Rudolf Steiner und die Anthroposophie haben eine schlechte Presse – Auch bei den Anthroposophen

von Ingo Hagel

 

Bereits die Ankündigung dieser Pressekonferenz am Goetheanum zum „150. Geburtstag Rudolf Steiners“ (in „Anthroposophie weltweit – Nachrichten für Mitglieder Nr. 8/2010“) hatte etwas Skuril-Ahnungsloses: „Vertreter der anthroposophischen Presselandschaft sowie der allgemeinen Medien und Fachmedien haben von 11 bis 16 Uhr die Möglichkeit, Rudolf Steiner und die Anthroposophie kennenzulernen.“ Ein ambitioniertes Vorhaben, und das in nur fünf Stunden! Wenigstens wurde von einer Autogrammstunde mit Rudolf Steiner abgesehen…. Und schließlich: Wäre es wirklich eine „anthroposophische Presselandschaft“, müsste sie nicht erst (in dem angekündigten fünfstündigen „Kurzlehrgang“) den Gegenstand, der ihnen ihre Existenzberechtigung gibt (nämlich Rudolf Steiner und die Anthroposophie) noch kennenlernen müssen.

„Wo viel Licht ist …“ lautete dann schließlich auch die Überschrift eines Berichts der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft (Goetheanum) in Dornach über diese Pressekonferenz. Erst beim Lesen des Beitrages wird klar, dass der angedeutete „viele Schatten“ dieser schusseligen Überschrift nicht eine Wertung  dieser Veranstaltung darstellt.

Einleitend war dort zu lesen: „Etwa 300 Teilnehmende kamen zu der Pressekonferenz, zu dem das Goetheanum und das Rudolf-Steiner Archiv eingeladen hatten. Die Veranstaltung war zugleich Auftaktfeier zu dem Jubiläumsjahr 150 Jahre Rudolf Steiner sowie Präsentation des heutigen Standes des anthroposophischen Kulturschaffens.“ Man sollte also davon ausgehen können, dass es sich bei dieser „Präsentation des heutigen Standes des anthroposophischen Kulturschaffens“ am Goetheanum um herausragende Exponate des letzteren handeln sollte. Stattdessen wurden Entstellungen, Falschheiten, Verleumdungen und Phrasen präsentiert, bei denen man sich fragen muss, ob diese wirklich nur ein naives Versehen darstellen, ob sie bewusst lanciert werden, oder ob sie einfach nur den Niedergang und die Selbstdemontage der Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum darstellen. Empfindungen einer Ehrung und Danksagung an Rudolf Steiner zu dessen 150. Geburtstag lässt der Bericht zu dieser Veranstaltung jedenfalls nicht aufkommen. Hier nur einige Beispiele.

Rudolf Steiner nicht nur den Anthroposophen überlassen

Michaela Glöckler eröffnete die Pressekonferenz, indem sie den Hinweis eines (vermutlich nicht-anthroposophischen) Zeitgenossen wiederholte, „dass die Zeit vorbei sei, in der man Rudolf Steiner nur den Anthroposophen überlassen dürfe.“ Wie darf man diese Anmaßungen nach Art heutiger Wirtschaftsstrategen auf dem Gebiete des freien Geisteslebens verstehen? Es handelt sich bei Rudolf Steiner nicht um einen Marktanteil, auf den gewiefte Anthro-Funktionäre Ansprüche haben. Die meisten der über 6.000 Vorträge Rudolf Steiners liegen sorgfältig herausgegeben, gedruckt und frei verkäuflich in ansprechenden rund 360 Bänden der Gesamtausgabe vor. Es soll doch jeder Rudolf Steiner okkupieren, vereinnahmen, besetzen, verschlingen, in Beschlag nehmen, wie er mag, wenn er damit wirklich die Anthroposophie meint, in der sich Rudolf Steiner den Menschen hingegeben hat und in deren Gedankensubstanz dieser lebt.

