Rudolf Steiner zur Trennung von Gerichtsbarkeit (Justiz) und Politik (Sicherheitswesen des Staates, Polizei und Armee) in einem dreigliedrigen sozialen Organismus

 

 

von Rudolf Steiner 

 

Aus Nr. 185a (Seite 216ff) der Rudolf Steiner Gesamtausgabe: 

Und da handelt es sich darum, dass man drei Glieder unterscheiden muss. Ohne diese Unterscheidung geht es nicht, und keine Vorwärtsentwickelung von der Gegenwart aus in die nächste Zukunft wird kommen, ohne dass diese dreigliedrige Unterscheidung gemacht wird. Da handelt es sich darum, dass erstens einmal – es mag die soziale Gruppe, die da vorliegt, so oder so gestaltet sein, klein oder groß sein, darauf kommt es nicht an -, aber dass irgendeine soziale Gruppe so gestaltet sein muss, dass darinnen in Bezug auf Sicherheit des Lebens und Sicherheit nach außen Ordnung herrscht. Der Sicherheitsdienst im weitesten Umfange gedacht – ich muss solche umfassenden Worte gebrauchen -, das ist das eine Glied. Dieser Sicherheitsdienst ist aber auch das einzige Glied, welches in das Licht der Idee der Gleichheit gelenkt werden kann. Dieser Sicherheitsdienst, alles Polizeilich-Militärische, wenn ich jetzt im alten Sinne sprechen will, der ist auch das einzige, was im Sinne zum Beispiel eines demokratischen Parlamentes behandelt werden kann. Mitbestimmend an diesem Sicherheitsdienst kann jeder Mensch sein, es muss also ein Parlament geben, wie die soziale Gruppe auch beschaffen ist, in dem Abgeordnete, meinetwillen nach ganz allgemeinem, geheimem, direktem Wahlrecht sein können, welche die Gesetze und alles das zu bilden haben, was für diesen Sicherheitsdienst bestimmt ist. Denn das, dieser Sicherheitsdienst, ist ein Glied der Ordnung, aber er muss abgesondert von dem übrigen behandelt werden und nur von höherem Gesichtspunkte aus dann wiederum harmonisiert werden mit anderem. 

Ein zweites, das aber ganz abgesondert werden muss von all dem, was Sicherheitsdienst ist, Sicherheit im Innern und Sicherheit nach außen, was auch nicht nach der Idee der Gleichheit behandelt werden kann, das ist dasjenige, was die eigentliche wirtschaftliche Gestaltung der sozialen Gruppen ist. Diese wirtschaftliche Gestaltung, die darf nicht im unmittelbaren Zusammenhange stehen mit dem, was ich als erstes Glied genannt habe, sondern sie muss für sich behandelt sein. Sie muss ihr eigenes Ministerium, ihr eigenes Volkskommissariat – heute sagt man Volkskommissariat – haben, das vollständig unabhängig von dem Ministerium, vom Kommissariat des Sicherheitsdienstes sein muss. Sie muss ihr eigenes Ministerium haben, das vollständig unabhängig ist, das nach rein ökonomischen Gesichtspunkten gewählt wird, so dass Leute in diesem ökonomischen Ministerium sind, die etwas von den einzelnen Zweigen verstehen, sowohl als Produzenten wie als Konsumenten. Nach ganz anderen Gesichtspunkten muss sowohl parlamentarisch wie ministeriell dieses zweite Glied der sozialen Ordnung gelenkt werden. Das erste Glied kann also, sagen wir, in die Demokratie eingestellt werden; wenn es nach dem Geschmack besser ist, könnte es auch in das Konservative eingestellt werden. Das kommt ganz darauf an; wenn es ordentlich gemacht wird, wird es schon etwas werden, und das andere ist Geschmacksache. Dasjenige, worauf es ankommt, ist diese Dreiheit. Denn auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens muss Brüderlichkeit herrschen. Geradeso wie alles auf dem Gebiete des Sicherheitsdienstes gerückt werden muss unter den Gesichtspunkt der Gleichheit, so muss auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens überall die Maxime der Brüderlichkeit herrschen. 

Dann gibt es ein drittes Gebiet, das ist das Gebiet des geistigen Lebens. Zu dem rechne ich alles Religionstreiben, das gar nichts zu tun haben darf mit demjenigen, was Sicherheitsdienst ist und wirtschaftliches Leben; dazu rechne ich allen Unterricht, dazu rechne ich alle übrige freie Geistigkeit, allen wissenschaftlichen Betrieb, und dazu rechne ich auch alle Jurisprudenz. Ohne dass die Jurisprudenz dazu gerechnet wird, ist alles übrige falsch. Sie kommen sogleich zu einer widersinnigen Dreigliederung, wenn Sie nicht so gliedern: Sicherheitsdienst nach dem Prinzip der Gleichheit, wirtschaftliches Leben nach dem Prinzip der Brüderlichkeit, die Gebiete, die ich eben aufgezählt habe: Jurisprudenz, Unterrichtswesen, freies geistiges Leben, religiöses Leben, unter dem Gesichtspunkte der Freiheit, der absoluten Freiheit. Wiederum muss aus absoluter Freiheit die notwendige Verwaltung dieses dritten Gliedes der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen. Und der notwendige Ausgleich, der kann erst durch den freien Verkehr der diese drei Glieder Leitenden und Bestimmenden gesucht werden. Auf dem Gebiete des geistigen Lebens, zu dem eben die Jurisprudenz gehört, wird sich ja nicht so etwas herausstellen, wenn es wirklich einmal durchgeführt würde, wie ein Ministerium oder Parlament, sondern etwas viel freieres; es wird die Struktur ganz anders verlaufen. 

