Aus Nummer 209 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 16ff:
Es sollte heute mehr, als es den Europäern klar ist, einleuchtend sein, dass Europa immer mehr und mehr verfallen muss, wenn es sich nicht auf die spirituelle Grundlage des Menschenlebens besinnt, wenn es weiter aus reiner Bequemlichkeit beiseite schiebt, was doch zuletzt so gemeint ist, dass es, aus den antispirituellen Wirren herausführend, Hilfe bringt.
Für mich war tief symbolisch dieses Beiseiteschieben meines nordischen Völkerpsychologiekursus durch eine der führenden Persönlichkeiten während der sinnlosen Zeit. So wird im Grunde noch heute von denen, die tonangebend sind, alles beiseite geschoben. In Europa sollte man sich aber besinnen, dass schließlich das Wort, das ahnungslos ein englisch-afrikanischer Staatsmann gesprochen hat, für die öffentlichen Angelegenheiten doch das bedeutendste Wort ist. Es ist nicht aus einer besonderen Tiefe heraus gesprochen, aber immerhin aus einem gewissen Gefühle, wie die Angelegenheiten der Menschheit sich in der Gegenwart gestalten. Dieser Staatsmann hat gesagt: Der Zentralpunkt der weltgeschichtlichen Perspektive ist hinweggerückt von der Nordsee, von Europa überhaupt, und ist verschoben worden nach dem Stillen Ozean. – Man könnte auch sagen: Wofür in Europa bisher eine Art von Mittelpunkt war, das hat im Grunde genommen aufgehört. Wir leben heute innerhalb seiner Reste. Was an die Stelle getreten ist, sind große Weltangelegenheiten, die sich zwischen dem Orient und dem Okzident abspielen. Und was heute ahnungslos verhandelt wird in Washington, das ist doch eben nur das ahnungslose Gestammel, das an die Oberfläche getrieben wird auch von jenen Tiefen her, in denen sich für so viele heute noch unvermerkt die großen Menschheitsangelegenheiten abspielen.
Ruhe auf der Erde wird nicht sein, bevor eine gewisse Harmonisierung der großen okzidentalen und orientalen Angelegenheiten sich wird abgespielt haben. Aber es gibt heute noch keine Einsicht dahingehend, dass sich diese Harmonisierung abspielen muss zunächst auf geistigem Gebiete. Man möge sich noch so sehr unterhalten über Abrüstungsfragen und ähnliche luxuriöse Angelegenheiten gegenüber der heutigen schweren Zeit, das werden luxuriöse Angelegenheiten, schöne Unterhaltungen zunächst bleiben, so lange nicht innerhalb der westlichen Welt gefunden wird jene Spiritualität, welche enthalten ist, nur nicht gesucht wird in unserer ganzen Kulturentwickelung seit der Mitte des 15.Jahrhunderts. Es ist schon ein Schatz innerhalb dieser Kulturentwickelung enthalten.
Wir haben eine großartige naturwissenschaftliche Weltanschauung gewonnen, wir haben eine großartige Technik gewonnen. Wir haben das alles heute um uns. Das alles ist im Grunde genommen großartig, aber tot, tot gegenüber den großen Menschheitsentwickelungsströmungen. Aber in diesem Toten ruht ein Lebendes, ein Lebendes an Spiritualität, was glänzender sich in der Welt entwickeln kann als alles dasjenige, was jemals in orientalischer Weisheit, die wahrhaftig nicht verkleinert werden soll, vor die Menschen getreten ist. Ja, für den unbefangenen Beobachter gibt es dieses Gefühl, das ich Ihnen jetzt schildern möchte.
Man kann hinschauen auf die großen Weisheitsschätze des Orients, die ja nur im Abglanz vorhanden sind in den Veden, in der wunderbaren Vedantaphilosophie und so weiter. Man kann voller Enthusiasmus sein für dasjenige, was da wie aus Himmelshöhen der Menschheit geoffenbart worden ist, was nach und nach allerdings in die Dekadenz gekommen ist, was aber selbst noch in dem dekadenten Zustande, in dem es heute im Orient lebt, eine gewisse Bewunderung hervorrufen kann, wenn man für so etwas einen Sinn hat.
Dem gegenüber steht die rein materielle Kultur des Westens: Europas und Amerikas. Auch diese rein materielle Kultur und die rein materielle Denkweise sollen nicht herabgesetzt werden. Aber gesagt muss werden, dass zunächst das, was uns da an materieller Kultur entgegentritt, sich ausnimmt wie eine harte Nussschale, wie eine absterbende Nussschale. Aber darinnen ist doch die Nuss. Und lässt sich diese Nuss finden, dann wird das, was zutage tritt, überstrahlen alles das, was einstmals an orientalischem Weisheitslichte in die Menschheit gekommen ist. Aber täuschen Sie sich nicht darüber, dass die Sache so ist: Solange die Europäer und Amerikaner mit den Asiaten sich nur um wirtschaftliche Interessen unterhalten, so lange wird niemals Vertrauen unter den Asiaten Platz greifen, und man wird sich lange über Abrüstungsfragen und wie schon es wäre, wenn keine Kriege geführt würden, unterhalten können. Der große Krieg wird geführt werden zwischen Asien und dem Westen trotz aller Abrüstungskonferenzen, wenn nicht eines eintritt, wenn nicht die Asiaten vom Westen herkommend etwas sehen, was Geist des Westens ist, der ihnen deshalb leuchten kann und zu dem sie Vertrauen werden haben können, weil sie dafür Verständnis haben aus ihrer eigenen, obzwar in die Dekadenz gekommenen Geistigkeit heraus. An dem Verständnis dieser Sachlage hängt der Friede der Welt, nicht an jenen Unterhaltungen, die heute die äußeren Führer der Menschheit pflegen.
Alles liegt heute an der Einsicht, dass es auf den Geist ankommt, der innerhalb der europäisch-amerikanischen Kultur verborgen ist, den man flieht, den man aus Bequemlichkeit nicht haben will, der aber doch einzig und allein die Menschheit zu Aufgangskräften führen kann. Man möchte sich eben den Nebel vor die Augen machen, indem man sich immer wieder und wiederum sagen will: Es werden schon die Zeiten von selber besser werden. – Nein, die Stunde der großen Entscheidung ist da. Entweder werden sich die Menschen entschließen, die Spiritualität zu heben, von der ich eben gesprochen habe, oder der Untergang des Abendlandes ist sicher. Kein Hoffen, kein fatalistisches Ersehnen eines von selbst kommenden Besseren kann helfen. Die Menschheit ist einmal in die Epoche der freien Benützung ihrer Kräfte eingetreten, und die Menschheit muss diese freien Kräfte wirklich handhaben. Das heißt, die Menschheit muss selber entscheiden, ob sie die Spiritualität haben will, oder ob sie sie nicht haben will. Wird sie sie haben wollen, dann wird ein Fortschritt der Menschheit möglich sein. Wird sie sie nicht haben wollen, dann ist der Untergang des Abendlandes besiegelt, dann wird unter den furchtbarsten Katastrophen eine ganz andere Fortentwickelung der Menschheit stattfinden müssen, als sich viele heute träumen lassen. Aber man darf, wenn man eine solche Einsicht gewinnen will, nicht vorübergehen an der Betrachtung des Seelenlebens des Menschen überhaupt, und an der Betrachtung des Seelenlebens der verschiedenen Völker, namentlich des Seelenlebens der orientalischen und der okzidentalen Völker.
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