Oder handelt es sich mit diesem Aufruf zur Eröffnung einer (nicht alltäglichen) Pressekonferenz, die Anthroposophie „nicht nur den Anthroposophen zu überlassen“, um das Eingeständnis des Scheiterns der Anthroposophischen Gesellschaft und ihrer Funktionäre, jahrzehnte- bis jahrhundertelang mit Rudolf Steiner (das heißt: der Anthroposophie) nicht adäquat umgegangen zu sein? Immerhin ist Michaela Glöckler Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, damit hauptberuflich als Anthroposophin für die Anthroposophie tätig.

Und wem soll nun die Anthroposophie (immerhin handelt es sich ja bei dieser um eine Wissenschaft!) „überlassen“ werden, da man sie nicht „nur den Anthroposophen überlassen“ dürfe? Rudolf Steiner: „Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus seinem Gemüt heraus suchen muss. Anthroposophen können daher nur Menschen sein, die gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet“ (GA 26). Wenn die Anthroposophie nun nicht nur den Anthroposophen überlassen werden soll, (das heißt denen, die „gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet“, dann also den Nicht-Anthroposophen, das heißt denjenigen, denen diese Fragen keine Lebensnotwendigkeit sind, denen sie also gleichgültig sind)! Für geistige Leistungen dieser Art dürfte den Anthroposophen in der (Fach-) Welt ähnliche Bewunderung sicher sein wie für Vorschläge (nach dem Beuysschen Motto: jeder Mensch ein Künstler) die Medizin doch den Nicht-Medizinern (also vielleicht den Frisören, Metzgern, PR-Mitarbeitern?) oder den Maschinenbau der Zunft der Zuckerbäcker zu überlassen.

Rudolf Steiner an die Spitze des Kulturlebens?

Frau Glöckler wertete ihre Ermunterung zudem als positives Zeichen, „dass Rudolf Steiner immer selbstverständlicher in die Spitze des Kulturlebens eingereiht wird.“ Wie bitte? „Des Kulturlebens?“ „Eingereiht“? „Positives Zeichen“? Was für Unverschämtheiten werden auf einer Pressekonferenz des Goetheanums über Rudolf Steiner verbreitet! Es sind diese leisetreterischen Gemeinheiten, die einem als locker dahingeworfene Pressekonferenz-Wort-Wurstmasse das Blut in den Adern erstarren lassen können: Welches „Kulturleben“ meint Frau Glöckler denn, in das sie Rudolf Steiner gerne „einreihen“ würde? Das des Dschungelcamps, das von „Deutschland sucht den Superstar“, das von „Wetten dass …“, der Love Parades und des Komasaufens? Oder meint sie das „Kulturleben“ einer globalen Geldelite, die Ihre mit betrügerischen Investmentgeschäften verzockten Verluste auf Kosten der Menschen (als Bankenrettung) sanieren lässt? Oder meint Frau Glöckler die „kulturellen“ Bestrebungen jener plutokratischen Clique, die dabei ist, die nationale Souveränität und (geistige) Freiheit der europäischen Staaten (inklusive der deutschen Verfassung) durch eine Regierung der Europäischen Union mit „diktatorischen Tendenzen“ zu ersetzen? Auch an den bescheidenen Clickraten des obigen Interviews mit Professor Schachtschneider im Vergleich mit anderen Clips kann man gut die Ausrichtung des „Kulturlebens“, an dessen Spitze Rudolf Steiner gestellt werden soll, beurteilen.

Allen diesen Verfallserscheinungen des „Kulturlebens“ hätte die Anthroposophie etwas Fruchtbares entgegenzusetzen. Aber heute wie damals gilt (auch mit Blick auf Anthroposophie-Funktionäre) das Wort Rudolf Steiners über das „Kulturleben“ der verschlafenen „sogenannten Kulturmenschen“: „Den physischen Krieg kann man nicht verschlafen, aber den Geisteskrieg (von dem auch Prof. Schachtschneider spricht: „Es ist ein ganz großer Kampf, der da geführt wird, der um die Kultur Europas geht“; Anmerkung IH) zu verschlafen, das werden vielleicht Menschen doch zustande bringen; denn sie haben heute eine so starke Schlafsucht, die sogenannten Kulturmenschen, dass sie die wichtigsten Dinge verschlafen“ (GA 192/203). Rudolf Steiner wollte daher sicher nicht an die Spitze „des Kulturlebens“ gestellt werden, da er ein völlig neues Kulturleben begründen wollte. Das sind natürlich Feinheiten, die nicht jedem auffallen mögen, aber vielleicht sind es doch solche, an denen sich die oben erwähnten Anthroposophen von den Nicht-Anthroposophen unterscheiden lassen.