Zu dem, was da angestrebt werden muss, müssen natürlich Übergangsformen sein. Aber das sollte den Menschen einleuchten. Und nicht früher kommen wir zu einer Gesundung, bevor es den Menschen einleuchtet, dass in dieser Weise diese Dreigliederung, von der ich gesprochen habe, zugrunde liegen muss, dass alles so gedacht werden muss, dass man nicht einen uniformierten Staat beibehalten kann. Denn die Staatsidee ist unmittelbar nur anzuwenden auf den ersten Teil, auf den Sicherheits- und Militärdienst. Was unter Staatsomnipotenz gestellt wird außer Sicherheits- und Militärdienst, das steht auf ungesunder Basis, denn das wirtschaftliche Leben muss auf rein, sei es korporativer, sei es auf assoziativer Basis aufgebaut werden, wenn es sich gesund entwickeln will. Und das geistige Leben einschließlich der Jurisprudenz ist nur dann auf gesunder Basis aufgebaut, wenn der einzelne vollständig frei ist. Er muss frei sein in Bezug auf alles andere. 

 

An anderem Orte (Nr. 328, S. 91f der Rudolf Steiner Gesamtausgabe) drückte Rudolf Steiner es so aus (Hervorhebung IH):

Der bloße Rechtsstaat, wenn er Wirtschafter werden will, lähmt das Wirtschaftsleben; der Wirtschaftsorganismus, wenn er sich den Staat erobern will, tötet das System, das Leben des öffentlichen Rechtes. Das ist es, was ich zu dem in den vorigen Vorträgen Gesagten noch hinzufügen möchte zur Begründung der Dreigliedrigkeit des sozialen Organismus. Indem die bürgerlich leitenden Kreise gewissermaßen den Blick wie hypnotisiert nur auf den Staat gerichtet hatten, wurde ihnen der Staat etwas wie ein Götze. Es wurde die Aufmerksamkeit nicht hingelenkt auf die notwendige Differenzierung des sozialen Organismus in die drei Glieder. Und so kam es, dass in der neueren Zeit auch aufgesogen, absorbiert wurde von dem Staate, von dem politischen Leben im engeren Sinne das geistige Leben. So wie die Warenzirkulation im Wirtschaftsleben auf der Preis- und Wertbildung beruht, so wie das Leben innerhalb des politischen sozialen Organismus auf dem Rechtsleben beruht, so beruht alles geistige Leben auf dem unmittelbaren Inhalt des Produzierten. Und bedenken Sie nur, was für ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dem Wirtschaftsleben und dem geistigen Leben. Im Wirtschaftsleben kommt alles darauf an, dass die Ware zum zweckmäßigsten Verbrauch getrieben wird. Geistige Hervorbringung, sei es auf dem Gebiete des Erziehungs-, des Schulwesens, sei es auf dem Gebiete der Kunst, sei es auf irgendeinem anderen eben geistigen Gebiete, geistige Hervorbringung mit dem Begriff des Verbrauches in Zusammenhang zu stellen ist geradezu eine Absurdität. Man kann es nicht. Man kann nicht das, was geistig hervorgebracht ist, in dieselbe Linie stellen wie das, was im Wirtschaftsprozess zirkuliert. Das ist es, was auch bewirkt hat, dass die Aufsaugung zum Beispiel des Schulwesens durch den Staat, des Universitätswesens durch den Staat und ähnliches, in der modernen Entwickelung zu einem hemmenden, auch jetzt im realen Sinne hemmenden Faktor geworden ist. Und das ist es, was die Menschheit aufmerksam machen muss, dass dieses Geistesleben wiederum befreit, entfesselt werden muss. 

Und ich habe schon aufmerksam darauf gemacht, dass zu diesem geistigen Gliede des sozialen Organismus nun auch gerechnet werden muss, was heute noch manchem nun auch paradox erscheinen wird, die wirkliche Praxis des privaten und des strafrechtlichen Urteilens. So sonderbar das klingt, auch da gibt es schon eine Tendenz im modernen Leben, die nur nicht in der richtigen Weise beurteilt wird. Was immer mehr und mehr von einer eben verfehlten Psychologie in Anspruch genommen worden ist für die Rechtsprechung, das ist es, was tendiert nach einem noch nicht erkannten, aber notwendigerweise zu erkennenden Prinzip der Einverleibung des privat- und strafrechtlichen Wirkens in das geistige Glied, das wiederum mit relativer Selbständigkeit dasteht, auch mit relativer Selbständigkeit dasteht gegenüber all dem Leben, das sich als das engere politische Leben entwickelt, das sich als das Leben des öffentlichen Rechtes, der Gesetzgebung entwickelt. Gewiss, es wird in Zukunft in einem gesunden sozialen Organismus der Verbrecher zum Beispiel zu suchen sein von dem, was sich im zweiten Gliede, im politischen Gliede ergibt. Wenn er aber gesucht ist, dann wird er abgeurteilt von dem Richter, dem er in einem individuellen menschlichen Verhältnis gegenübersteht. 

 

 

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Professor Selenz fordert ein Ende der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte durch die Politik (Justizminister) 

 

 

 

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