben ist durch die Theodora in der «Pforte der Einweihung» von der Erneuerung des Christus-Anblickes. Mit eben solcher Gewißheit steht in unserer Seele die Auferstehung anthroposophischen Geistes in Wissenschaft, Religion, Kunst und allem Menschheitsleben. Das große Osterfest der Menschheit steht vor unserer ahnenden Seele. 

Wir können verstehen, daß es wiederum Krippen gibt, wiederum gibt einsame, noch recht einsame Stätten, in denen noch in Kindheitsform das geboren wird, was unter den Menschen auferstehen soll. Im Mittelalter hat man die Menschen in die Häuser hineingeführt und ihnen die Krippe gezeigt, eine Nachahmung des Stalles mit Ochs und Esel, mit dem Jesuskind, seinen Eltern und den Hirten. Man hat ihnen gesagt: Da liegt die Hoffnung der Zukunft der Menschheit. – Lassen wir in unserer Seele das, was wir pflegen, was wir wollen innerhalb unserer anthroposophischen Arbeitsstätten, lassen wir das moderne neue Krippen sein, in denen unter der Führung desjenigen, den wir den Christus Jesus nennen, aufersteht der neue Geist, heute noch in Kindheitsform, heute noch auf der Stufe des Geborenwerdens in den einzelnen anthroposophischen Arbeitszweigen, in den Krippen, aber in sich tragend das Unterpfand, daß er Sieger sein wird, daß wir als Menschen durch ihn feiern können das große Osterfest der Menschheit, das Auferstehungsfest der Menschheit in einem neuen Geist, in dem Geist, den wir ahnen wollen, den wir erstreben wollen als den anthroposophischen Geist.  

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