„Statements“

Die „Gäste auf dem Podium“ gaben dann (sicher zu Ehren Rudolf Steiners) verschiedene „statements“ ab (bevor man sich nach der Mittagspause bei diversen „Round Tables“ wiedersah). Götz Werner (dm Drogeriemarkt) meinte: „Mit Anthroposophie kann man die Welt besser erkennen.“ Ach ja? Warum eigentlich nicht mit Web 2.0, Google und Wikipedia? Vermutlich arbeitete es doch ein wenig in den Vertretern vor allem der nicht-anthroposophischen Presselandschaft jener Fünf-Stunden-Rudolf-Steiner-und-die-Anthroposophie-Kennenlern-Veranstaltung am Goetheanum. So bereicherte Götz Werner seine Enthüllungen um das weitere „statement“, dass Anthroposophie „heute“ (anscheinend war es damals anders) „dazu anrege, statt nach dem Wie nach dem Warum und damit nach dem Sinn zu fragen.“

Phänomenal! Diese Deutungen beschreiben auch einen Zustand des erwähnten „Kulturlebens“ – vor allem des anthroposophischen! „Sinn“ hätte es gemacht, konkret darauf hinzuweisen, dass, und zwar welche, Antworten Anthroposophie gibt – nur für den Fall, dass Menschen Fragen haben. Auf eine Antwort wies (damals) Rudolf Steiner zu vielen Gelegenheiten (zum Beispiel in der Abhandlung „Goethe als Vater einer neuen Ästhetik“) mit Blick auf eine anthroposophische Ästhetik und Kunstauffassung hin, nämlich auf das Goethe-Wort „Das Was bedenke, mehr bedenke wie“: „Wir sehen, es ist gerade das Umgekehrte von dem richtig, was die deutsche Ästhetik sagt; diese hat die Dinge einfach auf den Kopf gestellt. Das Schöne ist nicht das Göttliche in einem sinnlich-wirklichen Gewande; nein, es ist das Sinnlich-Wirkliche in einem göttlichen Gewande. Der Künstler bringt das Göttliche nicht dadurch auf die Erde, dass er es in die Welt einfließen lässt, sondern dadurch, dass er die Welt in die Sphäre der Göttlichkeit erhebt. Das Schöne ist Schein, weil es eine Wirklichkeit vor unsere Sinne zaubert, die sich als solche wie eine Idealwelt darstellt. Das Was bedenke, mehr bedenke Wie, denn in dem Wie liegt es, worauf es ankommt“ (GA  30; Hervorhebung IH). Interessant ist, was Merck in dieser Angelegenheit an Goethe schrieb: „Du schaffst ganz anders als die übrigen; diese suchen das sogenannte Imaginative zu verkörpern, das gibt nur dummes Zeug; du aber suchst dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben.“ Rudolf Steiner dazu: „Damit ist ungefähr dasselbe gesagt wie mit Goethes Worten im zweiten Teil des „Faust“: „Das Was bedenke, mehr bedenke wie““ (GA 30).

Es mag ja sein, dass diese Fragen einer anthroposophischen Kunst und Ästhetik nicht die erste Baustelle im Leben von Götz Werner sind. Dennoch gehört dieses „Das Was bedenke, mehr bedenke wie“ zur anthroposophischen Grundausbildung, verweist es ja nicht nur auf ein künstlerisches, sondern ein generelles Problem der Erkenntnis, das heißt des Sinns. Denn die Was- oder Warum-Frage nach dem Sinn – und damit nach der Wahrheit – muss letztlich auf dem Wege der gewöhnlichen Behandlung in die Irre führen, da es auf das Wie, das heißt den Lösungsweg ankommt.

Nun hätte man sich diesbezüglich auf einer anthroposophischen Pressekonferenz zu Ehren von Rudolf Steiners 150. Geburtstag – da es nichts zu verlieren gibt – auch bei den anwesenden nicht-anthroposophischen Medienschaffenden noch ein wenig unbeliebter machen können, als man sonst schon ist. Man hätte auf eine der anthroposophischen Zumutungen hinweisen können, dass der Mensch, indem er in seinem physischen Leib und durch diesen mit seinem gewöhnlichen Bewusstsein (Welt der Sinnesdinge und des Verstandesdenkens) lebt, natürlich nicht in der Wahrheit (oder im Sinn) leben kann, sondern in der Illusion (Maja) beziehungsweise im Irrtum (Un-Sinn) lebt. Letzterer hatte menschheitsgeschichtlich allerdings seine große Aufgabe und guten „Sinn“ als er den Menschen in Urzeiten vor einer realen geistigen Welt abschloss, und diese in der Sinneswahrnehmung zum toten und unwirksamen (aber freilassenden, das heißt Freiheit ermöglichenden) Bild erstarren ließ (Ausführlicheres dazu habe ich in einem anderen Zusammenhang dargestellt).


Anmerkung:
Mit Blick auf Wege aus diesem Dilemma vergleiche dazu zum Beispiel Rudolf Steiners „Theosophie“, Kap. „Der Pfad der Erkenntnis“: Der Mensch hat sich auf diesem Weg „in die geistige Umwelt in richtiger Art einzufügen. Er ist ja als denkendes Wesen Bürger der geistigen Welt. Er kann das nur in rechter Weise sein, wenn er während des Geisterkennens seinen Gedanken einen Ablauf gibt, der den ewigen Gesetzen der Wahrheit, den Gesetzen des Geisterlandes entspricht. Denn nur so kann dieses Land auf ihn wirken und ihm seine Tatsachen offenbaren. Der Mensch gelangt nicht zur Wahrheit, wenn er sich nur den fortwährend durch sein Ich ziehenden Gedanken überlässt. Denn dann nehmen diese Gedanken einen Verlauf, der ihnen dadurch aufgedrängt wird, dass sie innerhalb der leiblichen Natur zum Dasein kommen. Regellos und wirr nimmt sich die Gedankenwelt eines Menschen aus, der sich der zunächst durch sein leibliches Gehirn (physischer Leib; Anmerkung IH) bedingten Geistestätigkeit überlässt. ….“ (Hervorhebungen IH).

Wahrheit (Sinn) ergibt sich also nur dadurch, indem der Mensch erkenntnismäßig in diesem Trainingscamp der unlebendigen und unwirksamen Bild-Gedanken erstarkt, um sich dann mit dieser neu gewonnenen Kraft und Sicherheit wieder dem Leben (aber nun dem realen Leben, das heißt der geistigen Welt in Form von Imagination, Inspiration, Intuition) zuzuwenden. Will man daher Antworten auf irgendwelche Fragen nach einem Sinn (Wahrheit) bekommen, so darf sich der Mensch nicht dem Toten in der Welt (beziehungsweise der „durch sein leibliches Gehirn bedingten Geistestätigkeit“, s.o.) überlassen, sondern muss sich an das Leben selber(anthroposophisch: Ätherleib) wenden. Rudolf Steiner: „Würde sich also Franz Brentano auf die Frage: Was ist Wahrheit? – Antwort haben geben wollen, so würde er die ganze Beziehung, in der der Mensch steht zur Welt durch seinen Ätherleib, haben untersuchen müssen. Das kann er nicht, weil er den Ätherleib nicht anerkennt. …. Denn die Auseinandersetzung mit der Wahrheit ist einerlei mit der Erklärung der Beziehungen des menschlichen Ätherleibes zum Kosmos. … Untersuchungen also über den menschlichen Ätherleib würden dasjenige bilden, was die Frage zu beantworten hat: Was ist Wahrheit?“ (Rudolf Steiner, GA 176).

Anthroposophisches Neusprech

Götz Werner befindet sich mit seinem Vorhaben, der Anthroposophie „heute“ einen neuen Sinn zuzuschreiben, in bester (anthroposophischer) Gesellschaft: Auch Bodo von Plato, Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum, warf nicht nur im Bericht zur Goetheanum-Pressekonferenz mit Nebelkerzen um sich (Rudolf Steiner sei vor „angeblich 150 Jahren“ geboren worden; „Rudolf Steiner fängt erst an, aktuell zu werden“, (war es bis jetzt also nicht); zudem sei Rudolf Steiner der „Entdecker des Gewissens …., das nur im einzelnen Menschen sich zu regen vermag“). Auch in einem Interview in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) verbreitete er: „Und das ist vielleicht das eigentliche Ziel der Anthroposophie: die Sinngebung.“ Der Sinn, den Herr von Plato der Anthroposophie in seinem Anthro-Neusprech geben will, ist allerdings von dieser weit entfernt. Sein NZZ-Interview bietet dem Leser zu wichtigsten Fragen (Wer war Rudolf Steiner? – Was ist eigentlich die Anthroposophie? – Wo ist die Grenze zur Religion?) nichts Konkretes, sondern Phrasen und Falschheiten: So meint von Plato zum Beispiel, Anthroposophie sei „in ihrem Selbstverständnis wissenschaftlich, will heißen: Sie reflektiert, was sie erkennt.“ Auch hier wird dem Was der Vorzug vor dem Wie gegeben. Und das ist das Gegenteil von Anthroposophie. Denn gerade das tut die gewöhnliche, konventionelle materialistische Wissenschaft – und zwar sehr gut: den Gegenstand (der Sinneswelt, das Was) reflektieren, den sie erkennt. Jedoch erhält sie auf diesem Wege (abgesehen von technischen Machbarkeiten) nur Fragen, aber keine Antworten. Im Gegensatz dazu gründet sich der Erkenntnisweg der Anthroposophie darauf, nicht das Objekt des Erkennens zu reflektieren, sondern das Werkzeug des Erkennens, nämlich das Denken selber in den Blick zu bekommen. Dabei ist aber nicht das Was sondern das Wie entscheidend. Denn man kann nicht mehr von einem Reflektieren (das heißt Beobachten) im Sinne des gewöhnlichen Bewusstseins sprechen, da sich gerade auf diesem Wege der Reflexion das Denken der Beobachtung entzieht. Vielmehr muss dieses Denken, bevor es erkannt werden kann, aktiv hervorgebracht werden (s. Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“). Herr von Plato gibt der Anthroposophie damit einen Sinn, den sie nicht hat. Aber das scheint die Anthroposophen nicht zu stören.


Anmerkung:
In diesem Zusammenhang ist ein Artikel von Karen Swassjan bedeutsam mit Blick auch auf die „Atrophie des Bewußtseins im Zeitalter der Meinungsfreiheit …. Nicht zuletzt auch des anthroposophischen Bewußtseins. Hier wird dann unter anderem abzuklären sein: Was schlucken Anthroposophen an allerlei anthroposophischen Ungereimtheiten? Oder: Wieviel, wie lange, also: in welchem Ausmaß und in welchen Dosierungen vermag man als Anthroposoph noch den – bisweilen wohl beabsichtigten – Unfug zu schlucken, der seitens Anthroposophie vor der Welt vertretender Anthroposophen zunehmend angefertigt und verbreitet wird?“

 

Das Seelische spielt in der Anthroposophie keine direkte Rolle?

„Hana Giteva, Projektmanagerin, sprach dann darüber, was Anthroposophie aus dem Kanon der spirituellen Strömungen heraushebe: häufig geht es um das Seelische, das spielt aber in der Anthroposophie keine direkte Rolle, dort geht es um die geistige, ideelle Dimension und zugleich um die Tätigkeit. Anthroposophie ist in diesem Sinne näher und zugleich ferner vom Leben als andere esoterische Richtungen.“

Was sollen (eventuell noch) an der Anthroposophie Interessierte mit diesen Allgemeinplätzen anfangen? Und: Das Seelische spielt „in der Anthroposophie keine direkte Rolle“…. Wie bitte? Immerhin ist die Seele der Erbauer des Leibes! Rudolf Steiner: „Ich sage das alles aus dem Grunde, um Ihnen zu zeigen, wie die Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, nicht ein unbestimmtes Seelisches ins Auge fasst, sondern das Seelische, das nun wirklich der Herrscher des Leiblichen ist, das der Erbauer des Leiblichen ist, überall hereinwirkt ins Leibliche“ (GA 212, 3. Vortrag; Hervorhebung IH).

Wem das Seelische hier zu physisch ist, darf es gerne mit dem reinen (sinnlichkeitsfreien) Denken in Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ versuchen. Schließlich verweist der Untertitel dieses anspruchsvollen Textes „Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ ebenfalls auf wichtigste Tätigkeiten der Seele.

Anmerkung: Viele werden daher wohl eher den Zuversicht verströmenden Ausführungen Gerald Häfners auf der Goetheanum-Pressekonferenz zuneigen, dass der Mensch ja den „Weg zur Freiheit in sich trage“, was im Klartext nur bedeuten kann, dass man – Gottseidank – das mühselige Studium dieses Buches (möglicherweise überhaupt noch eines der Bücher Rudolf Steiners) nicht mehr nötig haben dürfte, da man das alles ja schon in sich trage.

Das Ich des Menschen arbeitet an den drei Gliedern des Menschen: physischer Leib, Ätherleib und Astralleib, auf dass aus diesen in Zukunft Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch werde: „Von dem, was wir herausarbeiten als Geistselbst oder Manas, von dem ist außerordentlich wenig heute beim Menschen vorhanden, höchstens der Anfang“ (GA 121). Das bedeutet, dass der Mensch sich noch auf lange Zeit wird abfinden und arbeiten müssen mit dem, was dem Menschen aus der Arbeit des Ich an den oben genannten drei unteren Gliedern als „schwache Vorbilder“ auf Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch zur Verfügung steht, nämlich Empfindungsseele, Verstandes- oder Gemütsseele und Bewusstseinsseele. Mithin dürften es auch diese drei letztgenannten drei (Seelen-) Glieder des Menschenwesen sein, mit denen eine Auseinandersetzung auch mit der Anthroposophie zuerst einmal zu erfolgen hat.


Fazit

Das weltliche Zentrum der Anthroposophie (Goetheanum) verbreitet auf seiner Homepage sowie an anderen Orten zu Rudolf Steiner und der Anthroposophie Unfug, Phrasen, Verdrehungen und Verleumdungen (s. dazu auf Umkreis Online auch hierund hier). Man gibt damit zu, dass einem nichts daran liegt, sich mit Rudolf Steiner oder Anthroposophie sachgemäß auseinandersetzen. Zu diesem Problem einer Anthroposophischen Gesellschaft ohne Anthroposophie beziehungsweise ohne Rudolf Steiner sei hier auch auf eine Arbeit von Karen Swassjan verwiesen, die genau diesen Punkt zum Thema hat: „Andreas Heertsch hat seinem Beitrag den Untertitel gegeben: „Kann man ein Anthroposoph sein, ohne sich als Schüler Rudolf Steiners zu sehen?“ Ihm gebührt somit das Verdienst, in klaren und unverblümten Worten ausgesprochen zu haben, was schon lange viele Anthroposophen umtreibt, ohne dass sie allerdings genügend Courage (oder gar Einfalt!) besäßen, es auch deutlich zum Ausdruck zu bringen.“ Auch das Kapitel „Helmut Zander als Spiegel anthroposophischer Kinderkrankheiten“ in Karen Swassjans Buch  „Aufgearbeitete Anthroposophie – Bilanz einer Geisterfahrt“ beschreibt in vielen Phänomenen die Wege, die diesbezüglich von der Anthroposophischen Gesellschaft beziehungsweise ihren Vertretern eingeschlagen werden.